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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

der Linie an kleinere Bauunternehmer vergiebt, die Schienen, Schwellen und Betriebsmittel mit größeren Instituten und Lieferanten contrahirt, so giebt es Gelegenheit, beim Fälligwerden der Beträge die Actien zu placiren. Es werden die Contracte gegen Zahlung von etwa zwei Drittel in baarem Gelde und ein Drittel in Stammactien geschlossen und diese Letzteren dabei zum Course von 60 angerechnet.

Dies ergiebt auf die Million, die man zu fünfzig angenommen hat, den kleinen Nutzen von 100,000 Thalern, den man ja unbedenklich noch machen kann. Nun, lieber Actionär, hast Du eine Einsicht in die jetzige Methode, eine Eisenbahn zu gründen: das Nominalbaucapital der Linie Giebstadt–Nimmdorf beträgt 3,000,000 Thaler, von denen in Wirklichkeit 1,680,000 Thaler auf den Bau verwendet, der Rest aber in Gründer- und Baugewinnen oder Coursverlusten verloren ist. Der durchschnittliche wirklich aufgewendete Betrag ist also 56 Thaler per Actie von 100 Thalern, Du hast allerdings für die Stammprioritätsactien auch nur 85 gegeben.

Die Gründung einer Bank ist weniger weitläufig, wesentlich rascher durchzuführen und daher auch kürzer zu erzählen.

Eine Gesellschaft Gründer sucht nach einem bereits bestehenden flotten Bankgeschäft, um dasselbe zu kaufen. Zwei junge thätige Leute führen ein solches mit Erfolg, sie haben während ihrer Geschäftsperiode ihr ursprünglich kleines Vermögen durch Thätigkeit und Umsicht auf 200,000 Thaler vermehrt und können dieses Capital durch ihren letzten Bücherabschluß nachweisen.

Die Gründer schlagen ihnen vor, das Geschäft, wie es steht und liegt, für 300,000 Thaler zu kaufen, sie selbst zu Directoren der neuen Wechsel- und Depositenbank mit einem jährlichen festen Gehalt von 10,000 Thaler für Jeden zu wählen und ihnen nach Entwerfung eines Statuts, wie es jede Actiengesellschaft haben muß, einen Aufsichtsrath zu geben, der sich ja nur wenig um die Geschäftsführung zu kümmern haben wird.

Diese höchst entsprechende Offerte nehmen die Inhaber des Geschäfts natürlich an.

Man findet erforderlich, das Geschäftscapital zu vermehren, und läßt daher eine Million Wechsel- und Depositenbankactien drucken. Das Statut wird entworfen, die Bank in’s Handelsregister eingetragen und die Actien sind nun verkäuflich. Es giebt zwei Methoden, sie los zu werden.

Entweder man legt sie zum Course von 110 zur öffentlichen Subscription auf, oder es heißt, daß sie bereits sämmtlich gezeichnet sind, und man führt sie unter gehöriger Anpreisung an einem bestimmten Tage an der Börse zum Course von 110 ein. Dabei wird den Großabnehmern auch wohl ein Viertel Procent Provision vergütet. Ein beauftragtes Bankhaus besorgt den Verkauf für das Gründerconsortium.

Von dem Erlös, der also 1,100,000 Thaler beträgt, fallen 100,000 Thaler in die Taschen der Gründer, 300,000 Thaler erhalten die früheren Geschäftsinhaber. Insofern ihr Geschäftscapital aber nur 200,000 Thaler Bilanzwerth hat, wird dem Abschlusse eine Buchung hinzugefügt. Man bucht den imaginären Werth des Geschäfts als ein Activum von 100,000 Thalern und stellt damit das Stammcapital der 1,000,000 Thaler her.

Der Actionär, welcher eine Actie mit 110 gezeichnet oder gekauft hat, giebt davon also 10 Thaler an die Gründer und 10 Thaler an die früheren Inhaber des Geschäfts ab, seine Actie hat mithin factisch noch den Werth von 90 Thalern. Vielleicht macht aber die Wechsel- und Depositenbank gute Geschäfte.

Erzählen wir nun unsern Lesern auch noch die Geschichte der Gründung eines industriellen Unternehmens.

Die Gründergesellschaft sucht ein solches zu kaufen, gleichviel ob Tuchfabrik, Maschinenbauanstalt, Eisenwerk oder sonst etwas, nur käuflich muß es und in der Geschäftswelt bekannt sein. Es findet sich eine Maschinenbauanstalt, welche für 1,500,000 Thlr. feil ist. Der Besitzer, der seinen Grund, seine Gebäude und seine Maschinen hübsch hoch taxirt hat, verpflichtet sich, die Anstalt, wie sie steht und liegt, und zwar inclusive des Gewinnes, der im laufenden Jahre bereits gemacht ist, für jene Summe an die Gründer abzutreten. Weiter erklärt er sich bereit, seine bekannte Umsicht und Thätigkeit noch so lange der Anstalt zu widmen, als erforderlich sein wird, einen tüchtigen technischen Director zu gewinnen, und endlich nimmt er es in den Kauf, die Dividende des laufenden Jahres mit fünfzehn Procent zu garantiren. Unter Vorbehalt der technischen Untersuchung der Anstalt und Taxation der Immobilien und Mobilien durch Sachverständige, wird das Geschäft abgeschlossen.

Die Commission der Sachverständigen, unterstützt von einigen der Herren Gründer, erscheint und findet zu ihrem Erstaunen die Taxe der Mobilien und Immobilien wesentlich unter dem Werthe, den man einer Actiengesellschaft dafür ansetzen kann. Die Taxen werden hier um 50-, dort um 100,000 Thlr., schließlich um 500,000 Thlr. im Ganzen erhöht, außerdem der Anstalt ein Betriebscapital von 500,000 Thlr. gegeben und sonach die Actiengesellschaft mit 2,500,000 Thlr. Stammcapital in’s Leben gerufen. Davon erhält der frühere Besitzer seinen Kaufpreis von 1,500,000 Thlr. und hat, trotz der für’s erste Jahr garantirten Dividende, ein gutes Geschäft gemacht; die Gründer sind auch zufrieden, denn sie haben 500,000 Thlr. verdient. Und der Actionär? Dieser hat die sichere Aussicht auf die vom früheren Besitzer für das laufende Jahr garantirte Dividende von fünfzehn Procent.

Berlin.

B.




Ein Orangenzweig.


Von A. Godin.


(Fortsetzung.)


Es war nicht Jubel, aber doch war es energische Zuversicht, die in Triefels’ Tone vibrirte, als er weiter sprach: „Dank für Ihr Verstummen – ich hoffe, ich athme wieder! – Liebe hat noch immer verziehen, selbst die bitterste Kränkung! Fordern Sie Zeit, das verletzte Gefühl schonend zu heilen, fordern Sie jede Genugthuung von mir, nur – lassen Sie mir Hoffnung, Eugenie!“

Ihre Hand sank langsam herab, blaß stand sie vor ihm, die zarte Brust hob sich in heftigem Kampfe; als sie aber endlich sprach, klang ihre Stimme hell und voll wie Glockenton:

„Es wäre meiner nicht würdig, die Wahrheit zu verleugnen – ich nehme nicht zurück, was ich gestern so unselig ausgesprochen. Aber wenn auch das frevle Spiel wirklich uns Beiden zum schweren Ernst geworden – es trennt nicht minder! Hier gilt es nicht, eine Kränkung zu vergeben, es gilt die innerste Existenz! Nicht Freundschaft, nicht Liebe ist fortan möglich zwischen uns Beiden! Man kann in einem nächsten Verhältnisse anderer Meinung sein – nicht anderer Gesinnung! Vertrauen läßt sich nur säen, nicht künstlich in die Seele pflanzen, es keimt und steht da – und wird es gebrochen, so ist Unersetzliches dahin. – – Leben Sie wohl!“

Triefels stand in sich gekehrt. Wie Schatten über eine Landschaft fallen, wenn die Sonne verschwindet, fiel plötzlich die Erkenntniß eines Unüberwindlichen auf seine Zuversicht. Er sah, wie zwei Thränen sich aus den großen, tiefen Augen lösten und auf ihre feingeformte Hand niederfielen, er sah diese Hand gegen das Herz gepreßt, dessen heftiges Schlagen durch das Gewand zu dringen schien – und dennoch kam ihm kein Gedanke an Hoffnung mehr. Wie aus schwerem Traume heraus wiederholte er ihr letztes Wort: „Leben Sie wohl!“ und wandte sich dann, um von ihr zu gehen. An der Thür des Gemachs blickte er noch einmal zurück. Eugenie stand wie leblos, nicht ein Hauch schien sich in ihr zu regen. Er eilte zu ihr hin, ein letztes Wort schwebte auf seinen Lippen. Es blieb ungesprochen. Nur einmal noch sah er in ihre Augen, zog aus der blumengefüllten Schale, welche auf dem Tische stand, einen Orangenzweig, drückte ihn an die stumme Lippe und verschwand.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_594.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)