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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

der „Hertha“ hielt beim Schlusse des Festes eine gewandte und deshalb vielbewunderte Dankrede an die Bürger Alamedas.

Mit einem den Officieren der Corvette vom deutschen „San Francisco-Verein“ am Abend des 12. Juni veranstalteten großen Ball etc. fanden die Festlichkeiten der „Hertha-Woche“ ihren glänzenden Abschluß. Alle Räumlichkeiten des Clublocals waren für das Fest in Anspruch genommen worden. Der Capitain der „Hertha“ hatte eine Menge von Flaggen und Waffenstücken zum Schmuck des Ballsaales bereitwillig zur Verfügung gestellt. Zündnadelgewehre, Säbel und Enterpiken, mit Fahnen und Blumen geschmackvoll verflochten, waren dort pyramidenartig an den Thüren aufgebaut; von der Decke und an den Wänden hingen unter den Fresken (Rheinlandschaften und Scenen aus Figaro’s Hochzeit) die Banner Deutschlands und Amerikas, worunter die prächtige deutsche Reichsfahne; Bilder von Washington und Lincoln, vom deutschen Kaiser, dem Kronprinzen, Bismarck und Moltke zierten, von Immergrün umkränzt, die Wände; die Eintrittshalle und die Zimmer des Clublocals waren in reizende Blumengärten umgewandelt worden; im Billardzimmer, aus dem man die grünen Tische entfernt hatte, war ein Büffet tafelartig aufgebaut worden, das mit den köstlichsten Früchten Californiens, mit Backwerk und Speisen aller Art beladen war, wo Jedermann frei zulangen durfte. Im Mittelpunkte desselben stand ein aus Zuckerwerk kunstvoll gearbeitetes Modell der „Hertha“, welches die Seeofficiere als mustergültig ausgeführt bezeichneten. Lange Eßtafeln waren die ganze Nacht hindurch von mit einander abwechselnden Banketirenden besetzt, – eine in San Francisco ganz neue Festordnung, die allgemeinen Beifall fand. Champagner und Rheinweine flossen in Strömen, Kisten mit den feinsten Havannacigarren boten ihren kostbaren Inhalt Jedermann dar. Alles war frei und unentgeltlich; der Club zahlte für Alles. Hatte sich derselbe doch dieses Fest, an welchem vierhundert bis fünfhundert Personen teilnahmen, dreitausend Dollars Gold kosten lassen! Die Champagnerrechnung allein belief sich auf etwa tausend Dollars. Beim Beginn des Festes wurde jedem Anwesenden mit dem geschmackvoll ausgestatteten Ballprogramm, auf welchem die „Hertha“ abgebildet war, ein Festgruß im Namen des „San Francisco-Vereins“ überreicht, von welchem ich der Redaction der Gartenlaube ein Exemplar übermittele.

Im Ballsaale entfaltete sich ungewöhnliche Pracht und Eleganz. Das Musikchor der Corvette und ein zweites städtisches wechselten die Nacht hindurch ununterbrochen im Spielen mit einander ab. Die Officiere waren sämmtlich in Gala-Uniform erschienen. Der Gouverneur des Staates Californien, der Bürgermeister der Stadt San Francisco und andere hervorragende Amerikaner waren zugegen, um das Fest zu verherrlichen. Auf die Kunstausdrücke von Damentoiletten verstehe ich mich leider nicht – meine lieben Leserinnen im fernen Deutschland werden sich dieselben nach bestem Geschmacke selbst besser, als ich es vermöchte, ausmalen können! –, aber ich nehme das Wort der Officiere dafür an, die bekanntermaßen Kenner von dergleichen Sachen sind, daß sich kein deutscher Hofball derselben zu schämen nöthig gehabt hätte. Unsere Gäste erklärten offen, daß sie sich selbst in Manilla mit den Sennoritas nicht halb so gut als auf diesem Balle amüsirt hätten, und daß sie die deutschen Mädchen Californiens jenen gepriesenen Schönen bei Weitem vorzögen.

Getanzt wurde bis sage sechs Uhr Morgens. Nicht der leiseste Mißton störte das Vergnügen, und es mußte Wunder nehmen, wie sich bei dem massenhaften Verbrauche von edlem Rebensafte, der hier stattfand, Niemand ungebührlich erheiterte. Aber wie jede Freude ein Ende nehmen muß, so auch diese. Der Capitain der „Hertha“ hatte den entschiedenen Befehl erlassen, daß Jeder von den Officieren sowie die Musik des Schiffes Punkt acht Uhr an Bord sein müßten, da die Corvette dann in See gehen sollte. Mit den rauschenden Klängen der „Wacht am Rhein“ fand das Fest seinen Abschluß. Dann sprach einer von den Marine-Officieren noch einige bewegte Abschiedsworte, indem er den Deutschen San Franciscos im Namen aller seiner Cameraden für die beispiellose Gastfreundschaft, welche ihnen hier zu Theil geworden, dankte. Nun noch ein herzlicher Händedruck beim Scheiden – und bald lag eine schöne Erinnerung hinter uns.

Ihr wackeren deutschen Männer auf der „Hertha“ aber, wenn Ihr diese ungeschminkte Schilderung Eures Empfanges in der fernen Goldstadt am Stillen Oceane nach Eurer frohen Heimkehr im alten Vaterlande in unserem deutschen Weltblatte, der „Gartenlaube“, lest, mögen auch Euch dann die hier unter uns verlebten glücklichen Stunden wie ein schönes Traumbild wieder im Geiste wach werden!

San Francisco, Mitte Juni 1872.




Eine Stätte der Menschenliebe und Bürgerehre.


Am Ostende der Hospitalstraße zu Leipzig sehen wir einen Palast aufragen mit erhabenem Mittelbau und Thurm und gewaltigen Seitenflügeln, über dem dreigetheilten Portal die pünktliche Uhr und die bunte Rosette eine Kirchenfensters, auf dem Giebel das Kreuz. Trotz seiner Großartigkeit erkennen wir doch, daß es weder ein Schloß noch eine Fabrik, weder ein Gefängniß noch ein Kloster sein kann, und gar bald ahnen wir freudig seine Bestimmung, denn schmückt nicht das Sims jedes Fensters, dem die Frauenfreude eines weißen Vorhangs nicht fehlt, eine Reihe von Blumenstöcken? Und hinter den säuberlich gepflegten Pelargonien und Lobelien, den Fuchsien und Petunien, sieht da nicht manches alte gute Menschenantlitz heiter hervor? Auch Nelken und Levkoyen finden ihre Beachtung, und mancher Alte pflegt seinen Epheustock und manches graue Frauenhaupt läßt noch das Auge auf einem Myrthenstöckchen ruhen. Und wie erfreut grüßen sie herab, wenn wir ihnen zuwinken, wir wissen nun: das freundliche schöne Hans umschließt ein rührend schönes Glück. Wir stehen vor einem Palast der Menschenliebe und der Bürgerehre, einer Stiftung, welche alten Männern und Frauen dieser Stadt nach redlich vollbrachtem Tagewerk einen ruhigen, sorgenlosen und friedevollen Lebensabend in gewohnter bürgerlicher Freiheit sichert: das ist das neue Johannisstift zu Leipzig.

Diese Stiftung wuchs aus einem der neunzehntausend „Leprosen“- oder „Sondersiechenhäuser“ hervor, welche durch das Vordringen der morgenländischen Volkskrankheit des Aussatzes (Lepra) im Abendland während der Kreuzzüge nach und nach daselbst errichtet wurden. Diese „Leprosorien“ erhielten in der Regel durch die Anverwandten der unglücklichen Insassen derselben viele und reiche Vermächtnisse und Schenkungen, und so war auch das Leipziger Johannishospital schon zu nicht unbedeutendem Vermögen gelangt, als die Krankheit gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts hier verschwand. Vermögen und Gebäude wurden nun der heutigen Bestimmung zugewandt. Hauptsächlich durch kluge Erwerbung und Verwerthung von Grund und Boden wuchs nach und nach das Stiftsvermögen zu einer Höhe an, daß, als die alten Räume dem Bedürfniß nicht mehr genügten, für einen Neubau über eine runde Summe von vierhunderttausend Thalern verfügt werden konnte, ohne dadurch die Mittel für den Zweck des Stifts zu verkürzen.

Das Johannisstift bietet seinen Insassen Wohnung, Kost und Heizung, dazu ungestörte Ruhe bei freiem Verkehr nach außen. – Anspruch auf Aufnahme im Johannisstift haben nur Bürger und Bürgerinnen, wie auch Schutzverwandte der Stadt Leipzig, die in einem unbescholtenen Leben ihr sechszigstes Jahr erreicht haben und die Verpflichtungen eingehen, welche ein gedruckter und gerichtlicher Vertrag ihnen vorschreibt, als z. B. friedliches und anständiges Betragen, Folgsamkeit gegen die Anordnungen der Stiftsvorsteher, Unterlassung von allem Verkaufen, Vertauschen, Verschenken von Stiftsgaben (Speisen, Getränken, Holz etc.). Jede Person hat ein für allemal ein Einlagecapital von nur zweihundert Thalern zu entrichten und zugleich das Johannishospital zum Erben ihres gesammten künftigen Nachlasses einzusetzen. Auf diese Bestimmung können die Meisten leicht eingehen, denn reiche Leute ziehen nicht in das Stift, sondern solche alte bürgerliche Eheleute und einzelne Bürger oder Bürgerinnen, namentlich aus dem Handwerkerstande, denen das Alter den Erwerb zu schwer oder unmöglich macht. Diese bringen, außer dem Einlagecapital, selten mehr, als ihre Möbeln, Betten, Kleider und dergleichen mit in’s

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 524. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_524.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)