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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Tags über zwei Armeen nordwärts bewegt, die vom Kronprinzen von Sachsen geführte östlich, jene des Kronprinzen von Preußen westlich des Stromes.

Mit einbrechender Nacht hatte letztere ihre Bivouacs bezogen, deren vorderste Ausläufer sich fast bis zum Dorfe Vendresse erstreckten. Mitunter blitzte ein Wetterleuchten auf, als wollte es die Wachtfeuer grüßen, welche meilenweit hin aufflackerten. Um dieselben her lagerten die Mannschaften vor brodelnden Kochgeschirren; fröhlicher Lärm und allerlei Kurzweil tönten aus den beweglichen Gruppen. In gemessenen Entfernungen standen gewaltige Pyramiden aus Gewehren, die Helme auf den Bajonneten, die Riemen der Patrontaschen um die Schäfte geschlungen, lange Reihen von Laubhütten und Zelten dazwischen, hier und da sogar eine von den Pionnieren rasch zusammengeschlagene Bretterbude. Da die Nacht erst vor Kurzem hereingebrochen, war noch überall Leben; dennoch blieb der allgemeine Eindruck der einer gebundenen Stille, die jeden Laut einzeln unterscheiden ließ.

Vom Ufer her ertönte Pferdegetrappel; ein Cavallerieofficier ritt an der Spitze einer Patrouille querfeldein, dem Lager zu und befragte den nächsten Posten nach der Richtung, in welcher das Standquartier des Generals von Gersdorff aufzusuchen wäre. Dann sprengte er weiter durch die Zelte, hier und dort anhaltend, bis er das Lager des elften Armeecorps gewonnen hatte.

Im Helldunkel blitzte die Schärpe eines Adjutanten; der Reiter hielt an und bat um Orientirung, um eine für General von Gersdorff bestimmte Meldung baldmöglichst abzugeben.

„Bedaure, Herr Rittmeister, daß eine Verzögerung von mindestens einer Stunde unvermeidlich,“ entgegnete eine Stimme, deren Klang seltsam bekannt an das Ohr des Gardeofficiers schlug. Zugleich trat der Sprechende einen Schritt vor, und ein Schein des nahen Wachtfeuers fiel auf sein Gesicht. „Der General ist augenblicklich nicht anwesend, wird aber noch vor Mitternacht in sein Zelt zurückkehren. Ist Ihnen gefällig, einstweilen abzusitzen, Herr von Triefels, und meine Begleitung zu den Cameraden anzunehmen?“

„Gern, Herr Lieutenant,“ sagte Triefels verbindlich; „ich würde Ihnen aber doppelt dankbar sein, wenn Sie mir Ihre Begleitung vorerst zu einer kurzen Promenade gönnen wollten, falls nichts Sie abhält; nach dem scharfen Ritt wäre mir solche Fußwanderung in Gesellschaft eines alten Bekannten besonders erwünscht.“

Eckhardt verbeugte sich, und nachdem er seinen Leuten Weisung gegeben, schritt Triefels neben ihm durch die Zeltreihen. Der Pfad war dämmerig, fast dunkel, kein Lüftchen regte sich; hin und wieder blinzelte ein einzelner Stern wie verloren zwischen den Wolkenmassen. Hörbar klangen die Schritte der beiden Officiere durch die Nachtstille; mitunter klirrten die Sporen der schweren Reiterstiefel leise dazwischen.

„Darf man fragen, welcher Anlaß Sie über die Maas geführt, Herr Camerad?“ fragte Eckhardt nach geraumer Pause.

„Soweit er mir bekannt, gewiß,“ antwortete Triefels; „die Depesche, welche ich überbringe, bezieht sich auf Marschbewegungen der nächsten Tage. So viel man vernimmt, wird unsere Armee östlich der Maas vorgehen und den Weg zwischen dem Flusse und der belgischen Grenze sperren; bis wir beiderseits die nördliche Spitze erreicht, soll Fühlung mit der Ihrigen erhalten bleiben.“

Wieder schritten Beide schweigend vorwärts.

„Sind Sie in brieflicher Verbindung mit Ihrem Garnisonsorte?“ fragte Triefels plötzlich.

„Ja.“

„Und wie geht es – – erfuhren Sie Neueres über die Familie Wallmoden?“

Eckhardt blieb unwillkürlich stehen, wie festgemauert. Sein Blick bohrte sich durch das Dunkel in den seines Begleiters. Er antwortete nicht.

„Sie begreifen, Herr Lieutenant, daß dieses Thema einmal zwischen uns zur Sprache kommen muß, je früher, desto besser,“ sagte Triefels mit Nachdruck. „Ein Zweifel über die Vorgänge, wobei wir handelnde Rollen gespielt, ist uns Beiden schwerlich geblieben. Vielleicht hat es Sie überrascht, daß ich damals abreiste, ohne Sie – aufzusuchen.“

„Es hat mich überrascht.“

„Wirklich? – In diesem Falle unterschätzten Sie mich mehr, als ich erwartete. Ich habe mir, Ihnen gegenüber, gleichen Vorwurf nicht zu machen, denn ich ließ Ihnen Gerechtigkeit widerfahren. Sie haben gehandelt, wie es Ihnen ziemte. Ich gleichfalls. Was bedeutet sogenannte Genugthuung, einem Riesenverluste gegenüber! Ueberdies erscheint mir ein Duell, bei dem der Fordernde sich als Schuldiger fühlt, nicht von größerem Werth, als die ohnmächtige Thräne eines Weibes, die zuletzt nur auf ihre eigene Wange zurückfällt.“

„Sie ehren mich durch ein Vertrauen, das ich nur mit der Versicherung erwidern kann, daß ich Ihre Auffassung verstehe und theile,“ entgegnete Eckhardt in zurückhaltendem, aber weniger kaltem Tone als bisher.

„Und würden Sie sich jetzt dazu verstehen, mir einige Fragen zu beantworten?“ fragte Triefels rasch.

Die Erwiderung klang gepreßt: „Soweit es in meinem Bereiche liegt – ja.“

„Dann bitte ich, mir einen Rückblick zu gestatten. Waren meine Schritte den Cameraden gegenüber von dauerndem Erfolge? ist jenes – Tischgespräch im Nassauer Hofe nicht in weiteren Kreisen bekannt geworden?“

„Darüber kann ich Sie beruhigen. Man mag hin und wieder geflüstert haben, laut wurde Nichts; jedes auftauchende Gerücht verklang, ehe es Boden gewonnen; allerdings mehr, als zu erwarten stand.“

Triefels runzelte leicht die Stirn. „Ich hatte mir Stillschweigen nachdrücklich erbeten und – nicht in allen Fällen verzichte ich auf Ausgleich durch die Waffe! Nun zur Gegenwart – wie geht es bei Wallmodens?“

„Der Staatsrath ist neuerdings wieder amtlich thätig. Daß Fräulein Eugenie noch im väterlichen Hause lebt, ist Ihnen vielleicht bekannt,“ sagte Eckhardt mit Ueberwindung; „mein Onkel schreibt, daß sie sich mit großer Hingabe der Pflege Verwundeter widmet. Ich selbst sprach sie kurz vor dem Ausmarsche; sie befindet sich wohl.“

Von Neuem senkte sich Todtenstille fast greifbar zwischen die Wanderer, bis auf einmal, gleich einer Windsbraut, die Frage hervorbrach: „Hat sie je das Vergangene gegen Sie berührt?!“

„Herr von Triefels!!“

„Sie haben Recht; entschuldigen Sie mich,“ murmelte Triefels düster; „selbst unter Freunden hat Offenheit ihre Grenzen – geschweige denn –“

Die jungen Männer waren, achtlos weiterschreitend, auf einer freien, links von Buschwerk begrenzten Stelle angelangt. Die Wolkenmassen hatten begonnen, sich zu theilen, nur in der Ferne sprühten noch einzelne Blitze durch die Schwüle; rings wurde es lichter, der Mond stieg auf, halbverschleiert. Sein Strahl küßte in gebrochenem Schimmer das Laub der Büsche, die thauige Wiese; jeder Grashalm erzitterte in weichem Lichte. Vom nächsten Posten her klang leise eine melodische Baritonstimme durch tiefste Stille:

„Will mir die Hand noch reichen,
Derweil ich eben lad’“ –

Eckhardt hielt den Schritt an; sein abgewandtes Auge richtete sich ernst auf seinen Begleiter. „Cameraden sollten sich in der That keine Antwort schuldig bleiben,“ sagte er ruhig. „Ja, Herr von Triefels, Eugenie hat über das Vergangene mit mir gesprochen; es waren die letzten Worte, die wir tauschten. Vielleicht gilt dies heute auch für uns Beide. Wie es auch kommen mag, Sie sollen Wahrheit hören. Ich glaubte einst, Kämpe für das Recht sein zu[WS 1] müssen – vielleicht ward dabei ein Glück zerstört. Vergessen – sind Sie nicht!“

Triefels ergriff mit festem Druck die kalte Hand, welche sich ihm rasch wieder entzog. Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, schlugen Beide den Weg zurück, nach den Zelten des Hauptquartiers ein.




Der Nachmittag des ersten September rückte vor. In siegendem Glanze strahlte die den Nebelschleiern des Morgens längst entrungene Sonne auf die Thalschlucht nieder, in deren Mitte die Festung Sedan lag, umschlossen von den dichtbewaldeten Ardennen. Hell schlängelte sich die blitzende Maas durch üppiges Wiesengelände. Ueber den Wipfeln der Laubwälder hingen noch einzelne Nebelstreifen wie geisterhaftes Gespinnst. Und auf den Höhen, in den Gründen hatte seit sechs Uhr Morgens die verhängnißvollste aller Schlachten gewüthet.

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_627.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)