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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

als ich eintrat, in dem nebenan liegenden Zimmer heftiges Schluchzen einer Frau. Betroffen stand ich still.

„Franz, Franz, ich bitte Dich auf meinen Knieen,“ flehte jetzt die Stimme, „sei nicht hart gegen mich!“

„Es ist aber, wie ich sage, Du hast Dich wie eine Närrin benommen und mich schmählich mit Dir blamirt,“ entgegnete eine andere Stimme, und diese Stimme kannte ich – sie war Remeny’s.

„Kann ich dafür, daß mein Auge Dich sah? Kann ich dafür, daß Dein Anblick mich verwirrte? Kann ich dafür, daß ich Dich liebe bis zum Wahnsinn?“ sagte die weibliche Stimme jetzt etwas gefaßter, und ich glaubte mich nicht zu täuschen, daß es Gräfin Br. war, welche sprach.

„Bis zum Wahnsinn – ja, Wahnsinn ist Deine Liebe zu mir, dem Greise, der durch Dich zum Gespötte wird nach den Tagen des Ruhmes,“ sagte Remeny.

„Franz,“ sagte die Frau wieder, „Franz, ich bin ja keine Künstlerin, was macht es denn, daß ich stecken blieb? Das Urtheil der Menge ist mir gleichgültig.“

„Aber man weiß recht gut, warum Du stecken bliebst,“ rief Remeny wüthend. „Man lacht über Dich, man lacht über mich. ‚Ach,‘ sagt man, ‚die stolze, philosophische Gräfin verliert die Contenance, wenn sie Remeny sieht, und Remeny geht in’s Concert, um ihre Triumphe mit zu feiern, und erleidet ihre Niederlagen.‘ Bei Gott! ich will nicht, daß Remeny’s Geliebte sich und mich blamire!“ rief er mit erhöhter Stimme und er schien ihr Handgelenk zu fassen, denn ich hörte ein Gewand plötzlich wie niederduckend rauschen und einen schwachen Schrei.

„Weißt Du, wer Remeny ist?“ knirschte er.

„Ja!“ rief sie in Ekstase. „Ja, ich weiß es! Er ist ein Löwe in der Wüste, ein Komet, eine Feuersäule für die, welche ihn hassen, und ein Eisberg für die, welche ihn lieben. Er ist ein Gott ohne Liebe.“

„Weib, mache mich nicht rasend!“ rief Remeny. „Ich habe viele Frauen mein genannt, und so hat keine zu mir zu reden gewagt, wie Du. Wer bist Du denn, Du kleine polnische Gräfin?“

„Ein Weib, dessen Liebe Du nicht verdienst, Remeny,“ sprach sie mit niedergehaltener Stimme.

Es folgte eine Pause; ich wagte nicht zu athmen.

„Franz,“ sagte die Gräfin wieder, „wer wollte, daß ich spiele, Du oder ich? wer wollte glänzen, Du oder ich? – Habe ich Dich nicht gebeten, dies Opfer nicht von mir zu verlangen? Habe ich Dir nicht gesagt, daß ich die Welt und ihren Beifall verachte, daß ich zu stolz bin, mich preiszugeben? Wer bat mich, wer gebot mir, es zu thun? Der Tyrann Remeny.“

„Olga!“ rief Remeny drohend.

„Der Tyrann Remeny,“ sagte sie fest. „Der Tyrann Remeny, der meine Seele stahl. Der Tyrann Remeny, um den ich Eltern und Kind verließ, dem ich Alles opferte und der seine Hand gegen mich aufhebt, wenn ich vor Liebe zu ihm die Welt und Menschen nicht mehr sehe und vergesse, daß ich in einem Concertsaal bin. Franz, Du bist nicht mehr, wie Du früher warst – bist Du meiner müde, so schick’ mich fort.“

„Du bist so ungleich, Olga,“ sprach Remeny ruhiger als vorhin. „Von der rührendsten Hingebung springst Du auf zum unbändigsten Eigensinn, von der unvergleichlichsten Demuth zum lächerlichsten Hochmuth, von dem kindlichsten Vertrauen zur unwürdigsten Eifersucht.“

„Eifersucht,“ rief sie jetzt, „ja, Eifersucht, denn der große Remeny, der die Schwächen Anderer geißelt, ist auch schwach! Nicht ein einziges Mal hast Du in Gesellschaft mir die Aufmerksamkeit bewiesen, die Du Andern beweisest. Der finstere Remeny, der kaum ein Lächeln für die arme Olga hat, verschwendet es hundertfach an jede Frau, die seiner Eitelkeit schmeichelt. Und ich soll nicht eifersüchtig sein?“

„Nein, denn Du hast kein Recht dazu,“ sagte er.

„Kein Recht? Wer hat ein Recht dazu, wenn ich keins habe? Ich, die Dich liebt mit allen Fasern ihres Wesens? Ich, die nicht ausgeht, damit Du sie nicht verfehlen sollst; ich, die zu Dir kommt, wenn Du sie rufst; ich, die Deine Freunde liebt und Deine Feinde haßt; ich, die nach Deinem Gebote athmet – Remeny, Du bist undankbar.“ Wieder eine Pause. „Franz,“ bat sie jetzt unter Weinen, „warum diese ewigen Zwiste? warum diese Bitterkeit? O mein Gott, ich liebe Dich, Franz, wie Du mich auch mißhandelst! Dein Genius reißt mich hin, er riß mich zu Dir, er reißt mich in’s Verderben, ich fühle es, denn Du bist wankelmüthig, Du kannst nicht lieben! Dir ist die Frau nichts als eine Rose, deren Duft Dich eine Weile berauscht und die Du mit selbstsüchtigen Händen entblätterst und unbekümmert zur Erde wirfst. Franz, die Frau ist mehr, als nur Das, und ich liebe Dich!“

„Olga“, sagte Remeny mit hartem Tone, „Du wirst morgen Pest auf immer verlassen.“

„Franz, Du kannst mich nicht verstoßen!“ rief sie mit herzbrechendem Schmerz. „Du weißt, daß ich ohne Dich nicht leben kann, nicht athmen. Das Dasein ohne Dich ist ein beständiger Schmerz.“ Ich hörte, daß sie sich ihm zu Füßen warf. Sie wimmerte. „Franz, ich will von nun an immer sanft sein, ich will Alles dulden, nur laß mich Deine Nähe athmen, Deine Züge sehen, Deinen Schatten küssen. Franz, sei barmherzig, ohne Dich muß ich sterben.“

„So stirb!“ sagte Remeny dumpf.

Ich hörte, daß sie sich vom Boden erhob. Mit unbeschreiblichem Tone sagte sie langsam: „Remeny, dies Wort sollst Du mir theuer bezahlen. Geh’!“

Er ging. Ich blieb wie angewurzelt an der Thür stehen. Es blieb lange, lange still im anstoßenden Zimmer. Endlich bewegte sie sich zur Thür und klingelte. Sie befahl dem eintretenden Kellner, Thee zu bringen, und ich benutzte den Augenblick, wo dieser hinausging, mich in den Salon zurückzuschleichen und dann die Thür mit Geräusch zu öffnen, als ob ich eben erst nach Hause käme.

Ich wachte beinahe die ganze Nacht, um sie zu bewachen. Ich hielt sie einer verzweifelten That fähig, und ich verstand zu gut, daß mit Remeny’s Liebe ihr Herz gebrochen sei. Erst als der Tag zu dämmern anfing, schlief ich ein. Am Morgen schickte ich ihr meine Karte und schrieb darauf: „Bittet die gütige Gastgeberin aus den Karpathen, ihn zu empfangen.“ Sie schickte mir ihre Karte, worauf geschrieben stand: „Kommen Sie.“ Ich ging sogleich hinüber. Sie empfing mich mit den Worten: „Sind Sie mein Zimmer-Nachbar?“ Auf mein Bejahen sah sie mir scharf in’s Auge und sagte: „Haben Sie gestern Nacht gehört, was hier gesprochen wurde?“

Ich wurde roth, sie durchschaute mich – ich sagte: „Ja, ich habe es gehört.“

„Setzen Sie sich. Einen Augenblick Geduld,“ bat sie, „ich habe noch einen nothwendigen Brief zu enden.“

Mit ihrer gewohnten Nonchalance setzte sie sich an einen Schreibtisch und schrieb, oftmals die Hand an die Stirn legend. Ich fand sie verändert. Sie war älter geworden, mager, und ein Zug von Uebermüdung lag auf ihrem geistvollen Gesicht. Ihre Augen schienen mir noch größer als vor zwei Jahren. Sie war mir sympathischer als damals, und ich wünschte aufrichtig, etwas für die Wiederherstellung ihres Glückes thun zu können. Sie siegelte jetzt ihren Brief, schrieb die Adresse und setzte sich dann in meine Nähe. Sie hatte ein Morgenkleid von violettem Atlas an. Sie saß so müde, so gebrochen, so elend in dem Fauteuil, daß ich mein Mitleid kaum verbergen konnte.

„Sie haben mir vor zwei Jahren ein Billet von Remeny zurückgelassen. Ich habe Ihre doppelte Absicht recht gut verstanden. Eine große Freude haben Sie mir bereitet, aber meine Begeisterung für Remeny konnten Sie mir nicht nehmen, denn ich finde, daß ein großer Mann auch Magenkrämpfe haben darf. Als Sie mich in den Karpathen fanden, hatte ich Remeny aufgegeben, aber nicht meine Leidenschaft für ihn. Ein Jahr und sechs Monate zuvor war ich bei Verwandten in Pest gewesen und hatte Remeny, dessen Werke ich damals schon auswendig kannte, oft gesehen. Er zeichnete mich aus, er sah, daß ich ihn liebte, und sagte mir, mit Wahrung seiner achtundfünfzigjährigen Würde, daß er für mich eine Begeisterung fühle, wie er sie nie gekannt. Ich sei seine Muse, die für ihn auf die Erde herabgekommen. Wäre Remeny damals frei gewesen, so hätte ich mich damals schon zu seiner Sclavin gemacht. Allein die Fürstin war noch bei ihm, und wenn ich mein Herz und mich selber gab, so wollte ich Remeny auch ganz allein besitzen. Ich fühlte das Feuer seiner Seele die meinige verzehren, und eben dies zog mich an. Aber mein Stolz rettete mich. Ich floh von Pest und hörte nichts

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