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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

schöne Mädchen sich stützte, fuhr zusammen. Sie schmiegte sich dichter an ihn und flüsterte: „Ich wußte wohl, daß es Dir wehe thun würde – wir hätten nicht kommen sollen!“

Nur ein ungeduldiges Kopfschütteln gab ihr Antwort. Im gleichen Moment erklang aus einer Gruppe junger Männer, welche einige Schritte näher am Weiher standen, halblaut ein spöttisches Wort:

„Dieser alberne Pöbel! Wie armselig schwach der Hurrahruf – das soll wohl gar eine Demonstration sein? Sie sollten ihrem Schöpfer danken, daß ihnen die Ehre geworden, Preußen zu heißen!“

Eine sonore Stimme fiel ein, ohne sich die Mühe zu geben, ihren Klang zu dämpfen: „Ehre dafür diesen Nassauern! Sie beweisen damit, daß sie deutscher Art sind! Wäre es etwa erfreulicher, heute schon ein serviles Unisono zu hören? An unseres Königs Statt würde ich so leichten Erwerb wenig schätzen. Männer tauschen nicht Regenten wie Gewänder, und ich kenne auf der Welt überhaupt nur ein Ernsthaftes: Treue!“

Des jungen Mädchens Arm drückte den ihres Begleiters, lebhaftes Roth stieg ihr bis zu den Schläfen auf, ihr Auge schien das Dunkel durchdringen zu wollen. Als hätte es Kraft, dem Licht ein „Werde!“ zuzurufen, erglänzte plötzlich Alles ringsum in bengalischen Flammen. Gleich einem Feenlande stiegen Park, See und Inseln in grüngoldigem Schimmer aus dem Dunkel. Die leichte Brücke von Birkenrinde wandelte sich zum farbigen Regenbogen, der in Zauberreiche führt, denn jetzt hob sich, vom zartesten Rosenroth angehaucht, die Fontaine langsam aus den Wassern empor. Hochauf sprühten die purpurnen Perlen, wie in neckischem Spiel immer neu emporgeworfen, und immer neu wallten die breiten, zackigen Schleiergewänder der verborgenen Wasserfee.

Die lautlose Menge stand wie gebannt durch die Magie des Momentes – kaum ein tieferer Athemzug des Entzückens klang durch die nur von weichen Melodien erfüllte Luft. An der Platane aber seufzte eine junge, von Poesie der Schönheit ganz erfüllte Brust tief auf; leise sanken die Wimpern vom perlenden Gipfel der verglühenden, gleichfalls sinkenden Wassersäule – leise, wie suchend, tauchte das schimmernde Auge in die nächste, tageshell erleuchtete Gruppe. Ein aufleuchtender Blick begegnete ihr aus feurig blauem Augenpaare, über dem eine blendende Stirn sich wölbte, und mit diesem Blick zugleich brach mit demselben sonoren Klang, der vorhin in dem Worte „Treue“ verhallt war, jetzt der Laut hervor: „Undine!“

Im nächsten Moment versank die Wasserkönigin in ihre feuchten Tiefen, der Rosenglanz erlosch – Nacht und Dunkel umhüllte die Welt.




Zehn Flaschen Champagner.


Die Table d’hôte im „Nassauer Hofe“ war bereits vorüber und der Speisesaal größtentheils geleert. Nur an einem Seitentische saß noch gegen sieben Uhr Abends eine Gruppe von Officieren, theils in Uniform, theils in Civil, in angeregtester Stimmung beisammen. Lebenslust und Rheinwein funkelten aus den muntern Augen, gute und schlechte Witze flogen wie Fangbälle hin und wieder – Alle, oder doch fast Alle schienen in jener beneidenswerthen Stimmung, worin man bereit ist, Erde und Himmel für Momente verpuffen zu lassen.

„Kellner!“ rief ein für die knappe Uniform fast zu wohlbeleibter Husarenofficier über die Schulter hinweg, „noch eine Flasche Sect!“

Sein Tischnachbar legte abwehrend die Hand auf seinen Arm, indem er die Uhr zog. „Gleich sieben! ich dächte, es wäre Zeit, daß Jeder sich nach seinem Tusculum zurückzöge und Toilette machte. In einer Stunde beginnt die Réunion.“

„Und lohnt es hinzugehen, wirklich, Wellenberg?“ frug ein eleganter Mann in Civilkleidung, dessen nachlässig zurückgelehnte Haltung das ausgezeichnete Ebenmaß seiner Gestalt nicht beeinträchtigte. „Wir sitzen hier so sehr gemüthlich! Können Sie mir für das Opfer, diesem dolce far niente zu entsagen, dort etwas Hübsches zur Augenweide versprechen?“

„Hübsches, Schönes, Brillantes – Alles, was das Herz begehrt! Seit Jahren waren die Réunions nicht so glänzend als während dieser Saison, und heute wird deren Krone sein, denn man erzählt sich, daß unsere Majestät dort erscheinen wird. Dies geschieht übrigens nicht, wie ich aus bester Quelle erfuhr – einerlei, um so besser, möchte ich sagen, man ist bei solchen Gelegenheiten durch Anwesenheit der höchsten Herrschaften doch immer etwas genirt. Jedenfalls garantirt die hohe Sage aber doppelt entzückende Toiletten und einen Flor aller fremden und einheimischen Schönheiten. Wenn Sie Lust haben, auf den Fischfang zu gehen, Triefels, so könnte ich Ihnen einige ganz annehmbare Goldfischchen nachweisen – Sie müßten dann freilich den Gedanken aufgeben, schon morgen abzureisen, sonst wäre die Zeit zum Kapern einer Erbin doch zu kurz.“

„Was gehen mich Ihre Erbinnen an,“ lächelte Triefels; „ich frug nach Schönheiten! Im Uebrigen – ein Ballabend zu kurz, um ein Weiberherz zu gewinnen? – das ist mir neu!“

„Bramarbas!“ spottete Wellenberg.

„Was gilt die Wette?“ rief Triefels übermüthig, indem er, den Antinouskopf leicht zurückwerfend, aufsprang und das halbgefüllte Glas erhob. „Sucht eine Eurer Ballschönheiten aus, ganz nach Belieben, und ich mache mich verbindlich, bis zum Schluß der heutigen Réunion ihr Jawort gewonnen zu haben! Kann ich die Wette nicht halten, so gebe ich zehn Flaschen Champagner verloren! Nur eine Gegenbedingung: es darf keine Braut sein, weder eine[WS 1] heimliche, noch eine öffentliche – die nehme ich aus!“

„Die nimmt er aus!“ höhnte der dicke Husar.

„Nur wegen allzubeschränkter Zeit!“ lachte der Geneckte. Er hatte vielleicht etwas Anderes erwidern wollen, denn bei den zuletzt getauschten Worten war ein blitzartiger Glanz in den feurigen Augen aufgestiegen, doch traf ihn, noch ehe er sprach, aus einem Augenpaare gegenüber ein Blick, welcher den vorigen Uebermuth zu verdoppeln schien. Es war ein ernster, fast strafender Blick gewesen und ging von einem kaum dem Jünglingsalter entwachsenen Manne aus, der, gleich der Mehrzahl der Tischgenossen, die Uniform des in Wiesbaden garnisonirenden Regiments trug. Bis jetzt ein schweigsamer Gesellschafter, ließ er der stummen Opposition, die er, vielleicht unwillkürlich, jedenfalls wirkungslos, an sein Gegenüber gerichtet, auch jetzt kein ausgesprochenes Wort folgen. Um so lebhafter schwirrte dagegen das Zurufen, Lachen und Applaudiren der Anderen durcheinander.

„Topp!“ rief Wellenberg, „wir halten die Wette, – nun gilt es aber auch, den Wahnsinn mit Methode zu betreiben. Ein Vorschlag! Wir Hiesigen kennen ja die Damenwelt der Saison ziemlich genau – ich entwerfe eine Liste, sie soll die Runde machen. Ist ein Name vergessen, oder zu viel, so bleibt Jedem das Recht eines Veto! Sobald die Liste fertig – bis zu Tausend und drei wird sie wohl nicht steigen – schütteln wir die Urne, und Don Juan zieht seine Göttin als Loos!“

„Bravo!“

„Doch einmal eine Abwechselung in diesem Jammerleben!“

„Vorwärts, hier ist mein Notizbuch mit Bleifeder!“

„Das giebt ein Göttervergnügen!“ jubelte die ganze Tafelrunde durcheinander.

Während Wellenberg schrieb und eine Minute später das Blatt circuliren ließ, beobachtete Triefels mit halbem Blick sein Gegenüber, und die gewölbte Lippe zuckte unmerklich unter dem lockigen Bärtchen, als der junge Mann die Liste, ohne sie nur anzusehen, weitergab.

„Oho, Eckhardt, nicht geschwänzt, das gilt nicht!“ rief sein Nachbar.

Der Angeredete zuckte leise die Achseln, ohne ein Wort zu erwidern.

„Laß doch,“ unterbrach Wellenberg mit einem Theaterflüstern, „der jungen Dame sind wir wieder einmal zu frivol.“

Der Officier wandte mit ruhiger Bewegung den Kopf und sagte einfach, indem er das intelligente Auge fest auf den Sprecher richtete: „Sie meinten, Herr von Wellenberg?“

Wellenberg lachte. „Ich meine, Sie sollen kein Spielverderber sein, Eckhardt! Aber – suum cuique! – sehen Sie wohl, wenn ich auch lieber Champagner trinke, als, wie gewisse Leute, mit alten und neuen Classikern handgemein werde, mein Schullatein ist noch nicht vergessen, ich kann sogar mit Uebersetzung aufwarten: Jedes Thierchen hat sein Manierchen! Aber nun zur Sache! Die Liste ist vollständig – Kellner! eine Scheere und einen leeren Aschebecher! – So, nun sind die Präliminarien vollendet – jetzt zum Pakt!“ – Er rollte die ausgeschnittenen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ein
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_532.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)