Seite:Die Gartenlaube (1872) 544.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

machen lasse, mit einem total falschen Ansatz beginnt, so schicke ich ihn deshalb vielleicht noch nicht fort, aber ich werde ihm nie wieder eine wichtige Aufgabe ohne Controle anvertrauen. Und dann – so lange es noch Zeit ist – sagten Sie? Wann ist es noch Zeit? Vielleicht nie, wenn Zwei sich angehört haben mit Leib und Seele – denn ernste, ehrliche Menschen werden sich doch ihre Seelen geben – vielleicht nie, und ganz gewiß nicht mehr, sobald – und hier komme ich zurück, wovon ich ausging, zu dem O der Ehe, wie es ihr A ist – sobald der Bund, der eben dadurch ein heiliger wird, mit Kindern gesegnet war. Glauben Sie mir, der ich gar manche Beobachtung nach dieser Seite machen konnte: der Riß, der die Gatten trennt, er geht immer, immer mitten durch das Herz der Kinder; sie werden früher oder später diesen Riß schmerzlich fühlen, ihn nie ganz verwinden, vorausgesetzt, daß sie – was freilich nicht allemal der Fall ist – ein Herz haben.“

„Und wird das Herz eines Kindes nicht zerrissen,“ rief Gotthold in schmerzlicher Erregung, „wird es nicht bluten bei dem Gedanken an seine Eltern, die sich gegenseitig zur Qual gelebt, in dieser Qual sich verzehrt haben?“

„Sie würden sich nicht verzehrt haben,“ erwiderte Herr Wollnow, „wenn sie sich in meinem Sinne beschieden hätten, wenn sie sich immer gesagt und immer im Herzen getragen hätten: um unseres Kindes willen dürfen wir nicht verzagen, müssen wir es tragen, müssen wir leben, müssen wir das Hauptbuch unseres Lebens heilig halten und, hat sich wirklich ein Fehler eingeschlichen, rechnen und rechnen, bis wir ihn gefunden. Wer in aller Welt soll für das Resultat stehen als Derjenige, welcher das Buch angelegt! Und dann! es giebt auch einen Bankerott, aus dem der Unglückliche arm, vielleicht bettelarm hervorgeht, mit nichts, seine Blöße zu bedecken, als dem Bewußtsein: du hast deine Pflicht, hast deine Schuldigkeit gethan. Wehe dem, der das nicht von seinen Eltern denken, wohl dem, der es denken und sagen und an den Gräbern seiner Eltern schmerzliche und doch süße Thränen weinen und in Frieden weiter ziehen kann.“

Gotthold’s Kopf ruhte in der aufgestützten Hand. „Laß uns Frieden haben,“ hatte er zu dem Schatten seines Vaters gesagt, und schmerzliche und doch süße Thränen waren aus seinen Augen auf seiner Mutter Grab gefallen. Würden sie weniger süß gewesen sein, wenn sie den Vater, den sie, der sie nicht glücklich machen konnte, verlassen? wenn sie ihr Glück in den Armen eines Andern gesucht und vielleicht gefunden hätte?

Herrn Wollnow’s dunkle Augen hafteten mit einem Ausdrucke halb des Mitleids, halb der Strenge an den edlen, von Trauer und Zweifel verdüsterten Zügen seines Gastes. Hatte er bereits zu viel, hatte er noch nicht genug gesagt? sollte er schweigen, sollte er weiter sprechen, dem jungen Manne, der seiner Mutter so ähnlich sah und doch auch wieder so viel von seinem Vater hatte, die Geschichte seiner Eltern erzählen?

Doch da ertönte die Hausglocke und in demselben Momente auf dem Flur auch schon die Stimme seiner Gattin. Sie war die Frau dazu, hätte das Gespräch eine zu ernste, vielleicht bedenkliche Wendung genommen, mit ihrer muntern Laune die Männer bald wieder auf andere und heiterere Gedanken zu bringen.


(Fortsetzung folgt.)




Aus dem Todtentanz der Geschichte.[1]


Von Feodor Wehl.


1. Wie Fürsten und Monarchen sterben.


(Schluß.)


Viel leichter als Karl der Neunte schied Jakob der Erste, der Nachfolger, den Elisabeth sich gab und der ein Sohn der Maria Stuart und des Darnley war, aus dem Leben. Nach Allem, was man von ihm weiß, war er ein etwas curioser, sehr gebildeter, aber abergläubischer Mensch, der echte Vorfahre Karl des Ersten, gutmüthig und eigenmächtig zugleich. Er ließ sich im Sterben andächtige Gebete lehren und drückte sich mit eigenen Händen die Augen zu.

Mit einer seltsamen Wahrnehmung schloß Ludwig der Dreizehnte von Frankreich seine Augen. Als er sich dem Tode nahe fühlte, aber wohl noch nicht an sein Ende glaubte, ließ er sich den fünfjährigen Dauphin auf’s Bett setzen, um sich von ihm vorplaudern zu lassen. Nachdem das eine Weile geschehen, fragte er den Knaben scherzend: „Wie heißt Du denn?“

„Ludwig der Vierzehnte!“ antwortete das Kind.

„Noch nicht! Noch nicht!“ stöhnte der Leidende, indem er ein Zeichen gab, den Knaben fortzunehmen, und sich dann zur Wand kehrte.

Nie ist die französische Staatsregel: „Der König ist todt, es lebe der König“, eindringlicher und eclatanter gepredigt worden, als von solchen Kindeslippen.

Gefaßten Geistes und „mit dem Muthe eines ritterlichen Herrn, mit der Geduld und Milde eines reuigen Christen“ endete Karl der Erste. In der Nacht vor seiner Hinrichtung schlief er vier Stunden überaus fest und ruhig in St. James. Dann ließ er sich von seinem Diener ankleiden. „Gieb Dir Mühe wie sonst mit meinem Anzuge,“ sagte er zu diesem, „ich will heute festlich erscheinen wie ein Bräutigam.“

Bei Tagesanbruch kam Bischof Juxon und der König betete inbrünstig mit ihm, bis der Oberst Hacker meldete, daß es Zeit geworden, sich nach Whitehall zu begeben. Hierauf erhob er sich und ging, von dem Bischof und dem Oberst Tomlinson begleitet, zwischen einem Spalier von Soldaten, festen Schrittes und unter fast heiteren Gesprächen durch den Park, der zwischen seinem Gefängniß und dem berühmten Staatspalaste lag. In seinem Schlafzimmer zu Whitehall empfing er aus Juxon’s Händen knieend das heilige Abendmahl. Um ein Uhr klopfte Hacker an die Thür, zum Zeichen, daß Alles bereit sei. Der König war es auch. Zwischen zwei Reihen Soldaten, die schweigend dastanden, hinter ihnen viele Männer und Frauen, die sich mit Lebensgefahr durchgedrängt hatten und still für den König beteten, schritt er durch den sogenannten Banketsaal, an dessen äußerstem Ende man am Tage vorher eine Oeffnung in die Mauer geschlagen hatte, die gerade auf das schwarzbeschlagene Blutgerüst hinausführte. Dort erwarteten ihn zwei verlarvte Henker zur Seite des Blockes, auf welchem das Beil lag. Unerschüttert von diesem Anblick, trat er festen Fußes an den Rand des Schaffots, um zu dem Volke zu reden. Da er aber sah, daß die Truppen dasselbe weit zurückgedrängt hatten und den Platz rings um ihn einnahmen, wandte er sich an Juxon und Tomlinson, indem er seine Unschuld betheuerte, seinen Feinden verzieh und bat, daß Gott ihre Herzen zur Reue wenden möge. In der Verachtung der Rechte des Herrschers, meinte er, liege der Grund alles Unglücks für das Volk; nicht im Mitregieren bestehe die Freiheit, sondern in den das Leben und Eigenthum schützenden Gesetzen. Nur wenn dies anerkannt werde, könne das Reich den Frieden und die Unabhängigkeit wieder erlangen. Er habe gethan, was seines Amtes gewesen, und sterbe ein Märtyrer des Königthums von Gottes Gnaden. So ungefähr lauteten seine Worte, und da er während derselben bemerkte, daß Jemand der Umstehenden, um die Schärfe des Beiles zu prüfen, verstohlen dessen Schneide mit dem Finger berührte, unterbrach er sich und sagte zu diesem: „Verletzt das Beil nicht, es möchte sonst mich verletzen.“

Nachdem er seine Rede geendet, setzte er sich eine seidene Kappe auf, unter die er vorsorglich sein Haar versteckte. Hierbei gewahrend, daß Jemand sich ziemlich unvorsichtig dem Blocke näherte, rief er abermals: „Nehmt Euch in Acht mit der Axt, ich bitte, nehmt Euch in Acht!“ und sich dann zu Oberst Hacker wendend, fügte er hinzu: „Traget Sorge, daß man mir keinen unnöthigen Schmerz verursacht!“ Dann, als er gesehen, daß einer der Verlarvten die Axt ergriffen, sprach er zu diesem: „Ich werde, wenn ich den Kopf auf den Block gelegt, noch ein kurzes Gebet sprechen und hierauf meine Arme ausstrecken. Das mag das Zeichen für Deine Verrichtung sein.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_544.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)