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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Ziehung hatte Lortzing von Reger ein Viertelloos zur Staatslotterie gekauft. In Arbeit vertieft, die Kaffeetasse mit seinem bescheidenen Frühstück vor sich, saß der wackere Albert Morgens in seiner Stube, als Reger in’s Zimmer stürmte, ihm um den Hals fiel und jubelnd ausrief:

„Bravo, mein Junge, Dir gönne ich es! bist ein braver Kerl, ein vielkinderiger Familienvater, ich gönne es Dir von Herzen!“ Dabei schlug er dem Erstaunten die Tasse aus der Hand, zerschmetterte zwei Fensterscheiben und eilte jauchzend die Treppe hinab.

Lortzing blieb erstarrt sitzen und glaubte, sein Freund sei plötzlich verrückt geworden. Später erfuhr er, daß sein Viertelloos, welches er von Reger gekauft hatte, mit der Summe von tausend Thalern herausgekommen sei, ein Glücksfall, welcher ihm auf so wunderliche Weise gemeldet wurde. –

Wie neidlos man damals miteinander verkehrte, wie herzlich man sich erfreute an den glücklichen Erfolgen der Collegen, darüber denke ich in der nächsten Zeit eine Reihe Erinnerungen zu bringen, die sich an die wohlklingenden Namen Holtei, Ferdinand Raimund, Scholz und Nestroy knüpfen.

Alle, Alle sind sie heimgegangen. Nicht das „Altwerden“ ist das Schlimmste am Menschendasein, ein kräftiges Alter erreichen ist ein Segen der Vorsehung, aber im Alter zu vereinsamen, Einen nach dem Andern hinsterben zu sehen, die mit uns jung und froh gewesen, das ist schmerzlich, das ist die schwerste Bürde, die uns das Schicksal auferlegt.

Während ich diese Zeilen schreibe, haben sie wieder Einen eingesargt, mit dem mich mehr als ein Vierteljahrhundert treue Freundschaft verbunden, dessen Name mit den besten aller Zeiten in seinem Fache wird genannt werden: Emil Devrient! Tüchtiger unersetzlicher Künstler, zartbesaiteter feiner Mensch, guter Vater, braver College, fahre wohl! fahre wohl! – Vor wenig Wochen noch traf ich ihn heiter und lebensfroh im Leipziger Theater, wo wir einer trefflichen Aufführung der Oper Diana de Solange mit der wärmsten Theilnahme beiwohnten. Pläne für die nächste Zukunft wurden gemacht, eine gemeinschaftliche Reise nach Wien verabredet, nach Wien, wo wir vor fast dreißig Jahren eine unvergeßliche, angenehme Zeit verlebt hatten, wo ich Zeuge eines Schauspielertriumphes war, wie ihn, außer Emil, kaum ein zweiter Mime erlebt haben dürfte. Devrient, der gefeierte Künstler, wurde außer seinem Wirkungskreise von Mädchen und Frauen aus allen Classen der Gesellschaft in einer Weise verfolgt, die man erlebt haben muß, um daran zu glauben. Stoßweise, oft ungelesen, wurden zarte duftende Billetchen verbrannt, ungescheut setzten vornehme Damen ihren Ruf, ihre Existenz auf’s Spiel. Der feinfühlende Gentleman sprach nie über diese Erfolge, nur ich als sein alter ego wußte darum.

Als am letzten Tage seiner Anwesenheit in Wien – er gab einen endlosen Cyclus von Gastrollen bei Carl im Theater an der Wien – lange nach Mitternacht der Wagen, mit Extrapostpferden bespannt, ihn der Residenz entführen sollte, waren wir nicht wenig erstaunt, diesen von einer unabsehbaren Schaar eleganter Damen umringt zu finden, alle ein Andenken zu erbitten, sei es auch nur eine Blume von den zahllosen Kindern Flora’s, die ihm bei seiner letzten Gastrolle gestreut wurden. Mit seinem Lächeln in dem edlen Antlitz dankte Devrient für die ihm erwiesene Güte und ersuchte die Damen, sich am andern Tag von mir die gewünschten Blumen holen zu lassen, da er alle in meine Wohnung geschickt habe. Welch einen bösen Dienst er mir mit diesem Abschiedsscherz erwiesen, wußte nur ich, auf wochenlang „war meine Ruhe hin“.

Wunderbarer Weise war der Erfolg der ersten Rolle Emil’s in Wien kein durchschlagender, derselbe baute sich erst nach und nach so riesenmäßig empor. Der Vergleich mit dem wildromantischen Ludwig Löwe und dem im Lustspiel hinreißenden Fichtner fiel anfangs nicht zu Gunsten der ruhigen classischen Spielweise Meister Devrient’s aus. Von Denen, welche den Künstler damals am Hoftheater, wo er zuerst sein Gastspiel eröffnete, kennen lernten, lebt leider nur noch der große Künstler Carl Laroche, dieser, Gottlob, noch in ungeschwächter Kraft das Publicum nach wie vor mit seinen unerreichten Leistungen erfreuend. Möge dies noch viele Jahre lang der Fall bleiben!

Als sich Devrient, noch im Vollbesitz seiner künstlerischen Mittel, von der Bühne zurückzog, um sich der wohlverdienten Ruhe zu erfreuen, schied er nur scheinbar von den theuren Brettern. An Allem, was gut und schön war, nahm er den innigsten Antheil; jüngere Talente förderte er nach wie vor mit treuem Rath und hülfreicher That. Bei Gelegenheit der großen Feste zur Enthüllungsfeier des Schiller-Goethe-Denkmals in Weimar sah ich eines der merkwürdigste Ereignisse: Emil Devrient und Bogumil Dawison kleideten sich zur Festvorstellung im Hoftheater in Weimar in einer Garderobenstube an, ein Unicum im Leben der beiden Kunstnebenbuhler. Jetzt ruhen sie Beide von ihren Kämpfen, ihren Triumphen friedlich nebeneinander aus, der heißblütige Pole leider lange umnachtet von den Fittigen des Wahnsinns, der glücklichere College hochgeachtet, im vollen Bewußtsein eines reichen Lebens von hinnen scheidend! Fahre wohl, Ihr Beiden, fahret wohl!




Die Tochter der Frau Birch-Pfeiffer.


Es ist ein trefflicher wohlbegründeter Beruf der Gartenlaube, ihren Lesern durch Bild und Lebensskizze die Personen derjenigen Gartenarbeiter vorzustellen, welche durch gediegene Geistesschöpfungen incognito zu trauten Hausbewohnern in den Herzen der Leser geworden sind. In der That, wer eine Dichtung liest, die einen höheren Zweck hat, als Held und Heldin auf möglichst halsbrecherischen Pfaden zum unvermeidlichen Altar zu führen, eine Dichtung, welche von Anfang bis Ende ein tieferes geistiges Interesse in hellen Flammen erhält, dem wird es ein wahres Bedürfniß, den Dichter kennen zu lernen, und wenn ihm dies versagt ist, so malt sich unbewußt die Phantasie ein Bild von ihm mit Leib und Seele, zu welchem die Figuren und Motive der Dichtung die Umrisse und Farben liefern. Mag nun auch ein solches Phantasieportrait mit dem Original oft wenig Aehnlichkeit haben, geschmeichelt oder carrikirt sein, die psychische Skizze wenigstens wird immer einige getroffene Züge enthalten. Was in lebendigem Strome aus der echten Dichterbrust hervorquillt, das verräth trotz aller Objectivität in seinem ganzen Gepräge und in tausend Einzelheiten den subjectiven Boden, aus welchem der Quell entsprungen, sei es daß der Autor bewußt oder unbewußt sein Ich in concreten typischen Gestalten conterfeit, sei es daß er nur den Reflexionen seinen persönlichen Stempel aufdrückt. – In ganz besonderem Maße bewahrheitet sich dieser Erfahrungssatz bei der geistvollen Verfasserin des Romans „Aus eigner Kraft“ und seiner Vorgänger „Doppelleben“ und „Ein Arzt der Seele“. Sie tritt mit der ganzen reichen Fülle ihrer inneren Persönlichkeit so leibhaftig, so scharf charakterisirt aus dem Rahmen ihrer Werke dem Leser entgegen, daß die folgenden Zeilen, welche von ihr eine Zeichnung nach der Natur bieten sollen, nur dazu dienen können, im Verein mit dem wohlgetroffenen Portrait ihrer Außenseite dem Lichtbild, in welchem sie bereits den Lesern vorschwebt, eine feinere Ausführung und volle Realität zu geben. Als Biograph wurde mit dieser dankbaren, aber immerhin schwierigen Aufgabe ein Freund der Frau von Hillern betraut, der in langjährigem intimen Verkehr sie in alle Situationen des Lebens, auf dem wohldressirten Paradepferde des Salons wie in der ungeschminkten Natürlichkeit des Hauses beobachtet und in allen Stimmungen studirt hat und welchem der Genuß gegönnt war, im vertrauten Einblick in ihre Geisteswerkstätte das Werden und Wachsen ihrer Werke zu belauschen.

Wilhelmine v. Hillern ist die Tochter von Dr. Christian Birch und Charlotte Birch-Pfeiffer, demnach eine glückliche kerndeutsch gerathene Mischung dänischen und schwäbischen Blutes. Ihr Vater, welcher sich der diplomatischen Laufbahn gewidmet und als Gesandtschaftssecretär längere Zeit in Paris und London gelebt hatte, zog sich nach seiner Verheirathung in’s Privatleben zurück und verwerthete seinen feinen Kopf und seine mannigfachen gediegenen Kenntnisse bis zu seinen letzten, leider durch Blindheit und Rückenmarksleiden schwer getrübten Lebensjahren in zahlreichen literarischen Producten auf politischem und belletristischem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 589. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_589.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)