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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

komme oder gehe? – für ihn? wenn er nicht mich, nur mein Geld wollte, weshalb hat er es nicht längst gesagt? Ich habe es ihm oft genug angeboten – vielleicht nicht deutlich genug; ich könnte es nicht über’s Herz bringen, noch deutlicher zu sein – es war mir, als ob ich mir damit von dem Manne die Erlaubniß erkaufen wollte, in der Nähe seiner Frau weilen zu dürfen. Warum hat er es nicht gewollt? traut er meiner Aufrichtigkeit nicht? ist er zu stolz, von mir, gerade von mir, zu nehmen? Und doch – wer sollte ihm williger geben als ich? Ist es doch das Einzige, was ich für sie thun kann. Vielleicht fehlt ihnen nur das zu einem vollkommenen Glücke, vielleicht ist seine Liebe von der Sorte, die nur in der Sonne des Wohlstandes gut gedeiht und in den Nebeln der Sorge traurig dahinsiecht. Helfen wir dieser kränkelnden Liebe wieder auf. Das wird die Rosen zurückbringen auf ihre Wangen, und sie wird wieder glückselig lachen, wie sie damals lachte.

Es ist keine glänzende Rolle, die ich in dem Familiendrama spiele; aber wo und wann wäre die Rolle des Dritten glänzend und dankbar gewesen? Der arme, arme alte Mann! Was muß er gelitten haben! was muß er leiden! Aber nicht schuldlos, nein, nicht schuldlos! Nur die Lüge ist Sünde, die Wahrheit nicht. Dieser Ehebund zwischen Adolf Wenhof und Ulrike von Dahlitz, wie er durch eine Lüge zu Stande gekommen, war und blieb eine Lüge. Sie liebte ja einen Andern! und dieser Andere kommt; sie sieht, daß er sie noch liebt, wie er sie immer geliebt hat; in einer Stunde des Rausches nach so langer Qual eignet sie sich dem geliebten Manne; sie wird sein Weib vor ihrem Gewissen, so mußte sie es auch vor den Menschen werden. Doppelte und dreifache und tausendfache Lüge, daß sie es nicht that, daß diese eine Stunde, und wenn sie niemals wiederkehrte, sie nicht mit dem alten Leben brechen, nicht ein neues Leben beginnen ließ! Sie ist an dieser Lüge in ein frühzeitiges Grab gesunken, die Stolze, Schöne! er hat vergebens in dieser endlosen Zeit sein Verbrechen zu sühnen versucht – das Verbrechen, daß er die Wahrheit von seiner Schwelle gestoßen, daß er die Lüge über seine Schwelle gelassen! Heiliger Genius der Menschheit, der du im Lichte der Wahrheit lebst, bewahre mich vor der Sünde, die aller Sünden größte ist, bewahre mich vor der Lüge!“

Ueber die Lichtung nahe am Ausgange des Waldes, die den Fußpfad durchschnitt, kam rasch eine dunkle Gestalt, in welcher Gotthold, als er nahe genug war, den alten Statthalter Möller erkannte, der nun seinerseits beide Arme hob, rufend:

„Gott sei Dank, da sind Sie ja! Sie haben uns eine schöne Angst gemacht!“

„Ich? wem? wodurch?“

„Sie, natürlich, Sie! und wem? uns Allen, vorweg unserer Frau, die so ganz außer sich ist! und wodurch? na, das ist eine schöne Frage! wenn Einer bei so einem gräulichen Gewitter, das noch dazu in die See zieht, auf einer solchen Nußschale von Boot so weit in die See hineinrudert und der alte Schafskopf von Christian sieht es und denkt: na, da bist du doch neugierig, wie der zurückkommt; ist aber gar nicht neugierig, sondern treibt in den Wald hinein und wartet da das Gewitter ab und schickt erst vor einer halben Stunde seinen Jungen herein: das Boot sei noch immer nicht wieder da, und ob dem Herrn wohl ein Unglück passirt sei? – Herr, das ist denn doch ein starkes Stück! Und unserer Frau muß denn dabei auch heil angst geworden sein, denn sie kam gleich gelaufen und brachte uns auf den Marsch. Mit der Frau ist nicht zu spaßen, wenn sie eifrig wird, so seelengut sie sonst ist; und wir kriegten es auch Alle mit der Angst, und ein Paar sind nach Ralow hinunter, ob Sie da vielleicht angetrieben sind, und ein Paar nach Neuhof, und ich sollte eben nach dem Strandhause und den alten Herrn, der ja wohl heute zurück ist, fragen, was wir nun thun sollten. Die Frau wollte selber hin, aber ich habe es nicht gelitten.“

„Wo ist die Frau?“

„Sie wird wohl noch hier auf dem Felde sein,“ sagte Möller nach links deutend; „ich komme eben her.“

„Und wie lange sind die Anderen fort?“

„So lange wie ich; wenn ich mich dazu halte, hole ich sie wohl noch ein.“

Und Statthalter Möller schlug sich rechter Hand in den Wald, mit lauter Stimme die Namen der Knechte rufend, während Gotthold eilig den Fußpfad weiter verfolgte, der ihn nach wenigen Minuten an den Ausgang des Waldes brachte, wo eine alte Buche auf freiem Felde stand. Ueber das Feld warf der Mond zwischen großen schwarzen Wolken hindurch ein trübes wechselndes Licht. Es war die Roggenbreite, von der man heute eingefahren hatte. Ein vollgeladener Wagen setzte sich eben in Bewegung, an ein paar anderen arbeitete man noch, aber, wie es Gotthold schien, nur lässig; er hörte die Stimmen der Leute in einigem Gespräch und sah, wie sie in kleinen Gruppen hier und da zwischen den Hocken standen, von denen sich noch mehrere Reihen am Saume des Waldes hinzogen. Es war Gotthold ein unangenehmer Gedanke, daß man um seinetwillen die so dringende Arbeit unterbrochen hatte oder weniger eifrig betrieb. Er eilte zu den Leuten. Cäcilien hatte er, obgleich er ziemlich deutlich die Scene überblicken konnte, nicht bemerkt; jedenfalls war sie bereits wieder nach dem Hause zurückgegangen.

Aber als er sich der Buche näherte, erhob sich von der Bank, mit welcher der mächtige Stamm umgeben war, eine weiße Gestalt, die dort, das Gesicht in die Hände begraben, gesessen hatte und jetzt durch den eiligen Schritt des Nahenden aufgeschreckt worden war.

„Um Himmelswillen, Möller, Ihr kommt schon zurück. Ist er –“

„Ich bin es selbst; Cäcilie, liebe, geliebte Cäcilie!“

„Gotthold!“

Sie hatte sich an seine Brust geworfen; er hielt die weiche Gestalt, die sich fest und fester an ihn schmiegte, umschlungen; ihre zarten Lippen bebten auf seinen Lippen in einem langen, von süßer Leidenschaft zitternden Kuß.

„Seid Ihr es?“ ertönte plötzlich in unmittelbarer Nähe Karl Brandow’s Stimme.

Er schien wie aus der Erde gewachsen; ohne Zweifel hatten die Hocken, von denen die letzte bereits halb unter den äußersten, tief herabhängenden Zweigen der Buche stand, sein Kommen verdeckt. Aber auch dem Herantretenden konnte aus dem Dunkel unter der Buche wohl nur Cäciliens helles Gewand sichtbar gewesen sein. Dennoch hatte für Gotthold’s Empfindung das laute Lachen des Mannes einen schauerlichen Klang und seine helle Stimme einen nie gehörten, widerwärtig kreischenden Ton, als er jetzt, mit der Reitpeitsche nach seiner Gewohnheit herumfuchtelnd, rief: „Ich habe schon Alles gehört; ich sage ja immer: nur nicht den Rücken wenden! gleich geschieht etwas, was sonst gewiß nicht geschehen wäre. Ich würde Dich nicht so wild haben laufen lassen; ebensowenig, wie ich vorn an der Scheune mit dem Einfahren angefangen hätte. Was soll mit der Geschichte hier werden, wenn es wieder zu regnen anfängt, wie es den Anschein hat, und morgen weiter regnet? Dann können wir’s hernach anstatt in die Scheune nur gleich auf den Dunghof fahren; in acht Tagen kommt hier Niemand mit einem Wagen heran und da ist es längst ausgewachsen.“

„Das ist doch am Ende nicht so schlimm, Herr,“ sagte Statthalter Möller, der mit den Knechten, die er im Walde eingeholt, eben herantrat. „Wir haben so in der Scheune keinen Platz mehr; wir setzen hier eine Miethe, und dann ist es gut.“

„Du weißt es natürlich immer besser!“ rief Brandow.

„Ich habe bei der Scheune anfangen wollen; aber Hinrich Scheel wollte es ja nicht leiden und sagte, Sie hätten selbst –“

„Natürlich hätte ich es selbst – ich bin immer schuld, wenn Ihr eine Dummheit gemacht habt, Ihr Schwachköpfe!“

Es war nicht das erste Mal, daß Gotthold in dieser Weise Karl Brandow mit seinen Leuten schelten hörte; aber nie war die Veranlassung so frivol und das Unrecht so offenbar auf seiner Seite gewesen. Gotthold hatte selbst gehört, daß er heute Morgen beim Wegreiten dem Hinrich Scheel zugerufen, sie sollten mit dem Einfahren oben am Walde anfangen. War er betrunken? hatte er mehr gesehen, als er sich merken ließ? wollte er seine eifersüchtige Wuth an den unschuldigen Leuten auslassen? oder war dies nur das Vorspiel und die Probe, ob er in der Auseinandersetzung, die alsbald erfolgen mußte, die Töne des Gekränkten, Beleidigten finden würde?

Gotthold bangte nicht vor dieser Auseinandersetzung; nur vor dem Gedanken, dieselbe könne in Cäciliens Gegenwart stattfinden. Er wünschte die geliebte Frau weit entfernt und dann fühlte er wieder die Nothwendigkeit, vorher noch ein Wort von ihr zu hören, daß dies Alles kein wirrer Traum, sondern Wirklichkeit

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