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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

während der heißen Sommermonate nicht, wo doch der Aufenthalt in der Weltstadt so unangenehm ist, und er besuchte auch während der Hundstage allabendlich die Theater. Er liebte die Jugend, besonders die weibliche, und er versicherte, daß der Umgang mit jungen, heiteren, frischen Wesen ihn selbst jung, heiter und frisch erhielte. Ich sah ihn nicht selten vor seinem Hause, von einer Mädchenschaar umgeben, in lebhaften Gesprächen, in munteren Scherzen begriffen.

Auber hatte auch, als die deutschen Heere einen furchtbaren eisernen Reif um die Hauptstadt zu ziehen begannen, dieselbe nicht verlassen wollen. Die Blätter verbreiteten damals, er habe sich nach London geflüchtet; ich las die Blätter und glaubte nicht daran. Auber konnte sich nicht von Paris trennen und er ertrug die Belagerung anfangs sehr standhaft. Er, der in seinem theuren Paris so viel gesehen und erlebt hatte, wußte, wenn er spät am Abend in den nun unbeleuchteten und menschenleeren Straßen mit seinen Freunden und Collegen des Comité des ambulances des Beaux-Arts heimkehrte, dessen Präsident er war, tausend Dinge auf eine so fesselnde Weise zu erzählen, daß sie ihm stundenlang vor seiner Hausthür zuhörten und sich nicht von ihm zu trennen vermochten. Als sich aber der Hunger in Paris einstellte und die Requisitionen begannen, hatte er, der sonst so kalte und selbstsüchtige Mann, eine für ihn gar harte Probe zu bestehen.

Auber liebte die Pferde; er hatte deren immer drei bis vier im Stalle, und es war sein größtes Vergnügen, jeden Morgen denselben einige Zuckerstücke zu reichen und sie zu hätscheln. Nun wurden diese seine Lieblingsthiere eins nach dem andern abgeholt. Bald blieb ihm nur noch eins, das schönste, übrig. Als man ihm anzeigte, daß man auch dieses am nächsten Morgen abholen und zur Schlachtbank führen würde, entschloß sich Auber, sein Haus zu verlassen, um nicht die Schritte des armen Thieres zu hören. Ambroise Thomas, der den alten Meister in Verzweiflung sah, wendete sich, ohne ein Wort zu sagen, an ein großes industrielles Haus, welches auf’s Bereitwilligste ein schönes Pferd hingab, das an Stelle des Auber’schen abgeliefert wurde. Als Auber dies von Ambroise Thomas erfuhr, vergoß er heiße Thränen, er, der niemals Thränen vergossen und überhaupt keinen Herzenserschütterungen oder sonstigen Aufregungen zugänglich war!

Sein theures Thier war ihm nun zwar gerettet, aber nur allzu bald stand es wieder in Gefahr, ihm entrissen zu werden. Auf die Belagerung folgte die tolle Herrschaft der Commune und unter dieser wurde das Pferd abermals requirirt. Ambroise Thomas ließ es jetzt an einen Transportwagen spannen und auf diese Art aus Paris schaffen. Auber fiel nun auf’s Krankenlager, von dem er sich nicht mehr erhob. Er bat seinen Freund, der ihm bald in der Oberleitung des Conservatoriums folgen sollte, das theure Pferd zu erhalten, und kam jeden Augenblick auf diese Bitte zurück. Fünf Tage nach dieser letzten Aufregung entschlief der fast neunzigjährige Greis, und nun ward seine Leiche, so zu sagen, von der Commune requirirt, welche die Bestattung des Compositeurs zu einer Manifestation unter Entfaltung der rothen Fahne mißbrauchen wollte. Ambroise Thomas und Auber’s Notar hintertrieben jedoch diese Manifestation unter dem Vorwande, daß die Verwandten des Verblichenen abwesend seien und deshalb die Beerdigung aufgeschoben werden müsse. Beide ließen indessen die Ueberreste heimlich in eine Gruft der nahen Trinitätskirche bringen.

Auber’s Haus, wo die Musen und Grazien so oft und so gern geweilt, steht jetzt öde und verlassen, und Niemand, der den Alten gekannt, geht vorüber, ohne einen schwermüthigen Blick auf die trüben und klaffenden Fenster zu werfen.




Die Elisabethenquelle.

Eine moderne Sage aus dem Elsaß.

Im Thal von Walsborn springt ein Quell,
Gewalt’ge Fluthen silberhell;
Er quillt hervor aus einem Stein –
D’rauf hieb ich, wunderbar erquickt,
Den Namen meiner Liebsten ein.

Und als das Werk vollendet war,
Da bracht’ ich ihm zum Opfer dar
Aus Waldesblumen einen Strauß,
Den küßt’ ich lieb- und sehnsuchtsvoll,
Und froh ging ich zum Thal hinaus.

Zwei Jahre sind’s und – o Betrug!
Ich folge einem frommen Zug –
Da beten brünstig sie am Quell:
„O heilige Elisabeth,
O wasche mir die Augen hell!“

Sie singen fromm die Litanei:
„O mach’ uns von Gebrechen frei!
Mach’ uns vor jedem Weh gefeit,
Du heilige Elisabeth,
Gepriesen und gebenedeit!“

Ich trete zu dem Heiligthum –
Da ist der Quell bekränzt ringsum,
Und oben strahlt in heil’ger Nisch’
Der holde Nam’ Elisabeth,
Behängt mit Blumenwinden frisch.

Ich bringe auch mein Scherflein her,
Waldblumenstrauß, das Herz so schwer,
In tiefen Nöthen steh’ ich hier:
„O heilige Elisabeth,
Ich bitt’, ich bitt’, erscheine mir!

Von wilden Blumen nimm den Kranz,
O nimm dazu mein Herze ganz!
Es blutet sehr, es schlägt so heiß,
O heilige Elisabeth,
Es lebt und stirbt auf dein Geheiß.

O heil’ mein pochend, blutend Herz!
Ich will dich preisen allerwärts,
Ich will dir singen je und je,
O heilige Elisabeth,
Daß du geheilt das tiefe Weh.“




Ein Orangenzweig.


Von A. Godin.


(Fortsetzung.)


Ein Feldpostbrief.


Die ersten Schlachten waren geschlagen. Von jenem Tage an, wo der Zeitungsträger zum ersten Male mit einem Papierstreifen um den Hut, der in Riesenbuchstaben das Wort „Sieg“ trug, Morgens am Kochbrunnen erschienen war, wo ganz Wiesbaden wenige Stunden später der Heldengestalt des vom Hauptquartier in Mainz herübergekommenen Königs zugejauchzt hatte, folgte eine Siegesbotschaft der andern. Die Häuser legten den bunten Flaggenschmuck nicht mehr ab, Glockengeläute und Böllerschüsse gaben jeder neuen, berauschenden Mähr weithin schallenden Ausdruck, und die Tausende, welche im Sonnenlichte gejubelt, vereinten sich im Sternenschein auf dem Markte, um im Angesichte des Gotteshauses dem höchsten Lenker aller Schlachten in begeistertem Chorgesang dankbare Lob- und Preislieder anzustimmen.

Aber all dies Jauchzen vermochte das Stöhnen, das Schluchzen nicht zu übertönen, welches zu gleicher Zeit mit geisterhafter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_624.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)