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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Geburtstagen, zu denen sie so viel Landsleute, als das oder die Zimmer fassen, einladen und mit einem auf japanische Weise höchst eigenhändig bereiteten Diner bewirthen. Die Ingredienzen zu solchem Festmahle werden von ihnen selbst eingekauft und bestehen aus Reis, Fisch, Geflügel, Pilzen, Zwiebeln und japanischer Soya, die hier in den Delicateßläden zu bekommen ist. Ein hier unbekanntes Gewürz, eine Art Seetang, haben sie mitgebracht. Vielleicht sind einige Notizen über ein solches japanisches Essen den verehrten Hausfrauen nicht uninteressant und so mögen sie denn hier folgen. Das Hauptgericht besteht in sechsmal gebrühtem und gewaschenem Reis, ohne Salz, Milch, Zucker oder andere Zuthat, den sie übrigens zu jeder Tageszeit essen und jeder anderen Speise vorziehen. Den Fisch (Lachs, Karpfen oder Aehnliches) braten sie theils an kleinen Spießen halb gar, worauf sie ihn, in Scheiben geschnitten, mit Reis belegen, oder sie essen ihn roh mit Salz und Essig.

Ein anderes Gericht besteht aus Hühnern oder Enten, mit den Knochen in kleine Würfel geschnitten und gekocht; dazu Pilze, gedämpft, und ganze gekochte Zwiebeln mit langen grünen Stengeln, Alles zusammengerührt und mit der japanischen Soya übergossen. Es schmeckt vortrefflich und kann empfohlen werden. Das Dessert besteht aus Reis und Obstkuchen. Alle Schüsseln werden mit Blumen geschmackvoll verziert. Getrunken wird dazu Wasser. Aber sobald die Tafel aufgehoben ist, kommt der Thee, natürlich japanischer, der viel stärker als der chinesische ist, und nun wird der heiße, aufregende und erhitzende Trank selbst im glühenden Sommer in unbegreiflichen Quantitäten genossen, den Nachmittag, den Abend, ja die Nacht hindurch. Zwischenein wird der kalte Reis wieder vorgesetzt. Und daran reihen sich die beiden Nationalgenüsse, die mit Reis und Thee in gleichem Werthe stehen, Tabak in Gestalt von Cigarren oder türkischem Kraute, und die Karten. Kein Fenster wird geöffnet, während in dem Zimmer etwa sechszehn oder zwanzig Personen sich zusammendrängen, rauchen, den kochenden Thee trinken und Karten spielen. Eine nicht japanesisch angelegte Natur hält einen solchen Festabend nicht aus. – Die äußerst zierlichen Karten sind den unseren insofern ähnlich, als es auch verschiedene Farben und Werthe giebt, doch sind sie nicht halb so groß und zeigen statt unserer Herzen etc. sehr geschmackvoll gemalte Blumen, Blumenbouquets und Bäume. – An Wein, Bier oder anderen berauschenden Getränken, außer Thee, finden die Herren keinen Geschmack.

Eine offenbare Schattenseite im Leben und Weben des Japanesen ist der Gesang. Sind die jungen Männer unter sich, etwa in dem „Leipziger Garten“, einem der anständigsten Restaurants der Residenz, dem Kriegsministerium gegenüber, wo sie an jedem letzten Sonnabend des Monats zusammenkommen, so wird natürlich auch gesungen; aber ebenso kann man dies Vergnügen haben, wenn man in einer Privatgesellschaft um den Vortrag eines Nationalgesanges bittet. Wer einen japanischen Gesang zum ersten Male hört, wird anfangs starr vor Erstaunen dasitzen und dann nur mit Mühe ein herzliches Gelächter unterdrücken „So ein Lied, das Stein erweichen, Menschen rasend machen kann,“ ist sonst nirgend zwischen Himmel und Erde zu hören. Daß die Töne durch die Fistel ausgestoßen werden, ist das Einzige, was zur Beschreibung gesagt werden kann, sonst spottet diese Leistung jeder Schilderung. Betäubt fragt man nach der Möglichkeit, wie gebildete Männer, die nun schon zwei bis drei Jahre wirkliche Musik kennen, so etwas Gesang nennen und sogar darin Genuß finden können. Es ist das in der That ein psychologisch-musikalisches Räthsel.

Noch einiges theils Charakteristisches, theils Befremdendes möchte, um diese kleine Zeichnung abzuschließen, der Erwähnung werth sein. Dahin wäre die große Verschwiegenheit, welche unsere jungen Gäste über gewisse Gegenstände beobachten, zu zählen. Es müssen ihnen bestimmte Vorschriften ertheilt sein, nichts über Religion, über ihre persönlichen und finanziellen Verhältnisse in der Heimath und über den Mikado nebst Familie mitzutheilen. Berührt man eines dieser Themata, so wird man sogleich ein Zurückweichen inne, welches mit ihrem sonstigen offenen, vertrauenden Wesen im Widerspruche steht. Sie vermeiden sogar sehr geschickt die Angabe, zu welcher der drei in Japan herrschenden Religionen sie sich bekennen. So erwiderte einer der jüngsten von ihnen, ein hübscher Junge von achtzehn Jahren, einigen jungen Damen, die ihn lebhaft bestürmten, ihnen sein Glaubensbekenntniß abzulegen, mit freundlichem Lachen: „Ich bin Philosoph und Weiberfeind.“

Auch sollen einige verheirathet sein; dies ist aber ebenso einer der Punkte, über den sie jede Mittheilung ablehnen. – Wie komisch die Begriffe von Höflichkeit bei verschiedenen Völkern bisweilen auseinandergehen, zeigt der folgende Vorfall. Herr I…, der schon fertig deutsch spricht und in dem Hause der Frau v. D. bekannt geworden ist, erhält von dieser eine Einladung zum Diner. Statt seiner aber erscheint ein gänzlich unbekannter Landsmann, der kaum über mehr als einige Dutzend deutscher Worte verfügt, zu seiner Legitimation ein Schreiben I…’s überreichend, worin dieser sich mit irgend einer Abhaltung entschuldigt und dazu bemerkt, sein Freund K… sei mit seiner Vertretung beauftragt. Die Mittheilung dieses artigen Briefchens über Tisch erhöhte die frohe Laune der Gesellschaft nicht wenig.

Und nun noch die Puppen! Was wir in alten Reisebeschreibungen und anderen Büchern von zweifelhaftem wissenschaftlichem Werthe gelesen haben, ist wirklich wahr: die erwachsenen Japanesen, Männer und Frauen, spielen mit Puppen! Auch diese Liebhaberei tritt hier allerdings nicht hervor, wahrscheinlich aus Besorgniß, daß dies kindliche Vergnügen hier nicht werde gewürdigt werden; aber die Thatsache ist richtig. Der oben erwähnte „Philosoph und Weiberfeind“ erhielt erst kürzlich von seiner Freundin in Miako eine Puppe, die ihm die größte Freude macht, und die er, wenn er sich unbeachtet glaubt, auf den Armen oder Knieen wiegt. Auch wurde dem Schreiber dieser Skizze ein japanisches Drama gezeigt, dessen Intrigue in dem Raube einer Puppe, von dem Bösewicht gegen den Helden verübt, besteht. Die erwähnte Puppe aus Miako hat die richtigen Proportionen eines Kindes von etwa sechs Monaten, ist wie die japanischen Kinder in die dort übliche köstliche Seide gekleidet und trägt auf dem Rücken ein Beutelchen mit Moschus, dem häßlichen Lieblingsgeruch aller asiatischen Völker. Formenbildung und Malerei an Kopf, Armen und Beinen beschämen sehr weit, was Europa in diesem Genre producirt, und das kleine Kunstwerk ist das Entzücken der kleinen und großen Mädchen, die es sehen.

Die Erwähnung der „Freundin“ des „Philosophen und Weiberfeindes“ erfordert noch eine Erklärung. In Japan herrscht die eigenthümliche Sitte, daß der junge Mann, bevor er heirathet, ein Mädchen gleichen Alters zu seiner „Freundin“ erwählen kann, mit der er die Vergnügungen der Jugend gemeinschaftlich genießt, während die Sitte einen anderen Verkehr zwischen unverheiratheten Herren und Damen verbietet oder doch erschwert. Mit dieser „Freundin“ liest und arbeitet er, begleitet sie auf Spaziergängen etc., ohne daß ein zärtliches Gefühl oder eine sinnliche Regung sich in das Verhältniß einmischt, welches aufhört, sobald eines von beiden Theilen heirathet. Es ist das zwar eine uns unverständliche Sache, indessen kann man ihre Glaubwürdigkeit den ernsten Versicherungen wahrheitsliebender Männer gegenüber nicht wohl bezweifeln.

Wie lange diese Gäste in der Kaiserstadt verweilen werden, wissen sie selbst nicht, da dies lediglich von dem Entschlusse der japanischen Regierung abhängt; doch sprechen sie von zehn Jahren und gefallen sich an dem neuen Aufenthalte so wohl, daß erst einer von ihnen, der an der Schwindsucht litt, zurückgekehrt ist, um den Tod in der Heimath zu erwarten.

Zum Schluß eine Probe von dem Wohllaut der japanischen Sprache. „Lieber Herr Imai, ich danke Ihnen“ heißt: „Kuíschik Imai Samma, hanna hadda arrigatto.“

F. D.




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