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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

nicht, einmal wird es auch wohl ein Ende nehmen, wenn ich auch nicht dabei sein mag; aber das weiß ich, daß welche Leute, die ihn schon vor fünfzig Jahren gekannt haben, sagen, damals habe er just so ausgesehen wie heute.“

„Und er wohnt noch immer in dem Strandhause?“

„Wo sollte er sonst wohnen?“ sagte Jochen.

Sie waren aus Wald und Haide heraus auf die schöne chaussirte Straße gekommen, welche, mit mächtigen Pappelbäumen bepflanzt, den müden Reisenden die Nähe der fürstlichen Residenz verkündete. Es war noch eine Wegstunde; aber die Straße fiel ein wenig, und die Pferde, wohl wissend, daß ihr langes Tagewerk zu Ende und eine Krippe nahe sei, nahmen die letzte Kraft zusammen und trotteten wacker dahin. An dem schwärzlich-blauen Himmel schwamm jetzt die Sichel des zunehmenden Mondes in reinem Glanz; hier und da in der dunklen Landschaft bezeichnete ein röthlich dämmerndes Licht die Lage eines Gutshofes oder einsamen Bauernhauses. Und nun schimmerte es heller von dem Hügel her, zu welchem der Weg wieder aufstieg. Weißlich hoben sich stattlichere Häuser aus dem dunklen Laub der Büsche und Bäume, der Huf der Pferde schlug auf Steinpflaster, und wenige Minuten später hielt der Wagen vor dem „Fürstenhof“, dessen behäbiger Wirth den späten Gast mit nordischer Herzlichkeit willkommen hieß.




3.


Gotthold hatte noch bei guter Zeit in P. einzutreffen geglaubt; jetzt war es beinahe zehn Uhr, eigentlich zu spät, den brieflich versprochenen Besuch bei Wollnow noch zu machen. Indessen der Herr wartete vielleicht trotz der späten Stunde, und was er mit ihm zu besprechen, konnte in wenigen Minuten abgethan sein. Dann war auch dieser Nebenzweck seiner Reise erreicht; er konnte morgen früh wieder aufbrechen, und er wäre am liebsten noch heute Nacht weitergefahren.

Der Boden brannte ihm unter den Füßen. Die Erlebnisse der letzten Stunden, die Begegnung vor Allem mit dem Gespielen seiner Jugendjahre, die Mittheilungen desselben – das Alles hatte ihn im tiefsten Innern erregt. Während er die stille Parkstraße nach der Wohnung seines Geschäftsfreundes hinabging, blieb er ein paar Mal tief athmend unter den dunklen Bäumen stehen und machte eine Bewegung, als könne er damit das Geisterheer der Erinnerungen abwehren, das ihn umwitterte.

„Gott sei Dank, daß Du wenigstens jetzt sicher bist, nicht wieder einem alten Bekannten zu begegnen,“ sprach er bei sich, als er an der Thür des stattlichsten der Markthäuser klingelte.

„Herr Wollnow ist zu Hause,“ sagte das junge hübsche Dienstmädchen, „und –“

„Heißt Sie bestens willkommen,“ fiel Herr Wollnow ein, der in demselben Augenblick aus seinem Comptoir trat und dem späten Gast eine breite kräftige Hand entgegenstreckte. „Ich freue mich sehr, endlich Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, wenn es mir auch herzlich leid thut, daß die Veranlassung eine so traurige sein mußte. Haben Sie schon zu Abend gegessen? Nein? Nun, das ist ja schön, ich auch nicht. Sie müssen freilich mit mir allein vorlieb nehmen, vor der Hand wenigstens; meine Frau hat heute ihr großes Kränzchen. Sie wollte nicht hin, denn sie brennt darauf, die Bekanntschaft mit Ihnen zu erneuern oder zu machen, wie ich sage; denn Sie werden sich ihrer schwerlich erinnern. So versprach sie denn, um zehn Uhr wieder hier zu sein; aber ich weiß, wie das ist, wir werden schon noch eine Stunde für uns haben.“

Gotthold bat wegen der späten Störung um Entschuldigung, aber er habe geglaubt, lieber spät als gar nicht kommen zu sollen, umsomehr, als er womöglich morgen in der Frühe weiterzureisen beabsichtige.

„Ich denke, Sie werden sich noch ein wenig bei uns halten lassen,“ erwiderte Herr Wollnow, „indessen Zeit ist Geld, wie der Engländer sagt, und so wollen wir die Zeit, welche Stine braucht, das Abendbrod zurechtzumachen, den Geldangelegenheiten widmen. Ich habe Alles zurecht gelegt.“

Herr Wollnow hatte Gotthold in dem kleinen Privatcomptoir auf das kleine Sopha genöthigt und sich neben ihm in einen mit Leder überzogenen Armstuhl an den runden Tisch gesetzt, auf welchem im Schein der Lampe verschiedene Papiere in sorgfältigster Ordnung nebeneinandergereiht lagen.

„Hier sind die Sachen, die sich auf die Hinterlassenschaft Ihres Herrn Vaters beziehen,“ fuhr er fort. „Ich habe wahrlich herzlich wenig Mühe von der Ausführung des Mandats gehabt, mit welchem Sie mich von Mailand aus zu betrauen die Güte hatten. Baares Geld fand sich nur im Betrage von einigen Thalern vor, und was das Mobiliar und sonstigen Hausrath betrifft, so können die Einsiedler der thebaischen Wüste nicht viel weniger besessen haben, als womit sich Ihr Herr Vater in den letzten Lebensjahren begnügte. Das einzige wirklich Werthvolle seines Nachlasses war die Bibliothek, und hier habe ich mir erlaubt, von Ihrem Auftrage etwas abzuweichen. Sie hatten bestimmt, daß der Gesammtertrag den Armen des Kirchspiels zu Gute kommen solle, zugleich, daß der Nachfolger Ihres Herrn Vaters für Das, was ihm etwa von den Büchern anstünde, seinen eigenen Preis machen dürfe, in der Voraussetzung ohne Zweifel, der Herr werde mit der nöthigen Discretion von dieser Vergünstigung Gebrauch machen. Davon aber war bei Pastor Semmel nicht die Rede. Er glaubte im Rohr zu sitzen; er wollte nicht nur die besten, er wollte alle Pfeifen schneiden und womöglich umsonst. Mit Einem Worte: Ihre beiden Absichten waren nicht zu vereinigen, und da ich wohl richtig annahm, daß Ihnen die Armen näher am Herzen liegen würden als der Herr Pastor, obgleich er viel Wesens von der Intimität machte, die auf der Universität und, ich glaube, schon auf der Schule zwischen Ihnen bestanden haben soll, habe ich mit Ausnahme einiger unbedeutenderen Sachen, die ich ihm lassen mußte, das Uebrige einer respectablen antiquarischen Firma angeboten, mit welcher ich nach einigem Hin- und Herhandeln einig wurde. Wir haben, wie ich Ihnen schrieb, ein tüchtiges Stück Geld herausgeschlagen, und wenn Sie mit mir so zufrieden sind, wie die Ramminer Armen, brauche ich mich der Ausführung meines Mandats nicht zu schämen.“

In Herrn Wollnow’s dunklen Augen blitzte ein Lächeln, als ihm jetzt Gotthold über den Tisch die Hand dankbar drückte.

„Ich wiederhole, es war eine kleine Mühe,“ sagte er, „und ich würde eine hundertfach größere für einen Mann, dem ich so tief verpflichtet bin, mit Vergnügen auf mich genommen haben.“

„Dem Sie so tief verpflichtet sind? mir?“

„Ihnen, gewiß. Hätten Sie mir vor fünf Jahren, als Sie Ihre Erbschaft antraten, die zehntausend Thaler, welche in meinem Geschäfte standen, entzogen, wie ich Ihnen dringend rieth, so wäre ich jetzt vielleicht nicht in der angenehmen Lage, Ihnen das Geld mit bestem Dank zurückerstatten zu können.“

„Um Himmelswillen!“ rief Gotthold, indem er Herrn Wollnow’s Hand zurückhielt, die sich nach einem größeren, mit einem Gummibande zusammengehaltenen Packet ausstreckte.

„Ich hatte das Geld auf alle Fälle zurückgelegt,“ erwiderte Herr Wollnow, „baar und in guten Obligationen nach dem heutigen Course.“

„Aber ich will es heute so wenig, wie ich es damals wollte.“

„Nun,“ sagte Herr Wollnow, „ich kann Ihnen heute nicht mehr so unbedingt zureden, es zu nehmen, als vor fünf Jahren. Heute – ich darf es mit Zuversicht sagen – ist Ihnen dies Geld sehr sicher, und ich kann Ihnen die höchsten Procente geben; damals, als ich hier auf der Basis sehr wunderlich gestalteter Verhältnisse ein neues Geschäft zu gründen hatte und jeden Augenblick in Folge der Unberechenbarkeit meiner Geschäftsfreunde – ich meine der hiesigen Gutsbesitzer – vor einer Krisis stand, that ich nur meine Pflicht, als ich Ihnen rieth, Ihr Geld, wenn nicht reineren, so doch sichereren Händen anzuvertrauen. Nun, Sie wollten davon nichts hören, wollten durchaus, daß ich das Geld behielt, ja ich glaube, ich hätte es ohne Zinsen haben können.“

„Sie werden mir zugeben, Herr Wollnow, daß ich damit ganz im Sinne meines Onkels handelte.“

„Ich weiß nicht,“ erwiderte der Kaufmann. „Ihr Onkel hatte ein reelles Interesse daran, mir das Geld zu lassen. Die großen Vortheile, die durch die neuen Verbindungen, welche ich hier angeknüpft, und ich darf wohl sagen, geschaffen, dem Geschäfte in Stettin zuflossen, waren so erheblich, daß sie das Risico eines immerhin doch nur möglichen Verlustes weit aufwogen. Indem aber der Onkel Ihnen testamentarisch vollkommen freie Verfügung über die Erbschaft ertheilte, erkannte er an, daß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 518. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_518.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)