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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 35.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Was die Schwalbe sang.


Von Friedrich Spielhagen.


(Fortsetzung.)


„Die Vorbereitungen zu dem Duell – denn für stolze Primaner mußte es selbstverständlich ein richtiges Duell sein –“ fuhr Gotthold fort, „waren in aller möglichen Heimlichkeit betrieben. Nur die Betheiligten, das heißt die Paukanten und Secundanten, um mich dieser classischen Ausdrücke zu bedienen, wußten um den Ort, um die Stunde. Uns Waffen zu verschaffen, hielt nicht schwer, denn trotz des strengsten Verbots existirten unter uns mindestens ein halbes Dutzend Paar Rappiere. Karl Brandow hatte eines und seine speciellen Freunde erzählten Wunderdinge von seiner Kunstfertigkeit; aber auch Curt war der glückliche Besitzer von zwei guten Klingen, mit deren gräulichem Gerassel wir oft in Dollan den stillen Wald aus seiner Ruhe geschreckt hatten. Ich hatte ein scharfes Auge und trotz meiner fünfzehn Jahre eine feste Hand, und Karl Brandow mochte nicht wenig erstaunt sein, als er in dem entscheidenden Momente den verachteten Gegner so gerüstet fand. Wenigstens wurde er mit jedem Augenblick unruhiger und heftiger und machte es mir so möglich, trotzdem er mir wirklich weit überlegen war, ihm nicht nur Stand zu halten, sondern sogar zum Angriff überzugehen und ihm eine Schulterquart beizubringen, die tief genug war, daß das Blut durch den Aermel drang. Die Secundanten riefen Halt! Ich ließ sofort mein Rappier sinken; aber er hatte in der Raserei des Zornes über seinen Unfall den Ruf nicht gehört, meine Bewegung nicht gesehen, so wenig, wie ich etwas von dem, was in den nächsten vier Wochen mit mir vorging, sah oder hörte.“

„Er soll ja zweimal zugeschlagen haben,“ sagte Frau Wollnow, „das letzte Mal, als Sie schon auf dem Boden lagen.“

„Ich glaube es nicht, werde es niemals glauben,“ erwiderte Gotthold; „auch unsere Secundanten hatten gewiß den Kopf verloren und konnten später nicht mehr mit gutem Gewissen sagen, wie die Sache zugegangen war. Aber jetzt, verehrte Frau, werther Herr Wollnow, muß ich fürchten, Ihre Geduld erschöpft zu haben, und will mich Ihnen empfehlen. Um Himmels willen! schon zwölf Uhr! es ist unverzeihlich!“ –

„Ich hätte die ganze Nacht zuhören können,“ sagte Frau Wollnow mit einem tiefen Seufzer, indem sie sich ebenfalls, aber sehr langsam, aus ihrem Stuhl erhob. „Ach, die Jugend, die Jugend! man ist doch nur einmal jung.“

„Gott sei Dank,“ sagte Gotthold heiter, „man müßte am Ende sonst seine dummen Streiche zweimal machen.“

„Wer ist so alt, daß er vor Thorheit sicher wäre?“ sagte Herr Wollnow mit einem ernsten Lächeln.

„Du!“ rief Frau Wollnow, indem sie ihren Mann umarmte. „Du bist viel zu alt und viel zu schlecht! Denn man muß nicht blos jung, man muß auch gut sein, wie unser Freund hier, um für alle seine Güte so schlecht belohnt zu werden. Ich kann mir denken, wie Ihnen um’s Herz war, als nun doch Cäcilie diesen Brandow heirathete. – Das süße, holde, siebenzehnjährige Geschöpf diesen Menschen! Ach, wenn man so etwas sieht, sollte man eigentlich den Glauben an die Menschen für immer verlieren!“

„Dieser Glaube soll überhaupt nicht so häufig gefunden werden, weder in Israel noch anderswo,“ sagte Herr Wollnow.

„Gehen Sie –“

„Ich gehe schon, verehrte Frau.“

„Gott, nun fangen Sie auch noch an! Ich wollte sagen: werden Sie wirklich nach Dollan gehen?“

„Jetzt muß ich es ja, wenn ich es nicht schon des Bildes wegen müßte.“

„Weshalb?“

„Mir den Glauben an die Menschheit wieder zu holen, zum mindesten an den mir wichtigsten Theil derselben, an mich selbst,“ erwiderte Gotthold mit einem Lächeln, dessen Spott Herrn Wollnow nicht entging.

„Ich bin recht unzufrieden mit Dir,“ sagte dieser, als er wieder in das Zimmer trat, nachdem er Gotthold bis an die Hausthür begleitet.

„Mit mir?“

„Was muß der Mann nur von mir denken! für welch aufdringlichen, täppischen Gesellen muß er mich halten! Ein wahres Glück, daß ich nicht noch weiter gegangen bin!“

„Aber was habe ich denn nur gethan?“

„Warum hast Du mir denn nie diese famose Jugendgeschichte erzählt, aus der doch klar hervorgeht, daß er Deine Freundin Cäcilie, wie Du sie nennst, obgleich ich von der Freundschaft nie etwas zu sehen bekommen habe, geliebt hat, und wahrscheinlich noch liebt?“

„Glaubst Du das wirklich?“ rief Frau Wollnow, indem sie aufsprang und ihren Gatten umarmte; „glaubst Du das wirklich? Hat er es Dir gesagt?“

Herr Wollnow mußte trotz seines Aergers lachen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 563. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_563.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)