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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 32.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Was die Schwalbe sang.


Von Friedrich Spielhagen.


(Fortsetzung.)


„‚Na, jung’ Herr‘, sagte ich, ‚das ist doch nicht so schlimm; Sie haben ja nun den reichen Schwager, der kann Ihnen ja das Geld geben.‘

Aber da sprang unser junger Herr auf, stellt sich vor mich hin und kriegt mich vor der Brust zu packen, und schüttelt mich, daß mir heilangst wurde, und ruft: ‚Wo Du noch ein Wort sagst von dem –‘, na, es war ein starkes Wort, wenn man es von seinem Schwager sagt, und besonders von unserm jungen Herrn, der ja sonst so ein guter, freundlicher Mensch war; aber ich sagte ja: er hatte zu viel getrunken; denn er wollte, ich sollte sie umwerfen, wenn ich sie hierher nach Dahlitz führe, auf der Haide, wissen Sie, Herr Gotthold, ehe man nach der Schmiede kommt, wenn man oben auf dem Berg ist und man hat das Moor links unter sich. Na, da kann man ja gut umwerfen, daß, wer drin sitzt, das Aufstehen vergißt; aber es ist doch eine eigene Sache, seinem Herrn seine Tochter umzuwerfen an ihrem Hochzeitstage, und wenn ich es auch gewollt hätte, ich fuhr sie ja gar nicht, weil Herr Brandow seinen eigenen Wagen hatte kommen lassen mit Vieren lang, und Hinrich Scheel, der damals schon sein Kutscher war und noch ist, würde sie schon nicht umwerfen, denn fahren kann Hinrich Scheel und reiten, das muß wahr sein.“

Jochen Prebrow klappte mit der Peitsche, und die Pferde, die bisher auf dem schmalen ausgefahrenen Vicinalwege im Schritt gegangen waren, trabten jetzt munter fort auf der breiteren und glatteren Landstraße.

In geringer Entfernung links lag Dahlitz, das prachtvolle Stammgut der alten adeligen Familie, aus welcher Cäcilie mütterlicherseits entsprossen, jetzt schon lange im Besitz der bürgerlichen Brandows, und Karl Brandow’s Erbe.

Die Straße, wie Gotthold sich erinnerte, führte unmittelbar am Hofe vorüber und dann noch eine längere Strecke an der Parkmauer hin. Sein Herz fing heftig an zu schlagen; seine Blicke schweiften scheu voraus zu dem Hause, dessen weiße Fronte zum Theil schon zwischen den Nebengebäuden hervortrat. So nahe an ihrem Wohnsitz vorüberzufahren; die einzige Gelegenheit, die sich sehr wahrscheinlich in alle Zukunft bot, verstreichen zu lassen, sie niemals, niemals wiederzusehen! Und wiederum, sie zu sehen, als Karl Brandow’s Frau – nein, besser so, viel besser!

Und Gotthold lehnte sich in die Ecke, die breite Krämpe seines Hutes tiefer in das Gesicht ziehend; er hätte am liebsten Jochen befohlen, wieder umzukehren. Indessen Jochen fuhr jetzt schlanken Trab, und so mußte es ja bald geschehen sein. Aber in dem Augenblicke, als sie an dem Hofthore vorüber wollten, kam aus demselben ein leerer Erntewagen ebenfalls im Trabe heraus, so daß die Vorderpferde und Jochen’s Pferde beinahe auf einander stießen. Jochen fluchte, und der Knecht fluchte, und Jemand, der auf dem Hofe stand, fluchte ebenfalls, Gotthold konnte nicht verstehen, ob auf den eigenen Knecht, oder den fremden Kutscher – wahrscheinlich auf Beide; aber es war wenigstens nicht Karl Brandow’s helle Stimme, und der große dicke Mann in Stulpenstiefeln, der jetzt mit schweren Schritten auf das Thor zukam, war gewiß nicht der schlanke elastische Karl Brandow.

Und da hatte denn Jochen auch bereits wieder freie Bahn und fuhr, die scheu gewordenen Pferde nur mit Mühe zügelnd, im Galopp an der niedrigen Parkmauer hin, über die man hier und da zwischen den Bäumen und Büschen einen freieren Blick in die Anlagen und einmal über einen schönen breiten Rasenplatz hatte, in dessen Hintergrunde die Seitenfront des Herrenhauses sichtbar wurde. Auf dem Rasenplatze stand noch die große Schaukel, in welcher eben zwei kleinere Mädchen von einer Bonne, wie es schien, vorsichtig gewiegt wurden, während ein halbes Dutzend anderer Kinder von jeder Größe sich umhertummelte. Ihre frischen Stimmen schallten lustig durch den stillen Abend, und eine große stattliche Dame bewegte sich durch die Spielenden, neben ihr ein kleiner schwarzgekleideter Herr, der wohl der Hauslehrer der Buben sein mochte.

Es waren nur wenige Secunden, während welcher sich dieses Bild darbot, aber Gotthold’s scharfes Auge hatte es bis in die Einzelheiten gefaßt und so stand es noch vor seiner Seele, als der Wagen bereits wieder auf der offenen Landstraße langsamer dahin fuhr. Sein Herz hatte sich vorhin ohne Ursache zusammengekrampft; sie wohnte nicht hier, nicht mehr hier. Wo lebte sie jetzt? er hatte so lange Jahre kein Wort aus der Heimath gehört – war auch sie todt? für ihn war sie es ja, und doch, und doch –

„Das ist ein grober Kerl, der Redebas,“ sagte Jochen, die Zügel in die linke Hand nehmend; „aber seine Sache versteht er, der wird schon damit zurechtkommen.“

„So gehört Dahlitz nicht mehr Herrn Brandow?“ fragte Gotthold.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_515.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)