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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

ein Künstler andere Interessen hat und haben muß als ein Geschäftsmann.“

„Nun ja, die Interessen seiner Kunst,“ erwiderte Gotthold mit Wärme, „ich habe nie andere gehabt, werde nie andere haben. In diesem Sinne, und nur in diesem, habe ich die reiche Erbschaft, die mir so unerwartet zufiel, nachdem ich mich von dem ersten Erstaunen erholt, mit Freuden begrüßt.“

„Ich weiß es,“ erwiderte Herr Wollnow, „die Unterstützung, die ich auf Ihre Rechnung dem armen verdienstvollen jungen Brüggberg in Str. schon seit drei Jahren auszahle, beweist es; und er wird nicht Ihr einziger Pensionär sein.“

Vom Großvater auf den Enkel.
Originalzeichnung von Kleinmichel.

„Ihm ist es nicht so gut geworden, wie mir, daß ihm die Hülfe kam, als es noch Zeit war,“ erwiderte Gotthold.

Er stützte den Kopf in die linke Hand und zeichnete mechanisch Arabesken auf ein Blatt, das vor ihm lag, während er mit leiserer Stimme fortfuhr:

„Und es war auch für mich die höchste Zeit. Zwei Jahre hatte ich bereits in München jede Stunde und jede Minute, die mir die Arbeit für meinen Lebensunterhalt übrig ließ, der Kunst gewidmet, der geliebten Kunst, die gegen den Anfänger – zumal den, welcher mit einundzwanzig Jahren von vorn anfangen muß, – so unendlich spröde ist. Meine Kraft war nahezu gebrochen; ich hatte der Hoffnung letzte Sterne versinken sehen; nichts hielt mich noch im Leben, als eine Art von Trotz gegen ein Schicksal, das ich nicht verdient zu haben glaubte, und die Scham, als ein Thor in den Augen dessen, der mir zum Leben verholfen, aus dem Leben zu gehen. Da – wie deutlich ich mich der Stunde erinnere! Ich war gegen Abend aus dem Atelier eines berühmten Meisters, zu welchem mir ein Bekannter Zutritt verschafft, in mein Dachstübchen zurückgekehrt – die Seele zum Zerspringen voll von dem ungeheuren Eindruck genialster Schöpfungen, und doch tödtlich erschöpft, denn ich hatte ein paar Tage vorher beschlossen, keine Lectionen mehr zu geben, und sollte ich verhungern, und ich war dem Verhungern nahe. Ich hatte mich an meine Staffelei gestellt, aber die Farben schwommen ineinander. Die Palette fiel mir aus der Hand; ich wankte an den Tisch, mir ein Glas Wasser einzuschenken, und – auf dem Tische lag der Brief, der mir ankündigte, daß ich von einem Verwandten, den ich nie, der mich nie gesehen, zum Erben eingesetzt war, und daß ich der Herr eines Vermögens sei, welches sich nach einer vorläufigen Schätzung auf mehr als hunderttausend Thaler belief. Was ist wohl natürlicher, als daß ich mir in diesem wunderbaren Augenblicke den Schwur ablegte: dies soll der Kunst gehören, und Dir selbst nur, soweit Du Künstler bist.“

„Nichts ist natürlicher und einfacher,“ sagte Herr Wollnow, „aber, daß Sie den Schwur gehalten, und ich weiß, daß Sie ihn gehalten, das ist – wie wir Adamskinder nun einmal geartet sind – nicht eben so natürlich und nicht ganz so einfach. Aber nun, da das Geschäftliche abgethan, wollen wir, wenn es Ihnen recht ist, bei einem Glase Wein gemüthlich weiter plaudern.“


(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_519.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)