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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

schmalen Streifen auf, warf sie in die Schale und schüttelte sie durcheinander. Indem er den Becher mit feierlicher Miene emporhob, sagte er mit Emphase: „Ehe Sie das große Loos ziehen, Triefels, müssen noch verschiedene Stipulationen gehört und insgesammt genehmigt werden: Paragraph Eins: Der Bevollmächtigte wird ohne jeden Einwand derjenigen Schönen die Cour schneiden, welche ihm Fortuna bestimmt, auch in dem Falle, daß ihm eine Andere besser gefällt.“

„Angenommen,“ nickte Triefels.

„Paragraph Zwei: Er giebt sein Ehrenwort, daß er, der Feldzug möge nun ablaufen, wie er wolle, nach Beendigung des Balles im zweiten Restaurationszimmer mit uns zusammentrifft und Sieg oder Niederlage bekennt.“

„Abgemacht, versteht sich von selbst!“

„Paragraph Drei: Im Fall er abblitzt, werden die zehn Flaschen Champagner sofort gemeinschaftlich vertilgt, reüssirt er, so wird Ort und Zeit des Bankets seinem Ermessen anheimgestellt, wir Alle aber jedenfalls zur Hochzeit geladen!“

„Halt da!“ rief Triefels, „Hochzeit?! Warum nicht gar! Meinen Sie etwa, ich hätte Lust, mich, wenn überhaupt je, schon jetzt in den Käfig sperren zu lassen? – origineller Gedanke!“

„Ich glaubte verstanden zu haben, daß es sich um ein Jawort handle, Herr Rittmeister?“ fragte Eckhardt, ruhig aufblickend.

„Allerdings, und was weiter? Der Traum einer Ballnacht – man schläft aus und er ist zerstoben – Liebeserklärungen empfangen zu haben, bleibt für jede Dame eine angenehme Erinnerung, und seufzt sie dabei ihr Ja, so ist das nichts als schuldige Dankbarkeit. Sie blicken d’rein, als ließe der Scherz sich tragisch nehmen, lieber Camerad? Glauben Sie mir, nach fünf, sechs Jahren sehen Sie das Leben und nun gar die Weiber ganz anders an. Ich kenne diese zarten Wesen sehr genau, sie sind insgesammt große Lebenskünstlerinnen, denen so leicht keine Aufgabe zu schwierig wird. Suchen, Finden, Fliehen ist das Thema, nach dem sich alle Variationen ihrer Tage abspielen, verschwindet ein Bild – pah! der gefällige Rahmen bleibt, und rasch wird ein anderes hineingeschoben!“

„Hört! hört!“ rief der Husar, „Triefels hält Vorträge zur Ausbildung der Jugend!“

„Und vergißt darüber, was seines Amtes ist,“ grollte Wellenberg, indem er zum zweiten Male den Becher hinüberreichte.

Triefels hob die Hand – eine feine, wohlgepflegte Hand, deren Weiße sich ein Mädchen hätte rühmen dürfen. Am kleinen Finger der Rechten funkelte ein Brillant; offenbar war der Ring ursprünglich für eine Frau bestimmt, oder von ihr getragen worden. – Lächelnd hielt der junge Mann das erfaßte Röllchen einen Moment zwischen den Fingern, dann glättete er es mit schelmischem Aufblick, und las in klarem, halb fragendem Ton: „Eugenie Wallmoden?“

Noch klang der Name, als ein rasch unterdrückter, unverständlicher Laut den Blick des Lesenden auf sein Gegenüber zog, dessen bis in die Lippen hinein erblaßtes Gesicht eine Secunde lang fassungslose Aufregung verrieth. Im nächsten Moment verdrängte jedoch schon ein geringschätziges Lächeln den leidenschaftlichen Zug von Entrüstung, und Eckhardt lehnte sich in gleichgültiger Haltung in seinen Sessel zurück. Nicht auf ihn allein schien jedoch der eben ausgesprochene Name Eindruck gemacht zu haben, denn hier und dort in der Runde hörte Triefels wiederholen: „Fräulein Eugenie?“ – „Die Wallmoden?“ – „Merkwürdig!“

„Nun?“ frug er lebhaft.

„Nun!“ wiederholte Wellenberg, „Sie sind ein Glückspilz, Triefels! Die Sache wird nun wirklich interessant. Eugenie Wallmoden ist das schönste und reichste Mädchen unserer guten Stadt Wiesbaden, übrigens eine ziemlich hoch in Wolken thronende Göttin, zu welcher empor der Flug sich schon für Manchen als Ikarusgeschäft erwiesen. Gewinnen Sie hier binnen einer Nacht, so ziehe ich vor Ihnen den Hut ab.“

„Na, Triefels, in diesem Falle sind Sie wenigstens sicher, daß kein Bühnenvater Sie aus dem Ballsaale zum Altar schleppt –“ rief laut lachend der Husar. „Sich dem Staatsrath Wallmoden als lieber Schwiegersohn in königlich preußischer Uniform zu präsentiren – ha, ha, ha! Anomalie – Anachronismus – wer weiß noch mehr so’ne französische Worte?“

Triefels hob leicht die Brauen: „Ein Preußenhasser?“

„Und wie! Hat sofort nach der Annexion sein Amt niedergelegt, auf Pensionsbezüge verzichtet und lebt seitdem im tiefsten Hintergrunde seiner allerdings ganz erträglichen Höhle – stolz schweigend, wie ein eingesperrter Löwe.“

„Eben deshalb wird das ganze Vergnügen zur Seifenblase, Ihr Herren,“ warf ein spitznasiger Hauptmann sarkastisch ein. „Wallmodens, die man überhaupt nie auf einer Réunion im Cursaale trifft, werden heute, wo man dort den König erwartet, ganz sicher nicht hinkommen!“

„Wüßte ich nicht das Gegentheil, so hätte ich den Namen überhaupt nicht auf die Liste gesetzt,“ erklärte Wellenberg siegreich. „Der Alte kommt natürlich nicht, wohl aber Fräulein Eugenie. Die Familie hat Besuch aus Köln, einen reizenden Backfisch, dem zu Liebe meine Wenigkeit so genau orientirt ist, und dem zu Liebe die exclusive Schöne heute einmal den Cursaal mit ihrem Besuche beehren wird. Beide junge Damen erscheinen unter den Flügeln der Verschönerungspräsidentin.“

„Wer ist denn das?“ lachte Triefels.

„Sie haben noch nichts von der Verschönerungspräsidentin gehört? – o Vandale! Ja so, ich vergesse, daß Sie erst seit wenigen Tagen so glücklich sind, in der einzig menschenwürdigen Atmosphäre der Wiesbadener Gesellschaft zu athmen. Nun, Herr von Fulhem ist Vorstand aller Annehmlichkeiten, die aus der Casse der Bank in die der Stadt fließen, und seine würdige Gattin besitzt eine seltene Anziehungskraft für mutter- oder tantenlose Schönheiten. So oft sie erscheint, persönlich mehr einer gefüllten Sonnenblume, als der Sonne selbst zu vergleichen, wird sie von den anziehendsten Planeten umkreist. Nie also ward ein vielversprechender Name mit größerem Rechte verliehen!“

Triefels sah nach der Uhr. „Auf Wiedersehen, Ihr Herren; à propos, wer von Ihnen wird die Güte haben, mich meiner Zukünftigen vorzustellen?“

„I!“ sagte der Sarkastische im harmlosesten Ton – „Lieutenant Eckhardt etwa.“

Der Genannte blickte auf. Während der lebhaft getauschten letzten Sätze war die gleichgültige Haltung, die er angenommen, bereits wieder mühsam bekämpftem Unmuth gewichen; die feinen Lippen hatten sich fest auf einander gepreßt und öffneten sich jetzt nur, um in schneidendem Tone das Wort fallen zu lassen: „Diese Ehre muß ich ablehnen.“

„Und weshalb, Herr Camerad?“ fragte Triefels aufmerksam, indem seine hohe Gestalt zu wachsen schien.

„Weil ich Fräulein Wallmoden zu sehr schätze, um in dem sie betreffenden Lustspiel eine Rolle übernehmen zu können.“

Auch er hatte sich erhoben; die beiden jungen Männer maßen sich einen Moment mit ziemlich zweifelhaftem Ausdruck. Eckhardt’s schmächtige Gestalt und feingeschnittene Züge ließen ihn der männlich kräftigen Erscheinung des ältern Officiers gegenüber noch jugendlicher aussehen, als er wirklich war. Dennoch lag in den grauen Augen des Jüngern eine eben so zwingende Macht, wie in dem leuchtenden Feuerblick des Andern. Es war nur ein Moment. Dann wandten sich Beide fast gleichzeitig ab. Eckhardt griff nach Degen und Mütze, und war schon im Begriff, sich zu entfernen, als das verdrießlich gemurmelte Wort Wellenberg’s ihn aufhielt:

„Dieser junge Cato wird uns noch den ganzen Spaß verderben.“

Eckhardt berührte zu Gruß die Mütze und sagte, ruhig über die Schulter zurückblickend: „Ich denke zu wissen, was Cameradschaft heißt, Herr von Wellenberg. Uebrigens habe ich nur die Ehre, der Familie Wallmoden bekannt, keineswegs aber verwandt zu sein.“

„Pedant und kein Ende!“ lachte der Husar hinter ihm her, sobald die Thür sich geschlossen. „Na Kinder, man muß ihm christlich vergeben! Solch einen Nebenbuhler, wie unseren lieben Gast hier, gleichsam aus einer Versenkung plötzlich aufsteigen zu sehen, wäre Jedwedem ungemüthliche Ueberraschung. Gott sei Dank, daß man über solche Kinderkrankheiten hinaus ist! Brrr – o wie schmeckt mir täglich mein Diner so gut!“

Triefels stand einen Augenblick in Gedanken. Jetzt hob er mit eigenartig unterjochendem Ausdrucke das Auge und sagte in hellem Tone: „Sie hatten Recht, Wellenberg – die Sache beginnt interessant zu werden. Auf’s Wohl der Schönen!“ Er ließ sein Glas anklingen und leerte es in raschem Zuge, sprühende Lebenslust in jeder Muskel.



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