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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

eingetroffen, welche Seine Heiligkeit sehr in Anspruch nehmen; aber geben Sie die Hoffnung nicht auf, daß die Audienz stattfinden wird.“

Da stand ich nun! Es war im Grunde eine Lächerlichkeit, zu erwarten oder gar zu verlangen, daß der Mann, welcher in diesem Augenblicke vielleicht über das Schicksal eines ganzen Landes entschied, sich im nächsten dazu hergeben sollte, die Neugierde eines hergelaufenen Touristen zu befriedigen, der nicht gern in Rom gewesen sein wollte, ohne den Papst gesehen zu haben. Und doch, wie würde es mich zeitlebens geschmerzt haben, unverrichteter Sache zurückkehren zu müssen, nachdem ich so nahe am Ziele gewesen!

Ich begann meine Wanderung die Galerie auf und ab von Neuem, aber schon in Aufregung; die schönen Redensarten waren alle vergessen. Mehrmals schritten wiederum eiligen Schrittes Geistliche mit ernsthaften und erregten Mienen an mir vorbei. Ich merkte wohl, daß etwas Außergewöhnliches vor sich ging; mit jeder Viertelstunde des Wartens sank meine Hoffnung. Es schlug zehn Uhr. Von den nahen Kirchen ertönten die Glocken – mir war, als wäre es das Grabgeläute meiner Wünsche und Hoffnungen. Rasch berechnete ich, ob es möglich sei, noch einige Tage in Rom zu verweilen, um eine neue Audienz zu erwarten; aber mein Urlaub war abgelaufen, und die Rückkehr nach Deutschland wurde mit jedem Augenblicke dringender. Kaum hatte ich indeß voll Resignation den Entschluß gefaßt, unter allen Umständen Rom jetzt zu verlassen, da erschien der Kammerherr und sagte freundlich:

„Entschuldigen Sie das lange Warten – ist es Ihnen jetzt gefällig, mir zu folgen?“ – Dann führte er mich durch eine lange Reihe von Zimmern, stieß eine Flügelthür auf und blieb an derselben stehen mit den Worten: „Belieben Sie hier hereinzutreten.“

Ich trat über die Schwelle, die Thür schloß sich hinter mir; ich stand in einem kleinen schwach erleuchteten Gemache mit rothen Seidentapeten, von dessen Inhalte ich im ersten Augenblick durchaus Nichts erkennen konnte. Ich erwartete, wie bei Audienzen in Deutschland üblich, Se. Heiligkeit würde nach einigen Augenblicken durch eine andere Thür hereintreten. Aber noch ehe ich mich dazu in angemessene Stellung setzen konnte, sprach eine Stimme von unendlichem Wohlklange: „Approchez, Monsieur“ (Treten Sie näher, mein Herr). Nun bemerkte ich, daß ich nur fünf Schritte von dem Statthalter Christi auf Erden entfernt stand. Pius der Neunte saß auf einem kleinen Lehnstuhl vor seinem Arbeitstische; ein dichter Lichtschirm von grüner Seide hinderte den Schein der beiden auf dem Tische stehenden Arbeitslampen, auf ihn zu fallen. Er schob den Schirm zur Seite; nun erkannte ich sein edles Gesicht, welches ich schon bei so vielen Gelegenheiten stets mit dem größten Interesse betrachtet hatte. Rasch trat ich näher; er streckte mir die feine mit Ringen gezierte Hand entgegen. Ich beugte, der empfangenen Belehrung gemäß, in angemessener Weise das Knie und küßte die Hand. Dann trat ich ehrerbietig einige Schritte zurück und er wartete, daß Se. Heiligkeit das Wort an mich richten würde.


(Schluß folgt.)




Was die Schwalbe sang.


Von Friedrich Spielhagen.


(Fortsetzung.)


Herr Wollnow öffnete die Thür zu einem geräumigen, halb als Speisezimmer, halb als Wohnraum behaglich ausgestatteten Gemache und lud seinen Gast ein, an dem mit schneeweißem Linnen gedeckten und mit allerlei guten Dingen in kostbarem Porcellan und mehreren Flaschen Wein besetzten Tische Platz zu nehmen. Gotthold’s Blicke schweiften, während er sich setzte, nach ein paar größeren und kleineren Oelbildern, die an den Wänden schicklich vertheilt waren.

„Halten Sie dem Künstler seine Neugier zu gut,“ sagte er.

„Ich verstehe wenig oder nichts von Ihrer schönen Kunst,“ erwiderte Herr Wollnow, indem er sich die Serviette unter dem vollen Kinn befestigte, „aber meine Frau ist eine große Liebhaberin und, wie sie in schwachen Stunden sich einredet, Kennerin. Sie müssen ihr die Freude lassen, Ihnen ihre Schätze zu zeigen. Ich fürchte freilich, die kleine Sammlung wird wenig Gnade vor Ihren Augen finden, mit Ausnahme etwa eines Bildes, das auch ich für ein Meisterstück halte und das von Allen, die es sehen, höchlich bewundert wird.“

Gotthold wäre gern näher an die Bilder getreten, von denen ihm eines, das etwas weiter weg hing, sonderbar bekannt vorkam; aber Herr Wollnow hatte bereits die grünen Gläser mit duftendem Rheinweine gefüllt, und eine ältliche robuste Frauengestalt kam geräuschvoll herein, eine dampfende Schüssel frisch gebratener Seefische in den feuerrothen Händen.

„Stine behauptet, Sie hätten die Flundern immer besonders gern gemocht,“ sagte Herr Wollnow, „und da hat sie sich denn nicht nehmen lassen, Ihnen Ihr ehemaliges Lieblingsgericht selbst zu präsentiren.“

Gotthold blickte zu der robusten Person empor und erkannte alsbald die gute Stine Lachmund, welche während seiner Knabenzeit in dem Hause von Dollan an Stelle der kränklichen Frau die innere Wirthschaft beinahe, und nach deren Tode ganz allein geführt, und aller Welt und besonders auch den Knaben gegenüber sich in ihrer manchmal nicht leichten Stellung immer mit gutem Verstand und gutem Humor zu behaupten gewußt hatte.

Er reichte der alten Freundin die Hand, in welche diese kräftig einschlug, nachdem sie die Schüssel auf den Tisch gesetzt und die feuerrothen Hände ganz unnöthiger Weise an der Schürze abgewischt hatte.

„Ich wußte es ja, daß Sie mich wiedererkennen würden,“ sagte sie, und ihr dickes Gesicht strahlte vor Freude bei diesen Worten. „Aber Herr meines Lebens, wie haben Sie sich verändert! was sind Sie für ein hübscher Mensch geworden! Sie hätte ich nicht wieder erkannt!“

„So war ich damals wohl verzweifelt häßlich, Stine?“ fragte Gotthold lächelnd.

„Na, es ging so,“ sagte Stine mit ernsthaftem Forscherblick; „hübsche blaue Augen hatten Sie, das ist wahr, aber die schauten immer so groß und traurig, daß es Einen jammern konnte. Und dann das magere Gesichtchen entzwei geschlagen, von da bis da – es sah schrecklich aus; so einen guten Jungen noch dazu, es war zu schändlich –“

„Das ist Alles längst vergessen,“ sagte Gotthold.

„Und ein großer Bart darüber gewachsen,“ ergänzte Stine.

„Du kannst Line sagen, daß sie uns von dem Rothgesiegelten hereinbringt,“ sagte Herr Wollnow, der zu bemerken glaubte, daß sein Gast diese Erkennungsscene abgebrochen wünschte. „Sie müssen verzeihen,“ fuhr er, nachdem Stine nach nochmaligem Handschütteln hinausgegangen war und das hübsche junge Dienstmädchen, das auf leisen Sohlen kam und ging, die Aufwartung der Herren übernommen hatte, zu Gotthold gewendet fort, „Sie müssen mir verzeihen, daß ich Ihnen diese kleine Scene nicht ersparte. Die gute Person hatte sich so auf Ihr Kommen gefreut, und wer in die Heimath zurückkehrt, muß sich schon darauf gefaßt machen, auf Tritt und Schritt alten bekannten Gesichtern zu begegnen.“

„Ich habe es heute erfahren,“ erwiderte Gotthold; „auch Ihre Frau Gemahlin, sagten Sie –“

„Ist stolz darauf, Sie gekannt zu haben, als Sie noch kein berühmter Maler, sondern ein scheuer Knabe von ungefähr dreizehn Jahren waren, der sich hartnäckig weigerte, an einer Tanzstunde, welche die hiesigen Honoratiorenmütter mühsam zusammengebracht, theilzunehmen, und dann doch theilnahm, als er hörte, es wolle sonst Keiner mit der kleinen Ottilie Blaustein tanzen. Sie hat Ihnen diese Großmuth nicht vergessen.“

„Und sie – Fräulein Ottilie –“

„Ist seit sechs Jahren meine Frau,“ sagte Herr Wollnow. „Sie sehen mich mit discretem Erstaunen an; Sie haben schnell ausgerechnet, daß die kleine Tanzstundendame von damals heute nicht viel über fünfundzwanzig Jahre sein könne, und Sie taxiren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_541.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)