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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

der Herr aufgestanden wäre, und da frug er, ob ich den Herrn kenne; aber natürlich kannte ich ihn nicht; denn, dachte ich, die Freundschaft zwischen den Beiden ist nie groß gewesen, und je weniger Einer mit Herrn Brandow zu thun hat, desto besser ist es. Hab’ ich nicht Recht? Na, und da gab denn ein Wort das andre, und er stellte seine Uhr und sagte, er fahre nach Plüggenhof und werde wohl bis morgen Abend da bleiben, und dann trank er seinen Rum, den er wohl bezahlen wird, wenn er wieder durchkommt, und weg war er, und ein Paar schöne Braune hatte er vor, so ein Paar von den echten, besonders das Sattelpferd. Da hätten Sie auch Ihre Freude dran gehabt, denn auf Pferde verstehen Sie sich, das habe ich gestern wohl gemerkt.“

Gotthold’s starre Blicke suchten noch immer den Boden. Sie würde nicht einmal wissen, daß er hier gewesen!

Mochte es denn sein! Er hatte ja keinen Augenblick die Absicht gehabt, ihren Weg zu kreuzen; und jetzt war der Weg frei, ganz frei; er konnte ungehindert, ohne Herzbeklemmung, den Plan ausführen, den er sich gestern ausgedacht, als er von Wollnows durch den nächtlichen Park in den Gasthof zurückkehrte.

Eine Stunde später wanderten die Beiden den Weg nach Dollan, im Anfange auf der Landstraße, aber bald auf Seiten- und Richtsteigen, von denen Gotthold noch jeden Fußbreit kannte.

In Träumen verloren von den Tagen, die nicht mehr waren und niemals wiederkehren konnten, schritt er dahin, während hoch herab die Lerchen unaufhörlich sangen und auf den sonntäglich stillen Feldern die blauschwarzen Kolkraben spazierten und über den Mooren die bunten Elstern flatterten und dort am fernen Waldesrand ein Adler seine majestätischen Kreise zog. Jochen, der es sich nicht hatte nehmen lassen, außer dem eignen kleinen in sein buntes Baumwollentaschentuch geknüpften Bündel Gotthold’s Reisetasche und Malkasten zu tragen, und die meiste Zeit ein wenig zurückblieb, störte den schweigenden Gefährten keineswegs durch allzu große Redseligkeit. Jochen hatte seine eigenen Gedanken, die allerdings nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft weilten, Gedanken, die er gar zu gern ausgesprochen hätte, nur daß er nicht wußte, wie er das Gespräch einleiten konnte. Aber da kam die Waldecke immer näher und näher, an welcher er sich für heute von Gotthold trennen sollte, und wenn er überall nach Gotthold’s Meinung hören wollte, jetzt war es Zeit. So faßte er sich denn ein Herz, holte den Gefährten mit ein paar langen Schritten ein, ging dann noch ein paar Minuten schweigend an seiner Seite und war selbst nicht wenig erschrocken, als er plötzlich die Frage, die er hundertmal leise probirt hatte, wirklich laut that: „Was halten Sie vom Heirathen, Herr Gotthold?“

Gotthold blieb stehen und schaute verwundert den guten Jochen an, der ebenfalls stehen geblieben war und dessen breites Gesicht mit den weit aufgerissenen Augen und dem halb geöffneten Munde einen so seltsamen Ausdruck hatte, daß er sich des Lächelns nicht erwehren konnte.

„Wie kommst Du darauf?“

„Weil ich eben heirathen will.“

„Dann mußt Du doch, was davon zu halten ist, besser wissen als ich, der ich nicht heirathen will.“

Jochen schloß den Mund und schluckte ein paar Mal, als ob er einen allzu großen Bissen hinunterzuwürgen hätte; Gotthold mußte jetzt gerade herauslachen.

„Ei, Jochen,“ rief er, „weshalb so geheimnißvoll gegen einen alten Freund! Ich will Dir gern meinen besten Rath ertheilen und, wenn es sein kann und Dir daran gelegen ist, meinen besten Segen dazu, aber vorher muß ich wissen, um was es sich eigentlich handelt. Du willst also heirathen?“

„Ja, Herr Gotthold,“ sagte Jochen, die Mütze abnehmend und sich die hellen Schweißtropfen von der braunen Stirn wischend, „ich will eigentlich gar nicht, aber sie sagt ja, daß sie mich immer gewollt hat.“

„Das ist schon etwas; und wer ist sie?“

„Stine Lachmund.“

„Aber Jochen, die ist ja mindestens fünfzehn Jahre älter als Du!“

„Dafür kann sie nicht.“

„Gewiß nicht.“

„Und dann ist sie ein tüchtiges Frauenzimmer, die höllisch gut im Zeuge ist und gut in den Knochen, nur im Gangwerk ein wenig schwer, von wegen weil sie jetzt ein wenig übercomplet ist; aber sie meint, das würde sich wohl geben, wenn sie wieder mehr zu arbeiten hätte als bei Wollnows, wo das Leben gar zu bequem ist.“

„Nun, wenn sie das selbst meint –“

„Ja, und dann hat sie sich bei Wollnows ein hübsches Stück Geld zurückgelegt, und ihre beiden Alten in Thiessow, wissen Sie, Herr Gotthold – wir sind ja ’mal zusammen hingesegelt mit unserem jungen Herrn, und draußen stand eine grausam hohe See, und kamen naß wie die Katzen hin und der alte Lachmund meinte, wir hätten eigentlich ersaufen müssen.“

„Und, dann machte er uns einen steifen Grog,“ sagte Gotthold.

„Und unser junger Herr trank ein bischen zu viel und trieb einen Teufelspossen in dem Alten seiner langen Jacke und dem Südwester auf dem Kopf – das war doch eine schöne Zeit, Herr Gotthold!“

Jochen hatte den Faden seiner Geschichte verloren, Gotthold half freundlich ein, und Jochen erzählte nun weiter, wie die beiden Alten, in ihrer Art vermögliche Leute, die in dem großen Lootsen- und Fischerdorfe eine Ackerwirthschaft und so etwas wie eine Gastwirthschaft hielten, endlich das so lange eigensinnig festgehaltene Scepter an ihre einzige Tochter abgeben und sich zur Ruhe und auf das Altentheil setzen wollten unter der Bedingung, daß sie sofort einen tüchtigen Mann heirathete.

So hatte Stine Lachmund, welcher Jochen zu derselben Stunde, in der Gotthold vorn bei der Herrschaft saß, in der Küche einen Besuch abstattete, berichtet, und sie hatte Jochen gefragt, ob er der Mann sein wolle.

„Denn sehen Sie, Herr Gotthold,“ fuhr Jochen fort, „sie nimmt nicht Jeden, und mich kennt sie, so zu sagen, von klein auf, und weiß, daß ich ja so weit ein ordentlicher, nüchterner Mensch bin, der mit Pferden gut umgehen kann und auch sonst von der Ackerei genug versteht, und auch ein Boot steuern kann, wenn’s nicht gerade zu arg weht.“

„Dann wäre ja so weit Alles in bester Ordnung,“ sagte Gotthold; „aber nun die Hauptsache: bist Du ihr denn wirklich gut?“

„Ja, das ist es ja man eben,“ erwiderte Jochen nachdenklich; „und sie hat es mich gestern Abend selbst gefragt, und was sollte ich darauf sagen?“

„Die Wahrheit, Jochen, nur die Wahrheit!“

„Hab’ ich auch, Herr Gotthold, habe ich auch gesagt. ‚Bis jetzt noch nicht,‘ habe ich gesagt, und darauf hat sie gelacht und gesagt, das schadete auch weiter nichts, das fände sich Alles, wenn das Frauenzimmer ordentlich und der Kerl ordentlich wäre. Und ich sollte Sie nur fragen, Sie würden mir schon richtigen Bescheid geben.“

„Ich?“

„Ja, Sie wüßten davon Bescheid; Sie wären immer so ein guter Mensch gewesen, und – und –“

„Und?“

„Und wenn Sie unser Fräulein geheirathet hätten, dann wäre sie ein gut Theil besser angekommen, als jetzt; na, und Herr Gotthold, ich habe sie heute Morgen durch das Fenster nur so von der Seite gesehen, als sie da allein im Wagen saß; aber das muß ich sagen: überglücklich sah sie nicht aus; und Stine meint ja, sie hat auch nicht gar so viel Ursach’ dazu. Meinen Sie denn das auch, Herr Gotthold?“

„Ich weiß es nicht, ich hoffe nicht –“ erwiderte Gotthold; „die Leute reden so viel; – aber wir wollten von Deiner Angelegenheit sprechen.“

„Ja, und was sagen Sie nun?“

„Was ist da viel zu sagen? Wenn Du das Herz dazu hast, so heirathe die Stine, die gewiß ein braves, rechtschaffenes Mädchen ist, und behandle sie gut, und seid Beide so glücklich und zufrieden, wie Ihr es zu sein verdient.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 565. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_565.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)