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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

sich nun, daß durch gewisse Töne des Horns einzelne dieser Hörhaare in starke Schwingung versetzt wurden, durch andere Töne andere Hörhaare. Jedes Hörhaar antwortete auf mehrere Noten des Horns. So antwortete ein Härchen stark auf dis und dis’, schwächer auf g, sehr schwach auf G; sein Eigenton lag also wohl zwischen d’’ und dis’’ und war ein Oberton der fraglichen Noten.

Sehen und Hören beruht also auf Schwingungen; Auge und Ohr können durchaus nichts Anderes als Schwingungen unterscheiden, ersteres Licht-, letzteres Schallschwingungen. Im Auge wie im Ohr scheinen die schwingenden Endorgane abgestimmten kleinen Tasten zu entsprechen, welche nur dann in Mitschwingungen gerathen, wenn Schwingungen von einer bestimmten Geschwindigkeit, also von einer bestimmten Farbe und einem bestimmten Tone sie treffen. Dem Tastwerk im Ohr (dem Corti’schen Organ), bei welchem jede Taste auf einen einzigen Ton abgestimmt zu sein scheint, entspricht im Auge die von den Zapfen der Netzhaut gebildete Farbentastatur, so daß also nicht jeder Zapfen zur Wahrnehmung aller Farben geeignet ist, sondern die einen nur Roth, die anderen Grün etc. empfinden lassen, wenn gemischtes Licht einwirkt. Werden durch irgendwelche Umstände bestimmte dieser Tasten zum Schwingen unfähig, oder sind die ihnen zukommenden Nervenfasern nicht mehr erregungsfähig, dann ist die Wahrnehmung derjenigen Töne oder derjenigen Farben aufgehoben, welche durch jene Tasten oder Nervenfasern vermittelt wurde. Hierdurch erklärt sich ebenso die Farbenblindheit (Roth-, Grün- und Violettblindheit), wie die Tontaubheit (Baßtaubheit).

Durch die Zapfen scheinen nur die drei Grundfarben (Roth, Grün und Violett) wahrgenommen zu werden, Farben, durch deren Zusammenfallen wieder das ursprüngliche Licht, nämlich Weiß, hergestellt wird. Alle übrigen Farben werden durch gleichzeitige, aber ungleich starke Erregung dieser drei Grundfarben empfunden.

Nach Manchen stehen die Schwingungszahlen der Hauptfarben untereinander in genau demselben Verhältnisse, wie die Schwingungszahlen der sieben ganzen Töne der C-dur-Tonleiter. Die schönsten Farbenzusammenstellungen sollen, in Musik übersetzt, den wohlklingendsten Accorden entsprechen, wie z. B. die berühmte Triade der altitalienischen Meister: Roth, Grün, Violett dem ungemein wohlklingenden Quartsextaccord von G-dur d, g, h (Preyer). Nach Helmholtz besteht dagegen dieser Farbenaccord aus Roth, Grün und Indigo. – Die hier beigefügten Abbildungen sind schematische Darstellungen der nervösen Endorgane im Auge und im Ohr.

Bock.




Erinnerungen.
Von Franz Wallner.
Nr. 6.0 Der erste Brand des Lehmann’schen Circus. – Vom Kaiser Nicolaus. – Beckmann. – Beckmann auf der Eisenbahn. – Beckmann’s Frau. – Lortzing. – Emil Devrient.


Vor Kurzem habe ich eine Zeitungsnachricht aus Petersburg gelesen, nach welcher der dortige Circus von Lehmann abgebrannt ist. Das wüthende Element hat dies aus Holz gebaute Volkstheater, in welchem komische Pantomimen und ähnliche Spectakelstücke aufgeführt werden, zum zweiten Male vernichtet, das erste Mal vor einer langen Reihe von Jahren, unter Umständen, welche einen Schrei des Entsetzens durch das ganze weite Reich hervorriefen.

Die ungeheure Holzbude, welche sechstausend Zuschauer fassen konnte, gab während der Maslanitza – der Butterwoche, ähnlich unserer letzten Carnevalszeit – von zwei zu zwei Stunden je eine Vorstellung, zu welcher sich alle Volksclassen drängten. Der Eigenthümer, unter dessen Leitung die sogenannten schwedischen, sehr hübsch ausgestatteten und geschmackvoll scenirten Ballets gegeben wurden, lebte von dem reichem Ertrage der einen Woche, während welcher allein diese Gattung von Schaustellungen erlaubt und von dem Privilegium der kaiserlichen Hoftheater nicht verdrängt wurde, das ganze Jahr herrlich und in Freuden und wurde, trotzdem der Aufbau des luftigen Hauses und die für die kurze Frist eigens verschriebenen Künstler namhafte Summen kosteten, doch ein reicher Mann. Man kann sich also einen Begriff machen, welch enorme Einnahmen in diesen wenigen Tagen in dem Lehmann’schen Theater gemacht wurden. War eine Vorstellung beendet, so harrten schon Tausende einlaßlechzend auf die folgende; hatte das ungeheure Gebäude nach einer Production die Menge durch die geöffneten Thore entlassen, so strömte eine neue Völkerwanderung herbei, um die geleerten Räume zu füllen. Das Parterre allein zählte über tausendachthundert Sitzplätze. Der tolle Zauberspuk „Der grüne Teufel“ hatte wieder alle Plätze wie in einer Heringstonne voll Zuschauer gepreßt, es war die letzte Abendvorstellung, kurz vor elf Uhr Nachts. Rings auf dem großen Platz tummelte sich, fest gestaut und jubelnd, zwischen den zahlreichen Buden, Schaukeln, Eisbergen, Steinobst-, Schnaps- und Theeverkäufern eine ungeheure Menschenmenge, über welche die gewaltigen Flammen der brennenden Theerkörbe ihr phantastisches Licht ausgossen.

Das brüllende tausendstimmige Lachen aus der Lehmann’schen Bude übertönte den Lärm der übrigen Bevölkerung. Plötzlich verstummten die heiteren Töne, ängstliche schrille Hülferufe ertönten von innen, und als man, dem Angstgeschrei Rechnung tragend, in die Hütte eindringen wollte, um Rettung zu bringen, fand man alle Thüren von innen fest verrammelt. Ungeheure erstickende Rauchwolken lagerten sich um das Gebäude, und helle Flammen schlugen von dem Bühnenraum aus in die Höhe.

Durch einen unglücklichen Zufall war eine Decoration brennend geworden, das Feuer hatte sich, gelockt von dem aufgehäuften Brennmaterial, demselben mit Blitzesschnelle mitgetheilt, und ehe man noch die Tragweite des Unglücksfalles ermessen konnte, hatte das verheerende Element schon solche Fortschritte gemacht, daß an Rettung des luftigen Hauses nicht mehr zu denken war. Der Pierrot, dessen schreckensbleiche Wangen unter der weißen dicken Schminklage nicht bemerkt wurden, trat vor das Publicum und bat, das Haus schnell zu räumen, da in demselben Feuer ausgekommen sei. Ein brüllendes Gelächter antwortete dem vermeinten Spaß des Clowns. Da trat dieser an die Hintergardine, zog sie in die Höhe und zeigte dem entsetzten Publicum die brennende Wand, welche schon lichterloh den Bühnenraum abschloß. Mit einem Schrei der Verzweiflung stürzte sich Alles nach den Ausgängen, deren Thüren sich aber sämmtlich nur nach innen öffnen ließen. Die tobende, nach vorn rasende Menge drückte Jene, die zuerst die Ausgänge erreicht hatten, so fest an dieselben und die Wände, daß an ein Oeffnen der Thüren nicht zu denken war. Das Geschrei der Armen wurde von dem tobenden Gebrüll der Nachdrängenden übertönt und blieb unverstanden, die Stärkeren schritten hinweg über die Uebrigen, zerquetschten und zertraten dieselben, dichte, immer qualmendere Rauchwolken lagerten sich über die kreischende, verzweiflungsvolle Menschenmasse, die Glücklicheren erstickend, während die Uebrigen dem heißen Flammentod vergebens zu entrinnen suchten. Draußen arbeiteten tausend Hände vergebens, um die festgefügten Latten auseinanderzureißen. Bis die nöthigen Instrumente herbeigeschafft wurden, erstarb das entsetzliche Geschrei der Eingeschlossenen, der Tod hielt seine glühende Ernte. Kaiser Nikolaus war aus dem nahen Winterpalais herbeigeeilt, er entriß einem arbeitenden Muschik das Beil und arbeitete schweißtriefend am vergeblichen Rettungswerke. Als man eine breite Oeffnung in die hölzerne Wand gerissen hatte, fielen die Leichen der Erstickten den Hülfebringenden entgegen, während die verbrannten Cadaver aus dem Innern die Luft mit ihrem entsetzlichen Geruch erfüllten.

Ueber die männlichen Wangen des Kaisers rollten heiße Thränen; beinahe wäre er von einem stürzenden Balken erschlagen worden, wenn ihn nicht zu rechter Zeit, im letzten Augenblicke, ein bärtiger Arbeiter so heftig am Rockkragen zurückgerissen hätte, daß der Czaar zu Boden stürzte. Der Retter des Monarchen war inzwischen verschwunden, und selbst die Aussicht auf eine öffentlich zugesicherte große Belohnung konnte denselben nicht bestimmen, aus dem Dunkel hervorzutreten. Wahrscheinlich fürchtete er dafür, daß er die „geheiligte Person“ so rauh angefaßt, Strafe statt Belohnung; möglicher Weise war er auch später bei dem fortgesetzten Rettungswerke mit den Vielen, die ein gleiches

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_586.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2020)