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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Deine Laune und Dein Ungestüm ertragen, ich will Dich besser behandeln als bisher, armes Wesen!“

Ich sah eine Thräne Remeny’s Wange herabträufeln und schlich mich erschüttert davon.

In den nächsten Tagen sah ich die Gräfin und Remeny nur flüchtig; Beide schienen unbeschreiblich glücklich zu sein.

Den andern Tag reiste ich nach Wien und kam erst nach fünf Monaten wieder nach Pest. Ich hatte in der Zwischenzeit von Freunden aus Pest gehört, daß Remeny jetzt weniger in die Welt gehe, daß er viel schreibe oder vielmehr der Gräfin dictire, welche sich ihm gänzlich widme. Seine Feder sei in den Tagen seiner Jugend nicht feuriger, nicht süßer und nicht beißender gewesen als jetzt; es scheine, daß die Gräfin großen Einfluß auf ihn habe und seinem Genie noch einen Jugendaufschwung gebe. Man habe anfangs über das Verhältniß gelächelt; allein das Lächeln habe aufgehört, man merke, daß ein heiliger Ernst darin sei.

Ich kam Abends in Pest an. Es zog mich so reißend zu Remeny, daß ich gleich hinging. Der Diener, welcher mir die Thür öffnete, sah verstört aus und bedauerte, mich nicht anmelden zu können, Herr Remeny sei schwer krank. Ich erschrak.

„Ist die Gräfin Br. oben?“ frug ich.

Er bejahte. Ich gab ihm meine Karte und hieß ihn, der Gräfin zu sagen, ich bitte sie, mich zu empfangen.

Es wurde mir schwül. War es die heiße Sommerluft? War es meine Bangigkeit? – Der Diener kam zurück und bat mich hinaufzugehen und die Gräfin in Remeny’s Arbeitszimmer zu erwarten. Es brannte eine Lampe darin. Nach einigen Minuten kam die Gräfin. Sie war schreckhaft bleich; sie sah aus wie eine wandelnde Leiche.

„Wie lange ist Remeny krank?“ frug ich.

„Seit acht Tagen,“ antwortete sie.

„Was sagt der Arzt?“ forschte ich bange.

Sie sah mich mit verzehrenden Augen an und sprach: „Er lügt!“

„Wie so?“ meinte ich.

Mit fester Stimme erwiderte sie: „Er sagt, Remeny werde gesund werden, und ich weiß, daß Remeny sterben wird.“

„Gräfin,“ rief ich bestürzt, „verzweifeln Sie nicht!“

„Remeny wird sterben!“ wiederholte sie.

„Was ist’s denn?“ frug ich.

„Was es ist?“ antwortete sie. „Das Ende.“

Ich frug, ob ich ihn sehen könne.

„Nicht jetzt,“ sagte sie; „später. Es ist mir lieb, daß Sie gekommen sind. Sie werden begreifen, daß ich Remeny nicht überlebe“ – ich wagte nicht, ihr zu widersprechen, sie hatte Recht, ich begriff es –; „ich will,“ fuhr sie fort, „Ihnen meine Familienpapiere übergeben, wie schon einmal. Sie werden Remeny zu lieb sich die Mühe nehmen und sie meiner Mutter schicken mit einer schonenden Mittheilung meines Endes.“

„Ich möchte die Nacht hier im Hause bleiben,“ äußerte ich von bangen Vorgefühlen bewegt.

„Bleiben Sie,“ sagte sie. „Machen Sie sich’s bequem; lassen Sie sich ein Bett hier auf dem Sopha machen. Ich hole Sie später.“

Sie ging mit leisen Schritten durch ein Cabinet in Remeny’s Schlafzimmer zurück. Der Diener sagte mir, daß sie seit acht Tagen kaum ein paar Stunden geschlafen habe und zwar nur im Fauteuil an Remeny’s Bett. Ich trat an eines der offenen Fenster. Die Nacht war schwül und dunkel. Eine Silberpappel im Garten reichte zum Fenster herauf und ihre Blätter schimmerten im Lichte der Lampe. Der Himmel war mit Gewitterwolken überzogen, die zuweilen ein schwaches Wetterleuchten zerriß. Ich blickte auf Remeny’s Schreibtisch. Manuscripte und Correcturbogen lagen darauf. Ich nahm ein Blatt in die Hand und las: „Ideen über die Gerechtigkeit“.

Während ich las, trat die Gräfin herein und sagte: „Kommen Sie, er will Sie sehen.“

Ich ging mit ihr; mein Herz klopfte gewaltsam, ich fühlte, daß ich zu einem sterbenden Manne ging.

Es brannte eine Lampe im Schlafzimmer; aber der grüne Vorhang über Remeny’s Bett hüllte sein Gesicht in Dunkel. Ich konnte seine Züge kaum unterscheiden. Die Gräfin führte mich an’s Bett. Remeny sah mich und sagte: „Wollen Sie mich sterben sehen? Ich glaube, Sie kommen gerade zu rechter Zeit.“

Ich nahm die Hand, welche er mir reichte, und sagte: „Es ist Ihnen ja gar nicht Ernst damit, in ein paar Tagen ist Ihnen wieder ganz wohl.“

„Glauben Sie?“ entgegnete er. „Ich fühle so etwas wie einen Wurm an meiner Wurzel nagen, und ich glaube, er wird bald durch sein.“ Nach einer Pause sagte er: „Olga, gieb mir Wein!“

Sie brachte Wein in einem Becher und hielt ihn an seinen Mund. Er trank langsam. Als sie den Becher von seinen Lippen nahm, sagte er: „Olga, ein Kuß!“

Sie gab mir den Becher und beugte sich vorsichtig zu Remeny nieder. Als sie sich erhob, sah ich, daß sie zu sinken drohte, und hielt sie. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust; sie faßte meine Hand und drückte sie krampfhaft, ihr ganzer Körper bebte und rang – sie wollte nicht weinen. Remeny schien ihren Zustand zu bemerken und sagte: „Olga, sei ruhig, ich schieb’ es hinaus, so lange ich kann.“

Sie setzte sich an seinem Bette nieder und nahm eine seiner Hände in die ihren; ihr Gesicht war ganz starr. Meine Augen hatten sich jetzt an das Dunkel gewöhnt, und ich erkannte Remeny’s Züge. Er war sehr verändert, ich sah, daß keine Hoffnung mehr da war. Ich ging in’s Arbeitszimmer zurück und las.

Nach einigen Stunden rief mich die Gräfin leise. „Er wird so unruhig,“ sagte sie.

Er fieberte stark. Der Arzt kam, verordnete Einiges und sagte zu mir, als ich ihn zur Treppe begleitete: „In zwei Stunden wird ein großer Mann sterben. Wachen Sie über die Gräfin!“

Ich rang nach Fassung, ehe ich in’s Schlafzimmer trat. Der Kampf begann bald. Remeny litt furchtbar – der Löwe starb nicht leicht. Die arme Frau hielt sich bewunderungswürdig. Ich sah, daß Remeny’s Leiden ihr durch die Seele schnitten, aber sie sagte kein Wort und that keinen Schrei. Gegen Morgen kam das Ende; er wurde ruhiger; er sprach zur Gräfin, leise und kaum verständlich. Ihre Seele hing an seinen Lippen – er verschied.

Olga sah ihn noch immer an, als er schon nicht mehr athmete. Dann plötzlich gab sie mir einen Schlüssel und sagte: „Seine Papiere.“

Ich nahm den Schlüssel. Sie griff in die Tasche ihres Kleides und zog ein Fläschchen daraus hervor. Ich wollte ihr wehren; sie sah mich mit einem unbeschreiblichen Blicke an und meine Hand sank herab. Ich wandte mich und ließ sie ehrfurchtsvoll in ihren letzten Augenblicken mit dem Todten allein. Ich ging in’s Arbeitszimmer und trat an’s Fenster. Die Sonne ging strahlend auf. Ich verhüllte mein Angesicht und weinte.

Als ich in’s Schlafzimmer zurückkam, lag die Gräfin mit Brust und Gesicht auf Remeny’s Leichnam. Ich hob ihren Kopf sanft in die Höhe – sie war todt. Andachtsvoll legte ich ihr Haupt wieder auf Remeny’s Brust und verließ das Zimmer.

Einige Jahre nach diesem Ereigniß ging ich wieder in die Karpathen und suchte die Lehmhütte auf, wo ich die Gräfin Br. zum ersten Male gesehen hatte. Die Hütte stand noch, fing aber an zu zerbröckeln. Im Innern fand ich auch noch den Tisch und die Stühle wieder. In einer Ecke entdeckte ich einen halb vermoderten kleinen Frauenschuh; ich hob ihn auf und behielt ihn. Ich setzte mich auf einen Stuhl und sah die kleine Gestalt vor mir mit den großen, glühenden Augen und den kleinen weißen Händen. Ich hörte ihr gebieterisches Sprechen, ihr wildes Clavierspiel und ihr leises Kichern. Ich sah sie zu den Sternen aufblicken und Remeny’s gedenken. Wo sind die Beiden nun? Wo ist Remeny? – wo ist Olga Br.?




Vom Ehrenstein des deutschen Reiches.


Fast eines halben Jahrhunderts bedurfte es, um eine Ehrenschuld des deutschen Volkes abzutragen – eine Ehrenschuld, welche Deutschland einem seiner größten Staats- und Volksmänner zu zahlen verpflichtet war.

Im Nachsommer 1857 trat in dem kleinen Städtchen Nassau an der Lahn eine Anzahl Männer zusammen, um die Idee der Errichtung eines Denkmals für den „großen Stein“ zu berathen. Der 25. October 1857, der hundertjährige Geburtstag Stein’s, wurde als besonders geeignet erachtet, das Gedächtniß an die Verdienste des großen Mannes wachzurufen, der mit vollstem Rechte als der bedeutendste Vorkämpfer für die Unabhängigkeit und Einigung Deutschlands gelten kann. Am 26. October 1857 erschien der erste Aufruf zur Errichtung des Ehrensteins für den Ehren-Stein, und heute, am 9. Juli 1872, nach Jahren mancher Mühe

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