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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

er es ihm schon gezeigt habe? auf welche geheimnißvolle Frage Herr Wollnow lächelnd das stattliche Haupt schüttelte: „Ich wollte Dir die Freude nicht verderben,“ sagte er.

„Du guter Emil!“ rief sie, den Gatten flüchtig auf die Stirn küssend, und dann zu Gotthold gewandt: „Kommen Sie, ich muß Ihnen den Beweis liefern, daß Sie keine Undankbare verpflichteten, als Sie dem kleinen Judenmädchen die Tanzstunde möglich machten. Sehen Sie, dies habe ich zum Andenken an Sie gekauft, und hätte es gekauft, wäre es so werthlos gewesen, wie es unermeßlich werthvoll ist, und so theuer, wie ich meinen Schatz für einen Spottpreis kaufen durfte.“

Sie hatte einen Leuchter ergriffen, und führte Gotthold nun zu jenem Landschaftsbilde, das ihm bereits vorhin über die Breite des Zimmers herüber aufgefallen war. Gotthold zuckte zusammen und konnte nur mit Mühe einen Schrei der Ueberraschung und des Schreckens unterdrücken.

„Es ist Dollan, nicht wahr?“ sagte Ottilie.

Gotthold erwiderte Nichts; er nahm der Dame das Licht aus der Hand und leuchtete über das Bild, das etwas zu hoch hing. – Ja, da war es, das Bild, in das er damals seine Liebe und seinen Schmerz hineingemalt, das Bild, von dem er vorhin Herrn Wollnow erzählt, daß es auf seiner Staffelei stand, an jenem Abend, der in sein Leben eine so wunderbare Wendung brachte. Er hatte, sich selbst zum Beweis, daß er mit der Vergangenheit unwiderruflich gebrochen, und eine neue Phase seines Lebens und Strebens jetzt beginnen müsse, die Skizze verschenkt und das Bild nicht vernichtet, sondern ganz prosaisch auf eine Ausstellung gegeben, von der es auf eine andere, und wieder auf eine dritte und vierte gewandert, und endlich verkauft war, ohne daß er wußte, wohin, an wen? ohne daß er es wissen wollte: es sollte für ihn verschwunden sein. Und doch hatte er in dieser ganzen Zeit die Erinnerung an dies Bild nicht los werden können. Er hätte es aus dem Gedächtniß wieder malen können; aber es wäre immer nicht das durch so viel Schmerzen geheiligte gewesen. Und hier mußte er es wiederfinden, und jetzt, wo seine Seele schon so voll war von dem Zauberduft, den Alles, was er sah, was er hörte, ihm aus jenen Tagen entgegentrug, wie damals jeder Hauch, der um seine Stirn, um seine Wangen strich, den Duft der Tannen und des Meeres und der Liebe.

„Und wie ich dazu gekommen bin,“ sagte Frau Wollnow; „und wie ich nur überhaupt erfuhr, daß es von Ihnen ist; denn Sie wissen, unser Einer sieht nicht nach dem Zeichen, oder ich sah wenigstens damals noch nicht danach. Aber wenn man Glück haben soll! so sagte ich auch zu Cäcilie Brandow, mit der ich – es sind nun sechs Jahre und ich war eben verheirathet – in Sundin auf dem Wollmarkt – hätte ich beinahe gesagt; aber natürlich waren da nur die Herren, und wir Damen waren wegen der Ausstellung mitgefahren; und da traf ich mit ihr zusammen. Wir hatten uns so viel zu erzählen, wie zwei Freundinnen, die sich seit der Pension nicht gesehen; Sie erinnern sich vielleicht nicht, daß ich mit Cäcilie hernach in Sundin in derselben Pension war; – oder wenigstens: ich hatte viel zu erzählen; denn ich fand Cäcilie sehr still – sie hatte damals, glaube ich, ihr zweites Kind noch nicht lange verloren. Dann waren wir in dem Gedränge auseinandergekommen, bis ich sie endlich in einem der abgelegenen Zimmer ganz allein vor diesem Bilde fand, in Thränen, die sie, als ich dazukam, zu verbergen suchte.

‚Mein Gott,‘ sagte ich, ‚ist das nicht –‘

‚Ja,‘ sagte sie, ‚und es ist von ihm.‘

‚Von wem?‘

Mit einem Wort: sie hatte es sofort heraus, und ließ sich auch nicht irre machen, als ich ihr sagte, das ‚G. W.‘ in der Ecke könne ja auch der Himmel weiß wer sein. Sie sehen, ich verstand damals noch nicht viel von der Malerei – heute, wo ich – aber Ihre Hand zittert, Sie können ja den Leuchter nicht mehr halten.“

„Lassen Sie mir das Bild,“ sagte Gotthold; und dann, als er bemerkte, wie die beiden Gatten ihn verwundert anblickten, fügte er in ruhigem Ton hinzu, indem er den Leuchter wieder nach dem Tische trug: „das Bild ist wirklich nicht werth, daß es unter Ihren übrigen, zum Theil vortrefflichen Sachen hängt. Es ist eine Schülerarbeit, überdies nach einer sehr flüchtigen Farbenskizze aus der Erinnerung gemalt. Ich, ich verspreche Ihnen dafür ein anderes, besseres, das ich an Ort und Stelle, von derselben Stelle, wenn Sie wollen –“

„O, das wäre herrlich, das wäre köstlich!“ rief Frau Wollnow. „Ich halte Sie beim Wort: ein anderes, nicht besseres, Sie können es nicht besser machen, es ist unmöglich; aber an Ort und Stelle, eigens für mich von dem berühmtesten Landschafter der Gegenwart, das ist ein Triumph, an dem ich für alle Zukunft zehren kann. Hand darauf!“ Und sie streckte Gotthold die beiden Hände entgegen.

„So,“ sagte Herr Wollnow, „der Vertrag wäre geschlossen, und nun wollen wir ihn nach alter guter Sitte mit einem Trunk besiegeln. Sie sehen, Herr Gotthold Weber, Weiberklugheit geht über Pfaffenlist. Ich hätte lange predigen können, Sie zum Hierbleiben zu bewegen; da kommt die Frau, und der scheue Vogel ist gefangen. Nun, es freut mich, freut mich herzlich.“

„Und wie wird sich Cäcilie freuen!“ rief Frau Wollnow. „Meine arme Cäcilie! ihr thut eine kleine und noch dazu so angenehme Zerstreuung wirklich noth.“

Gotthold verfärbte sich. Er hatte, als er sein übereiltes Versprechen gab, wahrlich an nichts weniger gedacht, als sich auf diese Weise einen bequemen Vorwand zu verschaffen, Cäcilie wiederzusehen.

„Ich glaube, wir können unserem Freunde die Mühe der Reise ersparen,“ sagte Herr Wollnow, „und Du wirst auch mit einer einfachen Copie sehr zufrieden sein.“

„Du hörst ja, es ist gar nicht von einer Copie die Rede,“ rief Ottilie, „sondern von einem neuen, ganz neuen Bilde. Aber davon verstehst Du nichts, guter Emil, oder – er will es nicht verstehen.“

„Ich will nur unsern Freund nicht gleich wieder fortschicken, sondern ihn bei uns und für uns behalten.“

„Aufrichtig, Emil, aufrichtig!“ sagte Frau Wollnow, mit dem Finger drohend. „Die Sache ist nämlich die, Herr Weber, daß er Brandows nicht leiden kann – Gott mag wissen, warum. Das heißt, ich kann ihn ja auch nicht leiden und habe auch keine Ursache dazu, denn er hat mich in der Tanzstunde immer nur in seiner malitiösen Weise geneckt. Aber es handelt sich für mich gar nicht um ihn, sondern um seine himmlische Frau.“

„Und da Mann und Frau Eines sind –“

„Wenn alle so dächten wie Du, lieber Emil – und ich natürlich; aber ohne Ausnahme ist keine Regel, und die Brandow’sche Ehe ist eine so regelrecht schlechte und unglückliche, daß ich wahrhaftig nicht einsehe, weshalb wir –“

„So viel darüber sprechen,“ sagte Herr Wollnow, „was um so unnöthiger ist, als unser Gast wohl kaum ein besonderes Interesse an diesem Thema nehmen dürfte.“

„Kein Interesse,“ rief Ottilie, die Hände zusammenschlagend, „kein Interesse! Ich bitte Sie, Herr Gotthold – wie ich immer wieder in die alte Gewohnheit falle –, verzeihen Sie! – aber sagen Sie doch diesem Manne, der Goethe’s Wahlverwandtschaften abgeschmackt findet –“

„Bitte, unmoralisch habe ich gesagt –“

„Bitte, abgeschmackt – noch vorgestern Abend, als wir bei Conrectors darüber sprachen und Du die unerhörte Behauptung aufstelltest, Goethe habe eine Perfidie – ja, Perfidie sagtest Du – begangen, indem er die einzige Person in dem ganzen Roman, welche etwas Wahres über die Ehe vorbrächte – den Mittler – zu einem Halbnarren machte.“

„Aber was willst Du denn mit Deinen Wahlverwandtschaften?“ rief Wollnow fast ärgerlich.

„Er glaubt nämlich nicht an Wahlverwandtschaft,“ sagte Ottilie triumphirend, „und behauptet, dergleichen spuke, wie die Gespenster, nur im Gehirne von Thoren. Aber die Sache ist, er thut nur so, und heimlich glaubt er doch daran, mehr als mancher Andere, und jetzt ängstigt er sich, wie ein Kind vor Gespenstern, bei dem Gedanken, daß Sie nach Dollan gehen und Ihre Jugendfreundin wiedersehen.“

„Wie Du auch redest!“ sagte Herr Wollnow, seine peinliche Verlegenheit hinter einem gezwungenen Lachen kaum verbergend.

„Gott, wir haben in unserm Kränzchen den ganzen Abend von nichts Anderm geredet!“ rief Ottilie. „Sie müssen nämlich wissen, Herr Gotthold, es sind außer mir noch Drei von unserer Tanzstunde dabei – alle Drei jetzt verheirathet – Pauline Ellis – na, die interessirt Sie nun vielleicht wirklich nicht – Louise Palm – mit den braunen Augen, wir nannten sie immer Zingarella – und Hermine Sandberg – wissen Sie, das

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