Seite:Die Gartenlaube (1872) 539.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Ableiter folgt und weder Gebäude noch Menschen in dessen Nähe beschädigt. Gegenwärtig ist die Wissenschaft über den großen Nutzen der Blitzableiter längst einig, aber im Publicum trifft man noch vielfach die unrichtigsten Ansichten in dieser Beziehung. Manche, die von der anziehenden Wirkung des Blitzableiters gehört haben, glauben, daß ein mit einem solchen Apparate bewaffnetes Gebäude mehr bedroht sei als jedes andere. Um die Grundlosigkeit dieser Meinung darzuthun, will ich den gegenwärtigen Artikel mit einem Beispiele schließen, das auch selbst sehr voreingenommene Gemüther überzeugen dürfte.

Palästina ist ein Land, in welchem sehr zahlreiche und heftige Gewitter vorkommen, trotzdem ist im Verlaufe von tausend Jahren der Salomonische Tempel zu Jerusalem nicht ein einziges Mal vom Blitze getroffen worden. Dieser Tempel besaß ein mit stark vergoldetem Cedernholze getäfeltes Dach, das von einem Ende bis zum andern mit langen, spitz zulaufenden und vergoldeten Eisenstangen besetzt war, um, wie Josephus berichtet, die Vögel abzuhalten sich darauf niederzulassen und dasselbe zu verunreinigen. An den Seiten war das Gebäude ebenfalls allenthalben mit stark vergoldetem Holze bekleidet, und unter dem Vorhofe befanden sich Behälter, in denen sich das vom Dache ablaufende Wasser, durch Metallröhren fließend, ansammelte. Das Ganze stellte also einen Blitzableiter im größten Maßstabe dar, und ohne eine Ahnung hiervon zu haben, hatte der Baumeister des jüdischen Tempels denselben so gut gegen den Blitz geschützt, daß nur wenige Gebäude der Gegenwart eine ähnliche Sicherheit durch Blitzableiter darbieten. In der Verschonung des Salomonischen Tempels von Blitzschlägen innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahrhunderten besitzen wir also einen der schönsten Beweise für die schützende Wirksamkeit dieser Apparate.




Aus der Glanzzeit Pius des Neunten.[1]
Von einem braunschweigischen Officier.


Es war am 26. März 1848. Hoch schlugen bereits überall in Europa die Wogen der Revolution. Frankreich war Republik geworden; Wien hatte den Sturz des allgewaltigen Metternich gesehen; in Berlin hatte Friedrich Wilhelm der Vierte die Revolution erst mit Waffengewalt niedergeworfen, dann aber selbst anerkannt. Auch Italien stand in Flammen, ja es war der eigentliche Herd der revolutionären Bewegung gewesen. Und an der Spitze der Freiheits- und Einheitsbewegungen Italiens befand sich das Oberhaupt der katholischen Kirche selbst, der Papst Pius der Neunte. Es war ein wunderbares Schauspiel: ein liberaler Papst, damals der Abgott des ganzen italienischen Volkes. Und doch wie natürlich! Noch mächtiger als in der deutschen Nation lebte in der italienischen der Drang nach Einheit. Denn noch lastete auf zweien der schönsten Länder der Halbinsel, der Lombardei und Venetien, die Fremdherrschaft und wurde vom Volke, namentlich den höheren Ständen, als eine unerträgliche Schmach empfunden. Und darum richteten sich Aller Augen auf den Mann, von dem sie hofften, er könne und werde die Einheit herbeiführen: auf Pius den Neunten. Diese Hoffnung erschien damals keineswegs so thöricht. Die Vereinigung der einzelnen Länder Italiens zu einem Bunde, ein Haus der italienischen Fürsten unter dem Ehrenpräsidium des Papstes und eine gemeinschaftliche Vertretung des italienischen Volkes – das waren die Wünsche und Pläne des Papstes und der Italiener, die verhältnißmäßig geringe Anzahl der Republikaner ausgenommen. Pius der Neunte war Italiener und Patriot; er trat an die Spitze der Bewegung, um sie zu leiten, in Schranken zu halten und den Strom der Revolution zu hindern, die Dämme zu durchbrechen und sich verheerend über das Land zu ergießen. Darum war er auch der Auserwählte der ganzen italienischen Nation. Man sang Hymnen auf ihn, man gab ihm die schönsten, die hochtrabendsten Namen, und wo er sich zeigte, war er der Gegenstand begeisterter Huldigungen. Freilich hatte mir schon am Schlusse des Jahres 1847 in Civita Castellana ein feiner Jesuit bei einer Flasche Orvieto gesagt: „Wenn Sie morgen nach Rom kommen, werden Sie sehen, daß Alles nur ein Possenspiel ist, welches zu gar Nichts führen kann und wird.“ – Dennoch war es unmöglich, daran zu zweifeln, daß Pius der Neunte so warm und aufrichtig, wie je ein Fürst, das wahre Beste Italiens auf dem Wege der freiheitlichen Reform suchte. An dem Tage, von welchem ich rede, erschien die Lage Italiens auch noch durchaus hoffnungsvoll. Man prophezeite der französischen Republik nur kurze Dauer und fürchtete von ihr keinerlei Eingriffe; man wußte, daß Oesterreich am Rande des Zerfalles stand und daß Mailand sich bereits erhoben hatte; von den Ereignissen der Berliner Märztage aber hatte man in Rom noch keine Kunde.

Auch wir deutschen Touristen waren aus der Ruhe aufgeschreckt. Bis jetzt hatten wir die italienische Revolution, welche sich seit mehreren Monaten in liebenswürdiger und heiterer Weise vor unsern Augen vorbereitete und abspielte, als ein ergötzliches Schauspiel betrachtet, welches uns selbst nur wenig anginge. Der Sturz Metternich’s war von uns mit Freuden begrüßt – Deutschland war ja von dem Alp befreit, der so unsäglich auf ihm gelastet hatte. Aber daß das tapfere österreichische Heer nach dreitägigem Straßenkampfe Mailand und die Lombardei hatte räumen müssen, das griff uns trotz aller Sympathien für Italien tief an’s Herz. Bellona begann ihre Locken zu schütteln, und unseres Bleibens war nicht länger in dem „Schmuck der Städte“. Jeder rüstete sich zur Heimkehr und war froh, wenn Torlonia noch den deutschen Creditbrief honorirte, und nicht ein gar zu unsinniges Agio für die französischen Goldstücke berechnete. Auch kleine Conflicte hatte es schon gegeben. Das übliche „Morte ai Tedeschi“ war freilich ein durchaus harmloser Ruf, und mehr als einmal, wenn wir während des Carnevals auf dem Corso mit unsern Damen fuhren, furchtlos die deutschen Farben zur Schau tragend, ertönte aus denselben Kehlen ein freudiges „Evvivano le donne Prussiane!“ Als wir aber am 21. März, wo beim Eintreffen der Nachricht von der Wiener Revolution das Volk vom Palaste der österreichischen Gesandtschaft das kaiserliche Wappen herabriß, hinter einem Esel den Corso hinabschleifte und auf der Piazza di Popolo verbrannte, als wir da im deutschen Künstlerclub zum Zeichen entrüsteter Mißbilligung plötzlich unsere prachtvolle Fahne einzogen, da drohte man uns mit gewaltsamem Angriff auf unser Casino und die dort vorhandenen Kunstschätze, und nur die bestimmte Erklärung, wir würden den Palazzo Ruspoli mit bewaffneter Hand vertheidigen, bewog die Leiter der Volksbewegung, von ihrer bösen Absicht abzustehen.

Auch heute ging es in der Siebenhügelstadt wieder lustig her. Irgendwo war „Revolution“, wie fast täglich, d. h. man zog unter Anführung populärer Demagogen mit Fahnen und Musik vor das Haus eines Mißliebigen, tobte dort eine Zeitlang, verfügte sich darauf zum Quirinalischen Palaste, sang die Nationalhymne, brachte Pius dem Neunten ein Vivat, ließ sich seinen Segen ertheilen und ging dann ganz vergnügt nach Haus, fest überzeugt, wieder einmal das Vaterland gerettet zu haben.

  1. Die Gegenwart ist durch eine Reihe jesuitisch-hierarchischer Schöpfungen, wie „Unbefleckte Empfängniß“, „Syllabus“, „Encyklica“, „Sanct Arbues“, „Unfehlbarkeit“ etc. so sehr daran gewöhnt, in Pius dem Neunten das Urbild eines religiösen und politischen Reactionärs zu erkennen und zu belächeln, daß es der jüngeren Generation unserer Leser schwer werden wird, an die Wahrheit eines Bildes zu glauben, welches denselben Mann, nur vier- bis sechsundzwanzig Jahre früher, als einen gefeierten italienischen Patrioten, als einen angebeteten römischen Volkstribun im Purpur darstellt. Und doch strahlte dieser Papst in so unerhörtem Glanze des wohlverdientesten Ruhms, daß sein Name damals auch im protestantische Europa, und namentlich in Deutschland, nur mit Verehrung genannt wurde. Er war in der That ein Neuerer im besten Sinne des Wortes, schon als Erzbischof in seinem Sprengel, und als Papst im ganzen Kirchenstaat, ein Reformator allerdings nur in weltlichen Dingen: seine Verbesserungen erstreckten sich auf den Jugendunterricht, auf Steuer-, Post- und Polizeiwesen, auf Erleichterung des Preßzwanges, Hebung des Verkehrs, er zog Laien in den Staatsdienst, sogar in sein Ministerium, gab den Römern eine Stadt- und verhieß seinem Lande sogar eine Staatsverfassung mit Volksvertretung! Letzteres glich einer Drohung für Oesterreich und erregte den Zorn Metternich’s, diesem schlossen sich die Jesuiten an, und später erhob auch der „Präsident“ Louis Napoleon seinen Drohfinger gegen den „liberalen“ Papst. Man zwang ihn auf andere Wege – und wo er auf diesen schließlich angekommen ist, sehen wir heute. Aber gerade deshalb halten wir es für gerecht, einmal auch jener Zeit des Pio Nono wieder zu gedenken, wo er so verehrungswürdig und gewiß in seinem Herzen glücklich war.
    Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_539.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)