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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Nun begab es sich an einem der schönsten Sommernachmittage, daß ein Gymnasiallehrer aus Bonn unser Haus besuchte und seine Tochter, als gleichaltrig mit meiner Schwester, mitbrachte. Sie stand auf der Grenze zwischen Kind und Jungfrau und war fünf Jahre älter als ich. Waren Fremde bei uns, so kam ich nicht gern in die Stube, sondern trieb mich im Hofe und im Garten umher. Nun aber gingen die beiden Mädchen aus dem Gartenthore und wandten sich dem Rheine zu. Ich wußte also, daß ihr Weg sie zu dem gräflichen Sommerhäuschen führte; aus Langeweile, aus Neugier oder warum sonst machte ich mich auf einem andern Wege auch dahin auf. Am prachtvollsten Abend ging eben die Sonne unter und warf ihren aus Gold und Scharlach gewobenen Glanzteppich über den Strom, auf welchem weiße Segel zogen. Als ich um die Ecke des Weinbergs ging, sah ich die Fremde, an die Brüstung gelehnt und ihren Arm, wie Mädchen thun, in den meiner Schwester geschlagen, wie sie unter dem leichten Strohhut fröhlich die abendliche Landschaft überblickte. Ihre Züge waren viel zu entschieden, um in dem gemeinen Sinne des Wortes schön zu sein, aber eine Fülle von ungebrochenem Lebensmuthe und schwärmender Jugendfreude lag in ihnen. An heißen Sommertagen sieht man wohl Tagfalter, die, auf einer Blume schaukelnd, ihre Flügel aufschlagen und auf dem dunkeln Grunde derselben die schönsten lichtblauen Spiegel ausbreiten. So auch standen in diesem dunklen Antlitz die zwei glänzendsten großen Sapphiraugen, aus deren vom Weinen noch nicht getrübter Klarheit sie so freudig über Flur und Strom blickte, als gehöre alle diese Herrlichkeit ihr und keinem Andern. Sie sah auch mich, und ich trat zu den beiden Mädchen. Ob ich mit ihr ein Wort geredet habe, weiß ich nicht; aber wie das Lichtbild sich in kurzer Minute der empfindlichen Silberplatte einprägt, so gruben sich diese blauen Spiegel in meine weiche Knabenseele, in deren unterstem Grunde das Bild dieses Mädchens ruhend blieb.

Ich habe sie seitdem nicht wiedergesehen, bis ihr Lebensschiff, von den ersten harten Stürmen geschüttelt, dahin zurückgekehrt war, von wo es ausgelaufen. Wer aber erklärt die Räthsel des Herzens? Nach fünfzehn Jahren, als sie mit der gramverdüsterten Stirn, die Züge von gewaltiger Leidenschaft vertieft, im glänzenden Salon mir entgegentrat, leuchteten jene Augen wieder wie Blitze in mein Herz – die Augen, von vielen Thränen dunkler geworden, aber in der Reife ihres Lebens und ihrer Leidenschaft so glühend und verzehrend, als wäre ihre Farbe das dunkelste Braun. In diesem Zeichen erkannte ich augenblicklich sie wieder, trotz der fremden Umgebung und der feinen Modewelt, die uns Naturkinder dort umschwirrte. Und wer löst das andere Räthsel, daß auch sie den blöden menschenscheuen Knaben nicht vergessen hatte und gleich mir des schönen Abends, der Terrasse und der Landschaft gedachte, auf welche sofort, als hätte nichts seitdem sich dazwischengeschoben, unser erstes Gespräch sich richtete? Nord und Süd hatten uns getrennt; sie war verheirathet gewesen, ich hatte andere Mädchen geküßt und zu lieben geglaubt, und doch war es auch zum zweiten Male wieder der erste übergewaltige Eindruck, der unsere Herzen rettungslos zu gemeinsamem Schicksal zusammenschmolz, denn jenes frohe, schwärmerische Mädchen sollte achtzehn Jahre nach jenem ersten Begegnen auf der Terrasse mein Weib werden.




Die „Hertha-Woche“ im Goldlande.


Von Theodor Kirchhoff.


„Die deutsche Dampfcorvette ‚Hertha‘ liegt in Hongkong – nur eine Weile Geduld, und sie wird unsern Hafen anlaufen,“ so hieß es im Maimonate in San Francisco. Welches deutsche Herz in der fernen Goldstadt hätte nicht höher geschlagen bei dieser Kunde! Schnell wurde ein festlicher Empfang beschlossen und vorbereitet. Aber dem schnellen Zurüsten folgte ein langes Harren. Endlich und ganz unerwartet am Nachmittage des 5. Juni verbreitete die Nachricht sich wie ein Lauffeuer in der Stadt: „die ‚Hertha‘ ist da!“

Und richtig! diesmal war es keine Täuschung. Rasch hatte sich eine bedeutende Menschenmenge auf den Quais versammelt, welche das eine Strecke weit in der Bai ankernde erste deutsche Kriegsschiff in diesem Hafen mit Hurrah und Tücherschwenken bewillkommnete. Schwarz-weiß-rothe Fahnen kamen überall in der Stadt zum Vorschein, und es mußte an dem erregten Treiben der deutschen Bevölkerung San Franciscos jedem Uneingeweihten sofort klar werden, daß sich etwas Besonderes ereignet habe. Wie wir später erfuhren, kam der Bemannung der „Hertha“ die Ordre, nach San Francisco zu segeln, ganz unerwartet. Als der Befehl dazu in Yokohama, wohin die Corvette von Hongkong ausgefahren war, von der Admiralität in Berlin eintraf, war der Jubel auf dem Schiffe ein großer. Man hatte, namentlich in der Gartenlaube, während des Krieges so viel von den glänzenden patriotischen Festen der Deutschen San Franciscos gelesen, daß der Wunsch, dorthin zu kommen, ein allgemeiner war. Der Befehlshaber der „Hertha“ äußerte später während einer Festlichkeit im hiesigen „Thalia-Verein“, daß er namentlich deshalb mit seinem Schiffe nach San Francisco gesandt sei, um den Deutschen dieser Stadt ein Compliment zu machen, ihnen zu beweisen, wie sehr man im alten Vaterlande ihre großartigen Anstrengungen und Leistungen während des letzten Krieges gewürdigt habe, und ihnen für ihren Patriotismus zu danken.

Der über bedeutende Geldmittel gebietende „San Francisco-Verein“ stellte den Officieren der „Hertha“ sein prachtvolles Local zur freien Verfügung, und dorthin verlegten dieselben denn auch sozusagen ihr Hauptquartier. Fast an jedem Abende dauerten daselbst die geselligen Zusammenkünfte, bei denen der edle Schaumwein massenweise floß, bis zwei und drei Uhr Morgens; den deutschen Marineofficieren war, wie sie offen gestanden, eine solche verschwenderische Gastfreundschaft noch gar nicht vorgekommen. Ebenso fanden sie selbstverständlich in den deutschen Familien die freundlichste Aufnahme.

Denselben herzlichen Empfang wie ihre Vorgesetzten hatte auch die Mannschaft des deutschen Kriegsschiffes. Es war eine wahre Freude, sich mit diesen aufgeweckten und schmucken Burschen zu unterhalten. Man stellte Vergleiche an zwischen ihnen und den hier oft gesehenen Seeleuten anderer Nationen, und es war nur eine Stimme darüber, daß unsere Landsleute an Intelligenz und Benehmen jenen weit voranständen. Die Stadtpolizei erstaunte darüber, daß bei den fortdauernden Festlichkeiten gar keine unfreiwilligen Gäste von der „Hertha“ in ihren vergitterten Empfangslocalen Quartier fanden. Wenn amerikanische, englische, französische oder russische Kriegsschiffe im Hafen lagen, so zählte man täglich auf durchschnittlich ein Dutzend bis zwanzig Arrestanten von den Theerjacken, die wegen Trunkenheit und Lärmens in den Straßen und Kneipen aufgegriffen und eingesteckt wurden; nicht ein Matrose von der „Hertha“ hat in San Francisco die Stadtgefängnisse mit seinem Besuche belästigt. In den Bierkellern sah man die wackeren Burschen gemüthlich zechend, ihren hiesigen Landsleuten von ihren Reisen erzählend und sich vom Goldlande erzählen lassend; Arm in Arm wanderten sie mit ihren neuen Freunden durch die Stadt, und diese zeigten ihnen die Sehenswürdigkeiten des Ortes. Von Geldausgaben seitens der Matrosen war nicht die Rede. Dies wurde ihnen einfach unmöglich gemacht. Wohin sie kamen, wurden sie freigehalten, oder es fand sich gleich ein deutscher Bürger, der die Rechnung berichtigte; selbst in den Cigarrenläden nahmen die Verkäufer nur selten Zahlung von den wackeren deutschen Seeleuten an.

Fast scherzhaft schien es, den Officieren und Mannschaften der „Hertha“ zuzuhören, wie wohl es ihnen hier war, wie sie Alles so anheimelte, gerade als wären sie wieder daheim in Deutschland. Während drei langer Jahre hatten sie den Continent von Asien, vom rothen Meere bis nach Japan, umkreuzt und, obgleich sie in vielen Häfen gewesen, doch nur wenig von deutschem Leben gesehen. Der Umgang mit deutschen Frauen war dort fast ganz von ihnen entbehrt worden. Kein Wunder, daß sie sich hier unter ihren Landsleuten nun so recht heimisch fühlten!

Das Schiff selbst hatte täglich viele Tausende von Besuchern. Von den Deutschen strömte Jung und Alt dorthin, um auch einmal die Krupp’schen Baßposaunen zu inspiciren und den Fuß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_522.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)