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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

durch welches trotz alledem das Erhabene nicht in den Staub gezogen werden konnte. Dazu steht es zu hoch. Wir waren ein kleiner Kreis, nur ein Kleeblatt von Männern mit schon ergrauenden und ergrauten Bärten, die wir jüngst die Ruinen umwanderten und durchkletterten; weit hinter uns liegt die köstliche Zeit, wo das junge Auge in Thränen schwimmen konnte, wenn der Geist auf diesen Trümmern in die große Vergangenheit schwärmte und das Herz pochte von glühender Sehnsucht nach der Herrlichkeit des Reichs, die für immer verschwunden schien; aber trotz alledem fühlten wir uns auf dieser Höhe und zwischen diesen Trümmern recht jugendlich patriotisch gehoben, und das bewirkte nicht blos der weite Blick rings in ein wunderschönes Stück deutscher Erde, sondern auch der in die ebenso weite als wunderreiche Vergangenheit dieser Burg, zu deren Verherrlichung Sage und Geschichte sich so innig verbunden haben.

Der erste Blick fällt immer auf die breite, von dunklen Waldhöhen umsäumte Thalfläche der Goldnen Au, die von Nordhausen bis Memleben, ja nach älterer Annahme über das ganze Thal der Unstrut sich ausdehnt, so daß sie alle größten Erinnerungen an Thüringens eigene Königs- und deutsche Kaiserzeit mit ihrem goldenen Rahmen umspannt.

Die drei größten Kaisergeschlechter drückten diesem Boden die unvergänglichen Spuren ihres Herrscherschrittes ein: die sächsischen, die fränkischen und die schwäbischen. Alle diese deutschen Könige und Kaiser hatten bekanntlich keine bestimmte Residenz, sondern sie besaßen allenthalben im Reich Paläste (Pfalzen), um immer da zu weilen, wo sie, ob zum Kriegführen, ob um Reichstage abzuhalten, ob zum Rechtsprechen, nothwendig waren, oder wo es ihnen besonders wohlgefiel. Wie sehr letzteres in Thüringen und dem Harzgebiete der Fall war, dafür zeugen die vielen Pfalzen dieser Lande, von welchen drei im Gesichtskreis des Kyffhäusers, in der Goldenen Au, lagen: Tilleda, Wallhausen und Allstädt, das Heinrich der Finkler zum Pfalzgrafensitz erhob, während wir in Memleben später die Sterbestätte der beiden größten Sachsenkaiser finden werden. – Die fränkische Kaiser, und vor Allen Heinrich der Vierte und der Fünfte, ließen nur Kriegsfußstapfen hier zurück; unter Letzterem ward (1115) die große Schlacht am Welfisholz geschlagen, nach welcher die gegen den Kaiser siegreichen Sachsen den Kyffhäuser nach einer dreijährigen Belagerung erstürmten und in einen Trümmerhaufen verwandelten.

Merkwürdigerweise treten die schwäbischen Kaiser, die in der Geschichte so hell strahlenden Hohenstaufen, wenn auch der Kampf gegen die Welfen sie oft in diese Gegend führte, am glänzendsten hier in der Sage auf. Ja, man möchte wohl wünschen, die Burg wäre nach dem Sachsensturm nicht wieder aus den Ruinen erstanden, um des ganzen späteren Theils ihrer Geschichte enthoben zu sein, die, so frisch und gewaltig aus der Vorzeit daherbrausend wie der Alpenstrom des Rheins, endlich, wie dieser, in elenden Sand verrinnt. Noch zweimal erhob sie ihr Haupt, einmal noch mit dem Ritterhelm, als Kaiser Rudolf die Räuberburgen auch in Thüringen brach und die Rothenburger Beichlingen als kaiserliche Burggrafen auf dem Kyffhäuser saßen; und ebendeßwegen ziehen wir auch die nahe Rothenburg in den Kreis der Kaiserspuren. Zum Zweiten erhob die Burg ihr Haupt mit einem Heiligenschein: ein hölzernes, wunderthätiges Kreuz machte die Capelle zu einem volkumwogten Wallfahrtsort und eben deshalb zu einem Lieblingssitz von Pfaffen, „Jesuitern“ und venetianischen Goldsuchern. Nachdem aber Berthold Schwarz die Ritter aus der Burg und Martin Luther die Pfaffen aus der Capelle verjagt hatte, war’s aus mit der Herrlichkeit des Bergs. Als schwarzburgisches Besitzthum verfiel die Burg so nach und nach, daß ein Zeitpunkt ihrer Zerstörung nicht anzugeben ist.

Gewaltig sind aber noch heute ihre Trümmermassen. Unsere Abbildung, zu der wir uns nun wenden, zeigt im Mittelbilde einen vom südlichen Nachbarberge aufgenommenen Gesammtüberblick der Burg. Zuhöchst steht der Kaiser-Friedrichs- oder Barbarossa-Thurm; rechts von ihm beginnen die Ringmauern, die noch heute den ganzen Umfang der Burg anzeigen. Da, wo der Berg sich abwärts neigt, erkennen wir das „Erfurter Thor“, und in der Mitte zwischen diesem und dem untersten Mauerreste ragen die Trümmer der Capelle empor. Thurm und Capelle sind in den oberen Eckbildern besonders dargestellt.

Dem Wanderer, der von Norden her kommt, bieten sich zwei Wege zum Kyffhäuser, entweder über Tilleda und unmittelbar die steile Waldbergwand hinauf, oder über Kelbra, von wo der Fußgänger durch einen üppigen Buchenwald am Berge der Rothenburg emporsteigt und von da zum Kyffhäuser weiter wandelt; die Fahrstraße (Chaussee von Kelbra nach Frankenhausen) windet sich, immer in frischem, zum Theil noch jungem Walde, durch sieben Thäler bis zur Höhe der Rothenburg empor und führt oft an tiefen, waldesdunklen Abgründen vorüber und mehrmals an Felsstellen vorbei, aus welchen mächtige Stämme versteinerter Bäume zu Tage treten. Von einem aus solchen Baumstämmen errichteten Wegweiser an, der für uns nach links zeigt, erreicht man in einem Viertelstündchen den letzten steilen, steinigen Weg, auf dem man außerhalb der Ringmauern hin zum Erfurter Thore, dem ehemaligen Haupteingange zur Burg, gelangt. Der vorsichtige Wanderer sucht in der als Kneipe wunderlich genug ausgestatteten Thorhalle erst Kühlung und Erquickung, ehe er die windige Höhe, namentlich beim Thurme, betritt.

Steigen wir dann die Treppe hinauf und in’s Freie, so stehen wir mitten in der Verwüstung, denn selbst der Versuch, zwischen dem wilden Gestrüpp und Gebüsch, das den Schutt der versunkenen Bautrümmer überwuchert, gastliche Lauben mit Tischen und Bänken herzustellen, kann das traurige Bild nicht verbessern. Unwillkürlich eilt der Blick aus dieser Umgebung hinaus in die Ferne, und sie ist entzückend über Wald- und Thälerpracht; aber schildern wollen wir sie nicht. Das Nächste, die Burg selbst, übt doch bald ihre Anziehungskraft aus.

Gerade über dem Erfurter Thore erkennen wir am klarsten, daß innerhalb der Ruinen kein Ueberblick über das Ganze möglich ist. Wir müssen das Hervorragendste aufsuchen. Um zur Capelle zu gelangen, geht es steil bergab auf schier beinbrecherischen Treppen von glattgetretenen Steinbrocken. Wir kommen an einem tiefen, am Rande von dichtem Gestrüpp umgebenen Abgrund vorbei, einem ehemaligen Sandsteinbruch, in welchem ebenfalls versteinerte Baumstämme gefunden worden sind und noch zerstreut liegen, und welcher auch das Burgverließ bloß gelegt zu haben scheint, denn oben begrenzt ihn noch das Mauerwerk und Steinhauerspuren gehen im Fels bis in die Tiefe.

Eine Strecke weiter unten betreten wir die Capelle, den besterhaltenen Theil der Burg. Noch stehen die Seitenmauern des Schiffs, des Chors, die Grundmauern des Thurms und das Portal. Erst im Jahre 1433 war sie durch den Erzbischof von Mainz „in die Ehren des heiligen Kreuzes“ eingeweiht worden und schon hundert Jahre später konnte nur noch ein Klausner sich hier aufhalten, weil sonst Alles wüst und verödet war. Für die Sage ist hier keine Blume erblüht, nur eine lächerliche Distel der Criminalgeschichte: der alte Schneider aus Langensalza als letzter falscher Barbarossa, von dem ich Seite 555 des Jahrgangs 1868 der Gartenlaube das Nöthige erzählt habe.

Der Thron der Sagen und der Schmuck der Burg ist und bleibt allein der alte Kaiser-Friedrichs-Thurm, zu dem wir nun emporsteigen. Da streckt er seine schauerlich zerrissenen Glieder noch achtzig Fuß in die Luft auf seinem anderthalbtausend Fuß hohen Felsengrund. Er hat gut trotzen, der alte Bursche. Schatzgräber, die sein Inneres erforschen wollten, haben sich an seiner Südseite einen Zugang zu verschaffen gesucht: dreizehn Fuß Mauerwerk mußten sie durchbrechen, um ein Loch herzustellen, durch das nur der schlankste Gauner hindurchkriechen kann. Die Eingangsöffnung ist etwa achtzehn Fuß hoch angebracht, wie auch unser Bild dies zeigt und wie wir’s ja oft bei solchen Wartthürmen (Berchfriten) finden. Der Raum um den Thurm war von einer besonderen Mauer umgeben und von der übrigen Burg durch einen besonderen Wallgraben mit Zugbrücke getrennt. Und hier ist die Sagenstätte, hier blüht die blaue Blume, hier tanzt Barbarossa’s schönes Töchterlein, hier spielen die Ritter Kegel, hier bläst der Hoftrompeter von Weimar dem Kaiser das Neujahr an und erhält von der Prinzessin die silberne Trompete, die man noch heute in Sondershausen aufbewahren soll, wie in Tilleda den goldenen Becher, welchen der Zwerg jenem Bauernburschen schenkte, weil er des Kaisers Gesundheit so tapfer trank; hier war die geheime Pforte in den Berg, die Niemand sah, dem nicht die Geister sie öffneten; hier wurden gute Wanderer belohnt und böse und schlechte gehudelt und erschreckt; hier hat

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_639.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)