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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

„Ich wäre wohl der Letzte, den er sich zu seinem Vertrauten wählte, besonders jetzt, nachdem ich dummer Kerl eine Stunde lang an diesem Mohren herumgewaschen habe.“

„An diesem Mohren? aber ich verstehe Dich wirklich nicht, Emil.“

„Verstehst mich nicht? Gott, du Gerechter! Wie schwer sich diese Frauen in Angelegenheiten zurecht finden, die sie mit Stolz als die ihrigen zu bezeichnen geruhen! Verstehst mich nicht? Nun, das kann ich Dich versichern, dieser Phantast hat Dich vollkommen verstanden, und er wird morgen in aller Frühe auf dem Wege nach Dollan sein.“

„Nun, darin sehe ich denn doch kein besonderes Unglück!“ sagte Frau Wollnow. „Warum sollen sich die Beiden nach so vielen Jahren nicht einmal wiedersehen, auch wenn sie sich wirklich noch lieben? Ich gönne es der armen Cäcilie von ganzem Herzen; sie bedarf so sehr des Trostes.“

„Wie ihr würdiger Gemahl des Geldes! übermorgen ist der letzte Respectstag für fünftausend Thaler seiner Wechsel, die bei mir domicilirt sind. Vielleicht hilft er Beiden, er hat ja die Mittel!“

„Ach, Emil, Du bist unerträglich mit Deiner ewigen Prosa.“

„Ich habe Dir nie versprochen, daß Du einen Poeten an mir haben würdest.“

„Das weiß der Himmel!“

„Es wäre mir lieber, wenn Du es wüßtest.“

„Emil!“

„Ich bitte Dich um Verzeihung! ich bin wirklich zu böse, um nicht boshaft zu sein. Aber das kommt davon, wenn man sich in die Angelegenheiten fremder Leute mischt. Laß doch die Narren gewähren! und vor Allem, laß uns zu Bett gehen!“




5.


Als Gotthold nach einer qualvoll unruhigen Nacht aus schwerem Morgenschlafe jäh erwachte, hatte die Sonne bereits stundenlang durch die weißen Tüllvorhänge in sein Zimmer geschienen. „Gott sei Dank!“ sprach er laut, „der Morgen ist da, und der Morgen hat Alles wohl besser gemacht.“

Bald stand er angekleidet am geöffneten Fenster. Wie vertraut ihm die Scene war! Der runde, von den freundlichen, gärtenumgebenen weißen Häusern eingerahmte Platz mit dem grasüberlaufenen Pflaster und dem kleinen Obelisken in der Mitte; dort das stattliche Gebäude des Pädagogiums, aus dessen offenen Fenstern der Gesang der Knaben durch die Sonntagmorgenstille so deutlich zu ihm herüberklang, daß er die Worte des Chorals zu verstehen glaubte; rechter Hand, zwischen den Häusern durchblickend und die Dächer derselben überragend, das dunkle Grün der Riesenbäume des fürstlichen Parkes; weiter links, zwischen ein paar anderen Häusern, ein Stück der blauen See und des kleinen, in diesem Momente von der Sonne beglänzten Eilandes, das der großen Insel vorgelagert ist. So wie er es hier sah, hatte er es hundert und hundert Mal gesehen, das liebe Bild, wenn er dort drüben im Pädagogium, nachdem die Morgenandacht beendet, mit Curt am Fenster stand und seine Blicke nach der Gegend schweiften, wo das geliebte Dollan lag; so wie jetzt hatte es ihn hinausgelockt aus der Enge der Zimmerwände in die sonnigen Felder, in die schattigen Wälder, an die blaue, See. Diese Lichter, diese Schatten, die Bläue – sie hatten in dem Knaben die holde Leidenschaft entflammt, nachzubilden, wiederzugeben, was verworren klar vor seinen frischen Sinnen lag, was sein Gemüth so ahnungsvoll tief bewegte. Sie waren seine ersten Lehrmeister gewesen in der wunderbaren Sprache der Linien und Farben; und wie geläufig er auch seitdem diese Sprache zu sprechen gelernt – ihnen verdankte er doch, was er war und konnte. Und hatte er nicht gestern bereits, als er durch die heimischen Gefilde kam, so düster es auch in seinem Gemüthe war, die Empfindung gehabt, als sei sein Mühen und Schaffen unten in dem schönen Italien mehr oder weniger ein vergebliches gewesen, als habe er dort eigentlich immer nur mit Auge und Hand und nie mit dem Herzen gemalt, und eine schöne, wohlklingende, aber doch fremde Sprache mühsam gesprochen, nicht seine Mutter-, seine Heimathsprache, und daß er hier, nur hier in seinem Heimathlande, unter seinem Heimathhimmel wahrhaft ein echter, rechter Künstler werden könne, der da nicht sagt, was Andere ebenso gut und besser sagen können, sondern was nur er sagen kann, weil, was er sagt, er selbst ist?

Aber konnte ihm nach Allem, was geschehen, was er hier erlebt, erlitten, die Heimath wirklich noch Heimath sein? Warum nicht, wenn er sie nur sah mit dem Auge, mit dem er doch sonst die ganze Welt zu sehen sich bemühte; wenn er nichts Anderes sein wollte, als was er in seinen guten Stunden zu sein glaubte: ein wahrhafter, nur seinen Idealen lebender Künstler, hinter dem in wesenlosem Scheine liegt, was die Anderen bändigt, und dem im schlimmen Falle ein Gott gab, zu sagen, was er leidet? Ja, seine Kunst, die strenge, holde, sie war sein Leitstern gewesen in dem Irrsal seines jungen Lebens, sein Talisman in dem Trübsal und der Noth seiner Münchener Jahre, seine Zuflucht früher und später; und sie sollte und würde es auch sein, und würde treu zu ihm halten, wenn er treu zu ihr, und sie hoch und heilig hielt immerdar als seine Schirmherrin und angebetete Göttin!

Der Gesang der Knaben drüben war verstummt. Gotthold strich sich mit der Hand über die starren Augen und wandte sich in das Zimmer zurück, als jetzt laut an die Thür gepocht wurde.

„Wie, Du bist es, Jochen?“

„Ja, Herr Gotthold, ich bin es,“ erwiderte Jochen Prebrow, nachdem er das Kaffeebrett, welches er hereingebracht, so vorsichtig auf den Tisch gestellt hatte, als wäre es eine Seifenblase, die bei der geringsten Berührung zerplatzen mußte. „Der Clas Classen aus Neuenkirchen, oder, wie sie ihn hier nennen, Louis, war gerade im Keller, als Sie vorhin klingelten, und ich dachte, der Kaffee würde Ihnen nicht schlechter schmecken, wenn ich ihn brächte.“

„Gewiß nicht; ich danke Dir bestens.“

„Und dann wollte ich auch fragen, wann ich anspannen soll.“

„Ich werde noch ein paar Tage hier bleiben,“ erwiderte Gotthold.

In Jochen’s breitem Gesichte wollte bei diesen Worten ein Lächeln aufsteigen, das aber sofort wieder verschwand, als Gotthold weiter sagte: „So wirst Du denn allein fahren müssen, alter Freund.“

„Ich wäre auch gern ein paar Tage hier geblieben,“ sagte Jochen.

„Und das kannst Du nicht, wenn ich den Wagen nicht behalte? So behalte ich ihn, und was mir mehr werth ist, Dich; und wir gehen sofort nach Dollan, wohin denn doch wohl auch Dein Sinn steht. Oder glaubst Du, die Pferde nicht so lange allein lassen zu dürfen?“

Jochen hatte nach dieser Seite keinerlei Sorge. Sein guter Freund Clas Classen, den sie hier wunderlicher Weise Louis nannten, würde die Oberaufsicht gern übernehmen und schon dafür sorgen, daß die Pferde zu dem Ihrigen kämen; aber weshalb wollte Herr Gotthold gehen, da sie doch einmal Wagen und Pferde da hätten?

„Aber ich möchte nun gern gehen,“ sagte Gotthold.

„Was dem Einen seine Eule ist, ist dem Andern seine Nachtigall,“ sagte Jochen, sich in dem dichten Haar krauend. „Aber die Sache hat doch noch einen Haken: Sie werden das Nest leer finden.“

„Wie meinst Du?“

„Sie sind vor einer Stunde schon hier durchgekommen, der Herr und die Frau,“ erwiderte Jochen. „Ich saß gerade in der Gaststube, und sie blieben vor der Thür halten.“

Gotthold blickte Jochen starr an. Sie war hier gewesen, in seiner unmittelbarsten Nähe, unter dem Fenster, an welchem er eben gestanden, und er hätte das holde Antlitz wiedersehen können, wie Jochen es gesehen, der das so ruhig sagte, als ob das eine Sache sei, die Einem alle Tage begegnen konnte!

„Und Du hast sie gesprochen, Jochen?“ brachte er endlich zögernd heraus.

„Die Frau blieb sitzen,“ sagte Jochen; „aber er kam herein, einen kleinen Rum zu trinken, und da just weiter Niemand in der Stube war und ich mir auch eben einen aus dem Schranke geholt hatte, so verhalf ich ihm dazu; und da frug er, wo ich herkomme, und ich sagte ihm, daß ich mit einem Herrn hier wäre, und ich glaubte, daß wir heute gleich weiterführen, sobald

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_564.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)