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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Mit Geldmitteln scheinen sie reichlich ausgerüstet zu sein; denn wenn sie auch über diesen Punkt wie über manchen andern ein vorsichtiges Schweigen beobachten, so zeigt doch, abgesehen von dem Luxus, mit dem sie für ihr Aeußeres sorgen, ihr ganzes Leben, daß ihre Finanzen sich in vortrefflicher Ordnung befinden. So zum Beispiel kaufen sie Einer nach dem Andern goldene Taschenuhren, für welche sie ohne Kette etc. zwischen hundertsiebenzig und dreihundert Thaler zahlen. Nebenbei bemerkt ist das kein übles Geschäft für den Uhrmacher, zu dem sie Alle gleichmäßig gehen. Bei kleinen Reisen, Spazierfahrten und anderen Belustigungen scheint ebenfalls der Geldpunkt nicht in Betracht zu kommen, und gar Alles, was zur Förderung ihrer Studien dienen kann, wie Bücher, Globen, Atlanten, wird ohne Rücksicht auf die Kosten auf das Allerbeste beschafft. Auch der Unterricht kostet viel. Die japanische Regierung verfährt offenbar bei dem ganzen Unternehmen mit anerkennenswerther Liberalität, und zudem sind die Freiwilligen ja die Söhne des höchsten Adels, so daß ihre reichliche Ausstattung und ihr beträchtlicher Wechsel nicht Wunder nehmen können. Selbst einen gemeinschaftlichen Arzt hat Aoki besorgt in dem Geheimen Sanitätsrath Simonsohn, der aber glücklicher Weise nicht durch zu viel Patienten aus dieser Curatel belästigt wird, weil das Klima keinen ungünstigen Einfluß auf die jungen Leute übt, mit der einzigen Ausnahme vielleicht, daß bald nach ihrer Herkunft Einige an den Augen litten.

Den Zweck ihres Aufenthaltes verfolgen sie mit großem Eifer und Ernst. Die äußerlichen Formen, Sitten und Gebräuche lernen sie in den Familien, in deren Mitte sie leben, um so schneller, als sie nicht unvorbereitet ankommen. Ein größerer Theil von ihnen hat schon in der Heimath Europäer gesehen. dazu kommt dann die Seereise über den stillen Ocean nach San Francisco, die Eisenbahnfahrt nach New-York und die weite Reise, meist über London, nach Berlin. In New-York pflegen sie sich längere Zeit, in London eine kürzere aufzuhalten und am ersteren Orte sich mit europäischen Kleidern zu versehen. Mit natürlichem Verstande und scharfer Beobachtungsgabe ausgerüstet, langen sie nach dieser wohlgenützten Reise, die vier bis sechs Monate zu dauern pflegt, bereits mit europäischem Schliffe an ihrem Bestimmungsorte an. Hier bitten sie die Mitglieder der Familie, in welche sie eintreten, um weitere Belehrung und sind für jede Zurechtweisung äußerst dankbar. Bei solchem guten Willen gelingt das Vornehmen denn auch leicht, und schon nach einhalbjährigem Aufenthalte sind sie größtentheils in den Formen vollkommen berolinisirt.

Ihre wissenschaftliche Ausbildung beschränkt sich zunächst auf die Erlernung der deutschen Sprache, was aber unter den gegebenen Verhältnissen einer großen Energie und unausgesetzten Anstrengung bedarf. Denn von der gänzlichen Verschiedenheit des Idioms abgesehen, giebt es erstens in ganz Berlin keinen Menschen, der auch nur die Anfangsgründe der japanischen Sprache, geschweige denn sie so weit kennt, um sich in ihr verständlich zu machen; zweitens giebt es keine deutsch geschriebene Grammatik der japanischen oder japanisch geschriebene Grammatik der deutschen Sprache und ebensowenig ein japanisch-deutsches oder deutsch-japanisches Lexikon. Und nun denke man sich den deutschen Lehrer den Japanesen gegenüber ohne irgend eine Vermittelung! Wahrlich für Beide eine mühevolle Aufgabe! Die einzigen Aushülfen sind englisch-japanische Lexika und Grammatiken; was man davon hat, ist aber so dürftig und unvollständig, daß es nur einen sehr geringen Nutzen bringt. Doch Beharrlichkeit überwindet jedes Hinderniß. Und so gelingt es auch unseren jungen Freunden, durch Ausdauer und Achtsamkeit im Verlaufe von sechs Monaten so weit zu kommen, daß sie deutlich Gesprochenes verstehen und sich selbst verständlich machen können. In Jahresfrist aber sprechen sie das Deutsche ziemlich fließend, verstehen Alles und schreiben schon einen fehlerfreien Brief. Sie wenden den größten Fleiß an ihre Aufgabe. Zeitig des Morgens, im Sommer etwa um sechs Uhr, im Winter eine Stunde später, gehen sie an die Arbeiten, welche sie nur während der Mahlzeiten unterbrechen und oft bis lange nach Mitternacht fortsetzen, so daß schon der Arzt sich dieserhalb zu Ermahnungen veranlaßt gesehen hat. Bei dem Lehrer nimmt übrigens jeder Schüler den Unterricht allein. Ist der Letztere endlich der Sprache so weit mächtig, also etwa nach Verlauf von anderthalb Jahren, so beginnt er sich mit dem erwählten Fachstudium zu beschäftigen, wiederum zuerst auf dem Wege des Privatunterrichts und schließlich durch den Besuch der öffentlichen Unterrichtsanstalten oder der für den betreffenden Lehrgegenstand bestehenden Institute. Alle möglichen Richtungen der Ausbildung sind in’s Auge gefaßt. So studiren auf der Universität als immatriculirte Studenten Einer (Aoki) Jura und Sieben Medicin. Mehrere widmen sich der Pharmakopöie; Andere wollen landwirthschaftliche Lehranstalten besuchen; eine große Anzahl beabsichtigt Militär zu werden. Von den Letzteren befinden sich Zwei in einer sogenannten „Presse“, um demnächst ihre Fähnrichs- und Officierexamina zu machen und für einige Zeit in die deutsche Armee einzutreten. Selbst japanische Officiere von dem Range eines Hauptmanns, die bereits mehrere Feldzüge mitgemacht haben und ehrenvolle Narben tragen, sitzen hier mit dem ABCBuche in der Hand und arbeiten mit eiserner Geduld an den Anfangsgründen der deutschen Sprache. Mit gutem Beispiele geht ihnen ein Prinz von Geblüt voran, ein Onkel des Mikado, Prinz Fuschimi von Japan, der, obwohl in der Heimath ein sehr hoher und reicher Herr, alle Mühen und Anstrengungen seiner Landsleute theilt.

Von dem außerordentlichen Fleiße und der Leistungsfähigkeit der jungen Japanesen ist in diesen Tagen ein recht sprechendes Beispiel hervorgetreten. Ende des Jahres 1869 kam als einer der ersten derselben Sahami Sato hier an, der Sohn des Leibarztes des Mikado, um Medicin zu studiren, mußte aber, wie seine Gefährten, da er kein deutsches Wort konnte, zuerst sich auf das Studium der Sprache legen. In einem Jahre war er nicht allein des Deutschen mächtig, sondern hatte auch das Lateinische sich so weit zu eigen gemacht, daß er die erforderlichen Vorstudien bewältigen konnte und schon im October 1870 immatriculirt wurde. Jetzt hat er ein Tentamen in der Medicin so glänzend bestanden, daß er und ein anderer Student unter den dreizehn Examinaten das Prädicat „gut“ erhielt, eine Leistung, welche in wissenschaftlichen Kreisen als eine höchst merkwürdige betrachtet wird. Wenn man die Schwierigkeiten, welche der junge, hoffnungsvolle Mann zu überwinden gehabt hat, erwägt, so kann man sich allerdings nicht des Staunens über die Energie erwehren, mit welcher er das ihm gestellte Ziel verfolgt.

Neben dem Fleiße und der Pflichttreue besitzen sie noch andere Tugenden, welche ihnen schnell Achtung und Zuneigung erwerben. Vorzugsweise ist dahin ihre Wahrheitsliebe und Gewissenhaftigkeit auch in den kleinsten Dingen zu rechnen und sodann die Höflichkeit, wegen deren die Japanesen von jeher gerühmt worden sind. Und das ist mit vollem Rechte geschehen, denn es streift ihre Höflichkeit nicht im Entferntesten an orientalische Unterwürfigkeit oder occidentalische Kriecherei, sondern ist wirklich eine anmuthige Mischung von dem feingesitteten Entgegenkommen des gebildeten Mannes und der Bescheidenheit eines guten Kindes, Dieser sehr hervorstechende Charakterzug erleichtert ihnen auch wesentlich die Aneignung der Formen deutscher Sitte und Bildung und macht sie schnell zu gern gesehenen Gästen in den Familienkreisen, die sie betreten. Ihre Kindlichkeit ist ganz naiv. Sie bitten sofort, als Kinder behandelt und den Kindern des Hauses in allen Stücken gleichgestellt zu werden. Dem Hausherrn und der Hausfrau ordnen sie sich wie Pflegeeltern unter und sagen bei jeder Gelegenheit: „Sie sind meine Mutter, Sie sind mein Vater.“ Vielleicht illustrirt diese kindliche Höflichkeit der folgende Anfang eines Briefes. Eine Dame, die in’s Bad gereist war, hatte ihrem Pensionär geschrieben, daß sie bei der Lösung ihres Fahrbillets einen Thaler irrthümlich überzahlt habe, worauf Dieser erwiderte:

„Meine liebe Mutter! es thut mir sehr leid, daß Sie einen Thaler verloren haben. Ich habe nicht geglaubt, daß eine so kluge Mutter auch etwas verlieren könne. Aber trösten Sie sich mit dem Sprüchwort: ‚Auch die Affen fallen von den Bäumen‘“ etc.

Für eine Pflicht der Höflichkeit halten es die Japanesen, Alles, was ihnen gezeigt wird, zu loben und die Vorzüge Europas vor Japan anzuerkennen. – Bei den Mahlzeiten sind sie sehr bescheiden und mäßig und mit Allem zufrieden, loben auch die deutsche Kochart höchlichst; aber ab und zu bricht doch die Sehnsucht nach einem japanischen Mahle durch alle Floskeln der Höflichkeit hervor. Dieses entschuldbare Gelüste befriedigen sie, wenn die Pflegemütter keine Einwendungen erheben, an ihren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_569.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)