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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

„Wir hatten,“ schreibt Herr Pfeffer, „unser Leben aufgegeben, marschirten deshalb, obgleich dadurch die Gefahr vergrößert wurde, mit aufgespanntem Regenschirme, und ich betrachtete Alles mit einer gewissen stoischen Ruhe. Wir hörten nur ein starkes Knistern der Blitze, die, so dick wie schwache Strohhalme, bald von einer Wolkenschicht zur andern, bald in die Tiefe fuhren, aber häufig in Entfernungen von zwei bis vier Fuß uns umzüngelten. Plötzlich fuhr ungefähr anderthalb Fuß vor mir ein Blitzfunken aus der Erde, der sich etwa drei bis vier Fuß erhob und sich hier mit einem aus der Wolke kommenden Funken vereinigte. Ich stand im ersten Augenblicke wie geblendet und in einer starken Dunstatmosphäre. Der Funken war beinahe aus derselben Stelle des Bodens gekommen, wo ich gerade meinen Fuß hinsetzen wollte. Nachdem wir nun ungefähr eine Viertelstunde weiter marschirt waren, kamen wir plötzlich über die Wolken und sahen über uns ganz klaren Himmel und Sonnenschein.“

Am 5. Juli 1832 befand sich Herr Oberst Buchwalder auf dem Gipfel des Säntis in der Schweiz, um daselbst ein für die Vermessungen dienendes Signal aufzurichten. Es regnete und aus der Ferne ließ sich rollender Donner vernehmen, der näher und näher kam. Herr Buchwalder war mit seinem Gehülfen aus dem Zelte getreten, um das Unwetter zu beobachten; allein die heftigen Blitze veranlaßten sie, sich wieder zurückzuziehen. Bald war die ganze Spitze des Berges in eine düstere Wolke eingehüllt. Die Luft, von ununterbrochenen Blitzen erhellt, schien in Flammen zu stehen; unaufhörlich rollte der Donner und wurde in tausendfachem Echo von den Bergwänden zurückgeworfen. Buchwalder’s Gehülfe gerieth in die größte Aufregung. Um ihn zu beruhigen, erzählte ihm sein Vorgesetzter, daß auch Biot und Arago bei ihren Vermessungen in Spanien auf den Gebirgshöhen von Gewittern überfallen worden seien, daß aber die Blitze an dem Zelte herab in den Boden gegangen seien, ohne Jemanden zu beschädigen. In diesem Momente erschien auf dem Boden des Zeltes zu den Füßen des Gehülfen eine feurige Kugel; dieser erblickte sie und rief aus: „Ach Gott!“ Dann stürzte der Feuerball auf ihn zu und warf ihn zu Boden. Herr Buchwalder selbst empfing eine heftige Erschütterung an seinem linken Schenkel, und ein allgemeines Zittern seiner Glieder stellte sich ein. Ungeachtet der eigenen Schmerzen versuchte er, seinem Begleiter beizustehen, aber alle Bemühungen waren vergeblich. Derselbe war todt. Seine linke Seite zeigte braune und röthliche Flecken; Haare, Augenlider und Augenbrauen waren zum Theil verbrannt. Herrn Buchwalder war es selbst zu Muthe, als wenn er sterben müsse, doch war die Gefahr vorüber, und mühsam schleppte er sich bis zum Dorfe Saint Johann.

Von der Ebene aus erblickt man die Gewitterwolken hoch und meist in majestätischer, düsterer Größe durch die Luft dahinziehen; wie hoch sie sich über dem Boden befinden, das entzieht sich hier natürlich der unmittelbaren Beurtheilung. Es ist aber interessant und wissenschaftlich von einer gewissen Wichtigkeit, die Entfernung einer vorüberziehenden Gewitterwolke vom Beobachter zu kennen. Mancher glaubt aus der Stärke des Donners auf die Entfernung der Gewitterwolke schließen zu dürfen, aber das ist ganz unrichtig; die Heftigkeit des Donners giebt für diese Entfernung gar keinen Maßstab ab. Um dieselbe einigermaßen zu ermitteln, bedient man sich einer einfachen Methode. Man zählt nämlich die Anzahl der Secunden, welche zwischen dem Aufleuchten eines Blitzes und dem nachfolgenden Donner verfließen. Multiplicirt man diese Secundenzahl mit tausend, so erhält man annähernd die gerade Entfernung des Ausgangspunktes jenes Blitzes vom Beobachter in Pariser Fuß. Auf diese Weise kann man im Allgemeinen beurtheilen, ob ein Gewitter näher kommt oder sich entfernt. Will man genau die Höhe einer Gewitterwolke über der Erdoberfläche erfahren, so geschieht dies durch Hülfe einer kleinen mathematischen Rechnung, auf die ich aber, meinem Zwecke gemäß, hier nicht weiter eingehe.

In unseren Alpenländern ziehen die Gewitter meist in Höhen von fünf- bis sechstausend Fuß dahin. Doch kommen auch weit höhere Gewitterwolken daselbst vor. So fand ich zum Beispiel am 24. Juli 1861 die senkrechte Höhe des Anfangspunktes zweier Blitze zu neuntausendvierhundert Fuß. Beide Blitzstrahlen durchliefen einen Weg von mehr als einundzwanzigtausend Fuß und stürzten sich auf ein kleines Gartenhäuschen, in dessen Nähe eine Frau erschlagen wurde. Am 26. August 1827 entlud sich über dem Kloster Admond in Steiermark ein Gewitter aus einer Wolke, die nur neunundachtzig Fuß hoch schwebte und noch nicht fünfundzwanzig Fuß dick war. Die herausfahrenden Blitze tödteten zwei Priester im Chore der Klosterkirche. Man ersieht aus diesen Beispielen, wie verschieden die Höhen sein können, in welchen Gewitterwolken schweben. Natürlich ist damit, unter übrigens gleichen Umständen, auch die Gefahr, vom Blitze getroffen zu werden, eine verschiedene. Nehmen wir eine Gewitterwolke in sechstausend Fuß Höhe schwebend, eine andere aber in dreitausend Fuß Höhe an, so ist im ersteren Falle eine viermal so große Fläche der Gefahr des Blitzschlages ausgesetzt, für jeden einzelnen Punkt ist also diese Gefahr viermal geringer als im letzteren Falle. Dazu kommt noch, daß mit zunehmender Höhe überhaupt die Anzahl der auf die Erde herabfahrenden Blitzstrahlen geringer wird. Denn nur der weitaus geringste Theil der bei einem Gewitter entstehenden Blitze schlägt überhaupt auf den Erdboden herab; die meisten verlöschen in der Luft, oder um richtiger zu sprechen, die meisten Blitze haben ihre beiden Ausgangspunkte in den Wolken, und nur bei einigen wenigen liegt ein Ausgangspunkt in der Gewitterwolke, der andere befindet sich auf der Erde.

Wie dem aber auch immer in jedem einzelnen Falle sein möge, so viel steht fest, daß der Weg des Blitzes niemals ein zufälliger, sondern stets ein durch bestimmte Umstände vorgeschriebener ist. Die unterirdischen Wassermassen, die mit Flüssen und Meeren durch die verschiedenartigsten Canäle in Verbindung stehen, sind das gemeinsame Reservoir der sich gegen die Erde entladenden Gewitterwolken. Um dieses Reservoir zu erreichen, durchläuft der Blitz seine Bahn, und zwar benutzt er hierbei alle die Gegenstände, welche ihm eine gute Fortleitung gewähren, also Metalle, feuchte Luftschichten, spitze, hoch hervorragende Gegenstände, Bäume u. dgl. Solchen Körpern hat man daher beim Gewitter vorzugsweise aus dem Wege zu gehen, um sich nicht zufällig in die Bahn des Blitzes zu begeben und daher von diesem getroffen zu werden. Solche Vorsichtsmaßregeln, besonders das Vermeiden von Bäumen während des Gewitters, kennt heutzutage Jedermann; nichtsdestoweniger liest man jeden Sommer in den Zeitungen über Unglücksfälle durch den Blitz, die in Folge der eigenen Unvorsichtigkeit der Erschlagenen sich ereignen. Lichtenberg hatte sehr Recht, als er bemerkte: „Die Menschen werden vom Blitze erschlagen, weil sie es nicht anders haben wollen.“

Es giebt gewisse Orte, welche häufiger von Blitzschlägen heimgesucht werden als andere; der Grund hiervon ist in der geologischen Beschaffenheit und den Terrainverhältnissen dieser Gegenden zu suchen. Eine solche Localität ist z. B. „el Sitio de Tumba barreto“ in der Nähe der Goldmine von „Vega de supia“ in Neu-Granada (Südamerika). Niemand hält sich hier zur Zeit der Gewitter gern auf. Als Boussingault diese Gegend bereiste, streckte ein Blitzstrahl den Neger, der ihn führte, an seiner Seite zu Boden. Bei Popayan befindet sich eine Localität, „Loma de Pitago“, die ebenfalls wegen der Häufigkeit der dort einschlagenden Blitze verrufen ist. Ein junger schwedischer Botaniker, Planchemann, der trotz der Warnungen der Eingebornen während eines Gewitters diesen Ort besuchte, wurde daselbst vom Blitz erschlagen. Bei uns kennt man ebenfalls gewisse Localitäten, welche mehrfach vom Blitz getroffen wurden. Den Förstern sind mannigfache Beispiele bekannt, daß Blitzschläge wiederholt die nämlichen Bäume mitten im Walde treffen. In allen solchen Fällen sind es locale Ursachen, welche vorzugsweise den Blitz anziehen; je bedeutender eine solche Anziehung ist, oder mit anderen Worten, je besser die Leitung ist, welche an einem bestimmten Punkte dem Blitze nach den unterirdischen Wassermassen hin geboten wird, um so sicherer wird ein Blitzstrahl hierhin seinen Weg nehmen, statt nach einem benachbarten Orte.

Auf dieser Thatsache beruht auch die ganze Wirksamkeit der Blitzableiter. Diese so überaus einfachen und doch bei richtiger Construction so sicher wirkenden Apparate haben keineswegs, wie Viele irrthümlich meinen, den Zweck, den Blitz von dem Orte, woselbst sie angebracht sind, abzuhalten, sondern ganz im Gegentheile ziehen sie den elektrischen Strahl an. Indem sie aber den Blitz anziehen, bieten sie ihm gleichzeitig den bequemsten Weg in die Tiefen der Erde, so daß der etwa herabstürzende Strahl dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_538.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)