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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Der Donner grollt.


Seit langen Wochen hing unablässige Sonnengluth über der verschmachtenden Erde; Wiesbadens vulcanischer Boden schien unter jedem Tritte der darüber Hineilenden zu erglühen. Noch sengendere Schwüle lag aber auf allen Geistern. Es war im Juli 1870, und die aus Ems, Paris und Berlin kommenden Nachrichten fielen Schlag auf Schlag, gleich zündenden Blitzen; – des Kriegsgottes drohende Fackel flammte immer näher! An dem vielbesuchten Badeorte, wo alle Nationalitäten in buntester Mischung mit einander verkehren, alle öffentlichen, wie Privatnachrichten gleichsam in einen Brennpunkt zusammenschießen, trieben die steigenden Wogen der Erregung wunderliche Schaumgebilde auf. Während die Einen bereits ihr Reisebündel schnürten, wurden sie von Andern als kindisch furchtsam bespöttelt. In den heiteren Weltfrieden geselligen Einverständnisses einer feingebildeten internationalen Gesellschaft zuckten schon falbe Lichter hinein, welche dem Verkehr derselben einen veränderten Charakter aufdrängten und ahnen ließen, daß sie naher Auflösung entgegengehe. Doch schien es, als sollten die Friedensgläubigen Recht behalten, denn die Nachricht von der Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern hatte die hochgehenden Wogen aufgeregter Spannung besänftigt. Allerdings liefen fast zu gleicher Zeit aus Paris, aus Hannover Privatbriefe ein, die dem rasch geweckten Sicherheitsgefühl scharf widersprachen und schnelle Verbreitung fanden, denn jede Correspondenznachricht wurde in jenen Tagen sofort Gemeingut. Noch ließen aber die Sanguiniker die weiße Friedensfahne lustig flattern.

Der Nachmittag rückte vor. Ein schweres Gewitter hatte vor einigen Stunden die Hitze des Tages wohlthuend gemäßigt und die lechzende Vegetation erfrischt. Eugenie Wallmoden saß auf dem Balcon des Wohnzimmers und athmete mit Genuß den köstlichen Waldesduft ein, der nach kurzem Regenschauer aus dem nahen Parke emporstieg. Die leichte Handarbeit, mit der sie beschäftigt gewesen, ruhte in der müßigen Hand auf dem Schooße; sie sah den Vögeln zu, die, ihre feuchten Federchen schüttelnd, von Zweig zu Zweig hüpften und den warm hervorbrechenden Sonnenstrahl anäugelten. Ein ruhiges Lächeln spielte um ihre selbst im Schweigen stets beredsamen Lippen, und sie war in Schauen und Sinnen so vertieft, daß sie das Hinzutreten ihres Vaters nicht eher bemerkte, bis er ihren Namen nannte. Freundlich umblickend, nahm sie den versiegelten Brief entgegen, welchen er ihr reichte; ihr Blick schweifte von den fremden Schriftzügen der Adresse fragend zu seinen Augen empor.

Der Staatsrath lächelte in seiner ernsten Weise. „Von Hochstetter,“ sagte er, nicht ohne Nachdruck; „der Brief an Dich war einigen an mich gerichteten Zeilen mit der Bitte beigeschlossen, ihn Dir zuzustellen.“

Ihr heiteres Auge bewölkte sich; sie ließ die Hand, welche eben das Siegel erbrochen, mit dem Briefe sinken, während sie mit der Rechten den Arm des Vaters berührte, um ihn neben sich zurückzuhalten. „Das thut mir leid,“ sagte sie gedämpft; „wie konnte es nur wieder so weit kommen? – ich habe ihm keine Berechtigung gegeben, das weißt Du, Vater.“

„Keine bestimmte Berechtigung, Dein Ja zu erwarten, liebes Kind, aber wenn eine so ausgezeichnete Persönlichkeit wie Hochstetter als Bewerber auftritt, darf sie auf Berücksichtigung hoffen, wo Hand und Herz als frei gelten.“

„Verstehe ich Dich recht, lieber Vater, – wünschest Du diesen Bewerber berücksichtigt zu sehen?“

Wallmoden ließ sich neben seiner Tochter nieder, stützte den Arm auf die Lehne ihres Stuhles und sagte herzlich: „Ja! – ich kenne kaum einen besseren Mann, sein Charakter, seine Verhältnisse bieten jede Bürgschaft, und er liebt Dich, weiß Dich zu schätzen. Hast Du Vertrauen, Neigung genug, die Seine zu werden, so würde ich Deiner Zukunft beruhigt, ja beglückt entgegensehen.“

Eugenie senkte die Stirn gegen ihre Hand und beschattete so die leicht erblaßte Wange. Tief versunken schwieg sie lange; als sie endlich aufblickte, war der Strahl ihres Auges sanft, aber fest. „Gern möchte ich Dir Freude machen,“ sagte sie innig, „aber, lieber Vater, ich kann nicht. Laß mich bei Dir bleiben! An Deiner Seite bin ich zufrieden, Fremdes erschreckt mich, und es würde mich nicht glücklicher machen, wenn ich von Dir ginge.“

Ein schwerer Blick begegnete ihrem klaren. „Ich aber werde von Dir gehen, mein Kind, früher oder später, dann bist Du allein! – so lange man jung ist, weiß man nicht, was dies Wort bedeutet. Fern liegt mir der Gedanke, je Deinen freien Entschluß beschränken, Dich vorwärts drängen zu wollen, aber ich leugne nicht, daß es mich schmerzt, mein einziges Kind durch’s Leben gehen zu sehen, ohne Glück zu geben und zu empfangen, und Das nur – weil gedankenloser Frevel die Blüthe des Menschenvertrauens gebrochen, nur – weil jener –“

Eugeniens Wangen wurden wie Schnee; schwerathmend unterbrach sie ihn: „Nicht weiter, Vater, nicht weiter! Du hattest mir versprochen, den Namen nie wieder zu nennen –“

„Jahre sind vergangen – wozu noch heute solche Reizbarkeit, die mich schon öfters, und nicht wohlthuend berührte; Alles muß einmal überwunden werden und abgethan sein. Solche Unversöhnlichkeit des Gedankens gleicht Dir nicht, ist – nicht weiblich, Eugenie. Und überdies, so berechtigt dieser Erfahrung gegenüber strenges Urtheil war, bleibt es dennoch fragwürdig, ob Verurtheilung unbedingt gerecht ist.“

„Du redest ihm das Wort?!“ rief sie mit erglühendem Angesicht.

„Unmöglich kannst Du mich mißverstehen,“ sagte der Staatsrath gemessen; „das, was vorgefallen, läßt nur eine Auffassung zu. Wohl aber habe ich seitdem die Ueberzeugung gewonnen, daß es wenigstens nicht dem Sumpfe eines vergifteten Charakters entsproßte. Ich spreche nicht davon, daß wir Beweise geübter Discretion erhalten haben – das ist eine Cavaliertugend, die selbst der Erbärmlichkeit anerzogen werden kann. Aber ich habe den Lebensgang dieses Mannes verfolgt; mir stehen dazu Verbindungen genug zu Gebote. Wer so in das innerste Leben einer Familie eingegriffen, darin solche Spuren zurückgelassen hat, wie Deine Abneigung vor jeder Werbung, auch der besten Männer – den verliert das Haupt der Familie nicht wieder aus den Augen. Es giebt Züge in seinem Charakter, die mir Achtung abgewonnen haben. Und wäre es nur das Eine – daß er auf Gefahr seiner Zukunft hin dem großen Lügner in Paris die Stirn der Wahrheit gezeigt.“

„Wovon sprichst Du?“ fragte Eugenie aufmerksam.

„Ja so, Du weißt nicht. Nun, Rittmeister Triefels wurde im Winter, nachdem er sich hier gezeigt, als militärischer Attaché unserer Pariser Gesandtschaft beigegeben. Die Wahl mag keine glückliche gewesen sein, denn zum Diplomaten scheint der junge Mann geringes Talent zu besitzen. Es heißt, daß er mit Liebhaberei geschichtliche Studien betreibt; das veranlaßte denn wohl den kaiserlichen Historiker, der sich so glücklich einen Parvenu nennt, den Attaché der um Schwert und Feder beneideten Macht heranzuziehen und als Quelle auszubeuten – man weiß, wie Persönlichkeiten dort aus- und abgenutzt werden! Plötzlich kam es zu einer Collision – welcher Art sie gewesen, erfuhr man nicht in außerofficiellen Kreisen – Triefels wurde nach Berlin zurückcommandirt, man sprach von Ungnade, von Versetzung in ein Linienregiment der Provinz. Von alledem geschah übrigens Nichts, er blieb nach wie vor in der Garde. Achtung aber dem Manne, der sich in den großen Fragen der Menschheit und der Geschichte nicht mit diesem Gleißner einigen konnte, von dem die eigene Mutter gesagt: ‚Wenn er schweigt, so conspirirt er, wenn er spricht, so lügt er.‘“

Eugenie blickte mit den sinnenden Augen voll Ernst in des Vaters energisch belebtes Gesicht. „Du sprachst nie hiervon,“ sagte sie.

„Wie ich überhaupt nie von ihm gesprochen, wie ich es auch heute nicht so eingehend gethan haben würde, hätte mich Dein Auflodern vorhin nicht dazu veranlaßt. In alten Wunden zu wühlen, ist Thorheit und Schwäche; brennen sie jedoch unerwartet lange fort, so thut Balsam Noth. Erlittenes Unrecht verwindet sich leichter, wo man den Beleidiger achten kann. Meine Tochter wird niemals klein denken.“

Er war, während er die letzten Worte sprach, in das Zimmer zurückgetreten und wanderte dort, die Hände auf dem Rücken ineinandergeschlungen, auf und nieder. Eugenie lehnte unbeweglich am Gitter des Balcons, ihr Auge wurzelte im Laube der nahen Linde, das sich trotz der Windstille sichtlicher bewegte, als ihr leiser Athemzug. Das Schweigen, welches Vater und Tochter gedankenreich befangen hielt, wurde aber bald und geräuschvoll unterbrochen, denn nach hastigem, schallendem Klopfen schoß plötzlich die kleine Gestalt des Regierungsrathes Gotter mitten in’s

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