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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

geschmückt sahen. Und als sich die Vertreter der Stadt Berlin den beiden nahen, hebt der eine biedere Bergbewohner erstaunt an: „Guck emal hei (hier)! Wat sein denn die do, mit denne Kette?“ Und belehrend antwortet der andere mit wichtiger Miene: „Dat sein lauter Berliner Paffe (Pfaffen)!“ eine Bemerkung, die große Heiterkeit erregt.

Hoch hinaus ragt der Ehrenstein auf der Stein’schen Burg. Eine steinerne Einfassung gestattet den Blick hinab in’s Thal. Das Musikchor des vierten Garde-Grenadier-Regiments Königin, der Sängerverein von Nassau, die Schulen und Ehrenjungfrauen bilden um das Denkmal und das diesem gegenüber errichtete kaiserliche Zelt, geschmückt mit den Reichsfarben, den Abschluß.

Da ertönt der Marsch aus Händel’s Judas Makkabäus: „Seht, der Sieger naht“ und plötzlich bricht die Sonne so hell und klar hervor, als ob sie theilnehmen wolle in voller Sommerpracht an der Verherrlichung des Mannes, dem heute alle Herzen des deutschen Volkes geweiht sind. Hinweggeweht sind die Wolkenschatten und selbst der Himmel sendet der Feier seinen heitersten Gruß.

Nach einer Ansprache Simson’s fällt die Hülle. Ueberraschend ist der Eindruck der Statue auf alle Anwesenden. So und nicht anders mußte der Mann verewigt werden, der in schweren Zeiten das Steuer des deutschen Staatsschiffes zu lenken vermochte.

Die Gestalt hat eine Höhe von über neun Fuß, sie ist markig und wuchtig und ruht auf dem rechten Beine, während das linke etwas vorgestreckt erscheint und der portraitähnliche Kopf mit den starken Zügen halb zur Höhe gewendet ist. In der rechten Hand hält die Statue ein starkes Heft: Nassau, 11. Junius 1807. Die berühmte Denkschrift über die Grundzüge einer Reorganisation des preußische Staates. Die Kleidung ist die Tracht des ersten Jahrzehntes unseres Jahrhunderts. Ueber einen zackigen Felsblock ist in reichen Falten ein Mantel geworfen. Das Material zum Unterbau, den Meister May nach Plänen von E. Zais ausführte, ist der schöne, rothe und feste Sandstein aus Bettingen bei Wertheim. Das Denkmal trägt die Inschriften: „Heinrich Fr. Carl, Freiherr vom und zum Stein, geb. 25. October 1757, gest. 29. Juni 1831.“ An beiden Seiten finden sich die Worte: „Des Guten Grundstein, des Bösen Eckstein, der Deutschen Edelstein!“ – „Vollendet im Jahre der Wiedererrichtung des deutschen Reiches 1871!“ Alle Klagen wegen Verzögerung der Vollendung des Denkmals verstummen vor dieser letzten Inschrift. Wahrlich, eine geeignetere Zeit konnte zum Ehrentage Steins nicht hereinbrechen, als unsere Tage, in welchen „der Traum, der seine Seele dereinst geschwellt hat“, eine Wirklichkeit geworden ist.

Möge man es uns erlassen, den Eindruck zu schildern, den die Wirkung der Enthüllung dieses nationalen Monumentes auf jeden Festtheilnehmer üben mußte. Drüben alle die Ritter vom Geiste und Schwerte, welche dem Staatsmanne zu huldigen kamen, der den Grundstein legte zu dem neuen Reiche, das jetzt erblüht und zu dem sie mannhaft den Schlußstein gefügt, hier das fernhinschauende Bild des Mannes, der eine bessere Zeit für seine Nation im Geiste voraussah, und der, ohne Rücksicht auf Menschen und menschliche Würden der Wahrheit und seiner Ueberzeugung und Erkenntniß treu blieb bis zum letzten Athemzuge.

Professor Heinrich von Sybel von Bonn ergriff nach einer von der Schuljugend gesungenen Strophe des Liedes: „Gegrüßt, du Land der Treue“ das Wort, und feierte in einem oratorischen Meisterwerk die Verdienste Stein’s mit beredter Zunge und noch beredterem Herzen. Die Tagespresse hat die kernigen Worte bereits den meisten unserer Leser nahe geführt, und wir geben deshalb, gegenüber der großen Verbreitung, welche die Rede innerhalb des deutschen Vaterlandes gefunden hat, nur einzelne Stellen derselben wieder.

Nach einer historischen Einleitung und Schilderung der Geschichte Stein’s, die in diesem Sinne auch die Geschichte des deutschen Volkes ist, hob der Redner die hohen Charakterzüge Stein’s, seine helle Freundlichkeit und seinen leicht aufflammenden Witz im persönlichen Verkehre, seine unbezwingbare Festigkeit und siegreiche Energie im öffentlichen Handeln hervor; er nannte ihn sehr bezeichnend eine Natur von schwerem und großem Stile, herrisch, schöpferisch, überwältigend, und schloß seine Rede, nachdem er noch die politischen und staatsmännischen Ziele, welche Stein erstrebte, klar hingestellt hatte, mit folgenden Worten:

„Es war ihm vergönnt, die Herstellung der nationalen Unabhängigkeit und den Sturz der napoleonischen Fremdherrschaft zu schauen und die gegen ihn ergangene Acht auf das Haupt des französischen Imperators zermalmend zurückzuschleudern. Was aber sein leibliches Auge nicht erblicken sollte, war die positive Neugestaltung des deutschen Vaterlandes nach seinem Sinne unter Preußens Führung: hier hat er, wie in der innern Verfassungspolitik, den kommenden Zeiten die Wege gewiesen und seinen Namen mit unvertilgbaren Zügen in den Markstein zweier Weltalter eingeschrieben. Und heute, nachdem im einmüthigen Zusammenwirken Deutschlands Herrscher und Deutschlands Volk die damals gestellte Aufgabe herrlich gelöst haben, heute geziemt es der deutschen Nation, Stein’s Denkmal zu enthüllen, in dem reinen Bewußtsein, daß sie der Väter werth geblieben.

So möge denn das Angedenken seines Wirkens bei dem deutschen Volke lebendig sein, als Spiegel der Mannesehre, als Bronn der Vaterlandsliebe, als Sporn zur Arbeit, als Schild gegen Selbstsucht und Sinnengenuß. Unser Reich steht heute, Dank der Leitung unseres Kaisers, Dank der Kraft seiner Berather, Dank der Thaten unseres Heeres, auf der Höhe des Glückes, des Ruhmes, der Macht. Kein größerer Gegensatz scheint denkbar, als der zwischen diesem Glanze und dem fast hoffnungslosen Elende von 1807. Aber gerade weil wir glücklich sind, ergeht an uns die gebieterische Mahnung, in doppeltem Maße den Pflichten zu dienen, deren Erfüllung damals das Land aus unsäglichem Jammer emporgehoben hat. Denn es ist ein altes Wort: ‚Die Vergeltung lauert auf den Glücklichen‘. Uns umgiebt der Neid und Haß der Besiegten. In unserer Mitte rühren sich vaterlandslose, staatsfeindliche, nur zu weit herangewachsene Kräfte. An unser eigenes Innere tritt von hundert Punkten die Versuchung heran, auf Lorbeeren und Milliarden gebettet, endlich einmal das glückliche Dasein schwelgend zu genießen. Steigen ist schwer; sich auf der Höhe behaupten ist schwerer. Mehr als jemals bedürfen wir heute, weil wir glücklich sind, der Thatkraft, der Entsagung und der Arbeitsfreudigkeit dieses Mannes. Halten wir denn fest an dem edeln Zorne, mit dem er Trägheit und Selbstsucht zurückstieß, an dem feurigen Schwunge der Seele, mit dem er sich und seinem Volke die feste Richtung auf die höchsten sittlichen Güter gab!“

Mit donnernden Rufen stimmte die Festversammlung in das Hoch auf den Kaiser ein, mit welchem der Redner seine Ansprache schloß, und tief unten im Thale, wie hoch oben auf den Bergen, fand dasselbe freudigen Wiederhall. Das „Heil dir im Siegerkranz“ ertönte, und gerührt drückten Kaiser und Kaiserin dem Festredner die Hand. Und als solle der Jubel kein Ende nehmen, trat plötzlich unter das Standbild des Urgroßvaters Unico von der Gröben, der einzige männliche Urenkel Stein’s, ein blondlockiger elfjähriger Knabe, und rief in kindlicher Begeisterung dem Kaiser ein nochmaliges Hoch zu, in das wiederholt die Menge unten im Thale und auf den Höhen einstimmte. Der Kaiser ging freundlich auf den Knaben zu, wehrte seinen Handkuß ab und drückte den Hocherfreuten väterlich an sich. Die Mitglieder des Kaiserhauses traten hierauf dem Standbilde näher, sprachen den Künstlern J. Pfuhl, E. Zais und J. May ihre hohe Befriedigung aus und fanden in der Stimmung des Tages Anknüpfungspunkte zur Unterhaltung mit den Festtheilnehmern. Hell und klar lag die Sonne auf dem Standbilde des Vorkämpfers deutscher Einigkeit, als wolle sie den vollen Tag andeuten, der dem deutschen Reiche aufgegangen. Schwer trennten wir uns vom Festplatze, doch das Zeichen zum Aufbruche war gegeben, und drunten harrten Tausende, welche gleichfalls Anspruch auf die Besichtigung des Standbildes hatten.

Auf dem Festplatze unten im Thale, einem der malerischsten Punkte des schönen Lahnthals, entwickelte sich ein belebtes Bild. Die officiellen Festtheilnehmer rüsteten sich zur Festtafel im Curhause, die leider des beschränkten Raumes halber nur für achtzig Personen Platz bot, während sich in der eigentlichen Festhalle ein anregendes, freieres Bild des bewegte Volkslebens entfaltete.

Im Curhause präsidirte Simson und schwang auch hier das unsichtbare Herrscherscepter über Redende und Hörer. Eine Reihe von Trinksprüchen feierte den Kaiser, die Manen Stein’s, das deutsche Vaterland und diejenigen Männer einer vergangenen Zeit, denen es seine gegenwärtige Gestaltung verdankt. Dann folgten Toaste auf die Stein’sche Familie, auf die Förderer und Hersteller des Denkmals, auf den Präsidenten Simson, auf Stein’s Biographen, Geheimrath Pertz, und auf seinen treuen Arzt, Dr. Wiesmann u. A. Manches kräftige deutsche Wort hob die Stimmung der Theilnehmer dieses nationalen Tages. Von Breslau, der zweiten Stadt der Monarchie, schickten Magistrat und Stadtverordnete der Festversammlung telegraphisch die Versicherung der geistigen Theilnahme an diesem Ehrentage „des Urhebers der Städte-Ordnung und des Vorkämpfers für die Unabhängigkeit Deutschlands“. Johann Pfuhl aber ehrte der Kaiser während der Tafel durch die Verleihung des königlichen Kronenordens.

In der Festhalle draußen fand die gehobene Stimmung ihren vollen nachhaltigen Wiederhall. Der dort von Professor Sybel gehaltenen Rede, welche mit einem Hoch auf den Fürsten Bismarck schloß, folgte ein lebhafter Jubel, in welchen sich die Böllerschüsse von den Höhen mischten. Raketen stiegen, in bengalischen Flammen leuchtete weithin das prächtige Denkmal und unten im Thale strahlte plötzlich der Namenszug Stein’s in bunten Lichtern, gekrönt von der majestätisch den ganzen Plan beherrschenden Germania – ein hehres Zeichen, daß die deutsche Nation einen Theil ihrer Ehrenschuld abgetragen, die so lange ihrer Tilgung harren mußte, um glorreich endlich gesühnt zu werden.

Wir dürfen in unserer Schilderung dieses deutschen Festes der Wahrnehmung nicht vergessen, daß Theilnehmer aller Nationen, besonders Engländer, Amerikaner – deren Gesandter die weite Reise nicht scheute – und Schweden, sich in dem kleinen Nassau eingefunden hatten. Sie waren aus den naheliegenden Badeorten, besonders aus Ems, zahlreich herbeigeeilt. Hob doch auch die Times die nationale Bedeutung des Festes in würdiger Weise hervor, indem sie besonders anerkannte: „daß die deutsche Nation in ihren Tagen des Ruhmes und der Hoffnung nicht die düstere Periode vergißt, welche das Land vor zwei Generationen erlebte.“

Dem ersten Festtage folgte am zweiten ein Volksfest, welches die Stadt Nassau ihren Einwohnern und Gästen gab. Im Festzug begaben sich der Stadtrath, die Schuljugend, die Vereine und Corporationen zum gräflichen Hofe, um den Nachkommen Stein’s den Zoll der Dankbarkeit zu spenden. Auch an diesem Tage fehlten Festreden, Jubelfeuer auf den Bergen und Illuminationen nicht. Wir aber zogen es vor, die gemeinsame Gruft der Familie v. Stein aufzusuchen, die sich in der Nähe, dicht bei dem auf waldigem Uferberge der Lahn gelegenen Dorfe Frücht befindet. Ein treffliches Marmorrelief Schwanthaler’s giebt die Züge des Reichsfreiherrn wieder, und mit stiller Ehrfurcht stehen wir nach all dem Jubel der letzten Tage vor den Grabstätten Stein’s, seines Vaters, seiner Mutter und seiner Tochter. Die Grabschrift des Vaters des Ministers lautet: „Sein Nein war Nein gerechtig, sein Ja war Ja vollmächtig, seines Ja war er gedächtig, sein Mund, sein Grund einträchtig, sein Wort, das war sein Siegel!“ Und über Stein’s letzter Ruhestätte finden wir die Worte: „Heinrich Friedrich Karl, Reichsfreiherr von und zum Stein, geb. 26. October 1757, gest. 29. Juni 1831, ruhet hier, der Letzte seines über sieben Jahrhunderte an der Lahn blühenden Rittergeschlechtes, demüthig vor Gott, hochherzig gegen Menschen, der Lüge und des Unrechts Feind, hochbegabt in Pflicht und Treue, unerschütterlich in Acht und Bann, des gebeugten Vaterlandes ungebeugter Sohn, im Kampf und Sieg Deutschlands Mitbefreier.“

Ferdinand Hey’l.




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