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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

halten und den Kaiser, der im Drange der Geschäfte selbst wenig zum Lesen kommt, über die literarischen Erscheinungen im Laufenden zu erhalten. Aber nicht nur Bücher, Karten und Prachtwerke sind in diesem Raume angehäuft, sondern auch Kunstgegenstände jeder Art, die der Monarch entweder angekauft, oder zum Geschenk erhalten, oder auch in einer der unzähligen Verloosungen und Bazars, an denen er sich selbstverständlich betheiligen muß, gewonnen hat. Unter diesen Sachen hält er ab und zu Umschau, um Eines oder das Andere zu einem Geschenk, einer Ueberraschung auszuwählen, und das gewöhnlich, während er sein zweites Frühstück verzehrt. Dasselbe wird vom Jäger oder einem Lakaien gebracht, und die Platte, auf der es servirt ist, hat eine bestimmte Stelle auf einem der niedrigen Schränke, in denen die großen Kupferwerke liegen. Viele Leute in Berlin, die nicht Kaiser sind, würden beim Anblick des Butterbrodes, der paar Schnitten kalten Fleisches sich sagen: Wie haben wir das bei uns zu Hause Alles reichlicher! Und dies einen Tag wie den andern, nur so lange es Hummer giebt, wird von dieser Lieblingsspeise des Kaisers dem Fleische etwas beigelegt. Früher stand neben der Platte eine halbe Flasche Moselwein, von welcher aber der Kaiser nur etwa zwei kleine Gläser trank, die andere Hälfte wurde zum Diner aufgehoben. An die Stelle desselben ist zum Frühstück jetzt Tokayer getreten.

In den Pausen zwischen Vorträgen und Audienzen kommt auch oftmals die Kaiserin herab; namentlich in Zeiten, wo sich der Kaiser nicht recht disponirt fühlt, führt sie die Sorge um den Gemahl häufig nach dessen Gemächern. Mit welch schwerbeladenem Herzen mag sie im letzten Winter oft die schmale Treppe herabgestiegen sein!

Bis gegen drei Uhr gehört der Tag den Geschäften, nur an einem einzigen Tage in der Woche, am Freitage, fallen diese für die Staatsangelegenheiten aus. An diesem Tage hört der Kaiser die hohen Beamten in Angelegenheiten seines Hauses und Hofes. Der Letzte, der im Laufe des Vormittags vorgelassen wird, ist der Privatsecretär und Verwalter der Privatschatulle, der Geheime Hofrath Borck. Derselbe hat alle Unterstützungsgesuche und Gnadengeschenke bis zu einem gewissen Betrage unter sich und in seine Hand ist vom Kaiser viel Vertrauen gelegt. Er hat über die Gelder, die er ausgiebt, Niemandem Rechenschaft zu geben, aber der Kaiser weiß auch, was er an dem Manne besitzt und daß dieser der würdige Sohn eines Vaters ist, der ihm viele Jahre gedient hat und an dessen Stelle der Sohn nachgerückt ist. Von äußerem militärischen Habitus, kurz und wenig sprechend, ist Geheimrath Borck ein Mann, der, im guten Sinne des Wortes, lebt und leben läßt. Bei seinem offenen rechtlichen Charakter, bei der liebenswürdigen Bonhomie seines Wesens weiß er immer den Dingen eine günstige Seite abzugewinnen und im wohlwollenden Sinne zu erörtern. Das hat sich bei so vielen Gelegenheiten kundgegeben und so ist es auch gekommen, daß der Genannte zu den bekanntesten und beliebtesten Persönlichkeiten Berlins gehört.

Um drei Uhr hält vor dem Seitenportale des Palais eine offene zweisitzige Kalesche, bespannt mit zwei Trakehner Rappen. In diese steigt der Kaiser ein, und fort geht es die Linden entlang durch das Brandenburger Thor nach dem Thiergarten hinaus, etwa eine halbe bis drei Viertel Stunde lang – nicht länger. Denn wenn der Kaiser das Palais wieder betritt, dann weiß er schon Einen im Vorzimmer seiner harren, und zwar den Mann, dessen Geschäfte meistentheils am wenigsten Aufschub leiden, der in seiner Mappe die wichtigsten Entscheidungen vorlegt, den Fürsten Bismarck. Für ihn ist der Kaiser stets zu sprechen; es giebt wohl Tage, wo der Reichskanzler zu anderer Zeit im Palais erscheint, aber Gott behüte uns vor solchen! denn dann ist er immer Sturmvogel. In den Zeitperioden jedoch, wo die Politik ruhige Fluth ist, gehört seinem Vortrage die vierte Nachmittagsstunde.

Wenn dann so der Kaiser die Pflichten seines hohen Amtes abgethan, kann er sich mit vollem Bewußtsein redlich und mühsam gethaner Arbeit zur Tafel setzen, und um seinen Appetit brauchen wir uns dann nicht zu sorgen. Ist die Kaiserin von Berlin abwesend, so kommt es wohl selten vor, daß der Kaiser Gäste um sich sieht, nur etwa bei besonderen Gelegenheiten, wie z. B. bei Geburtstagen fremder Souveraine, nach Truppenbesichtigungen etc. Gewöhnlich speist er dann allein. Häufig wohl geht er dann selbst zu Gast bei einem Generale oder einem Minister. Aber auch während der Anwesenheit der Kaiserin in den Wintermonaten kommt es vor, daß die Herrschaften beim Diner allein sind. Die Zusammensetzung des Menu richtet sich vollkommen danach ein, ob das Diner nur für den Kaiser und die Kaiserin servirt wird, oder für zwanzig, für dreißig, für hundert Gäste. In ersterem Falle ist es ganz einfach; etwas Anderes ist es natürlich, wenn Gäste zugegen sind; dann entspricht es auch vollkommen den Erwartungen, welche sich jeder Eingeladene von einem kaiserlichen Haushalte zu machen versucht fühlt und wohl auch berechtigt ist. Während jeder minder gut situirte preußische Staatsbürger sich nach dem Mittagsessen zur weitern Pflege seines Leibes gemächlich auf dem Sopha ausstrecken und ein Stündchen auf das Ohr legen kann, ist solche Annehmlichkeit dem Beherrscher von vierundzwanzig Millionen Preußen nicht beschieden, oder vielmehr, er erlaubt sich dieselbe nicht. Denn nach dem Diner warten seiner schon wieder neue Einläufe, Telegramme etc., auf die er resolviren muß oder auch wohl in eigenhändigen Briefen sich äußert, und das bis in die Abendstunden hinein.

Während für die Berliner die königlichen Theater um halb sieben Uhr beginnen, ist für den Kaiser der Anfang erst dann, wenn er seine Geschäfte abgethan hat. Fast täglich besucht er das Theater, sei es das königliche Schauspielhaus oder das Opernhaus; oft geht er an einem Abende in beide. Seltener, daß er einer Vorstellung in einem Privattheater beiwohnt. Er liebt die Abendunterhaltungen durch die dramatische Kunst ebenso sehr, wie sein Vater Friedrich Wilhelm der Dritte dieselben gepflogen hat, theils wegen der angenehmen heitern Anregung, die er durch dieselben empfängt, theils aber auch wohl wegen der Ruhe, die er, allein oder auch nur mit der Kaiserin und seinem Bruder Karl in seiner Loge sitzend, nach all’ den Mühen und Anstrengungen des Tages sich hingeben kann. Die Theaterzeit ist für den Kaiser die einzige Erholung des Tages; während er an anderen Orten für tausenderlei Interessen bereit sein muß, während er, der Mächtigste im Staate, anderswo durch unzählige Rücksichten gebunden ist, fühlt er sich hier in seiner Loge als Herr seiner selbst; hier bleibt er abgeschlossen für sich, hier kommt nichts an ihn heran, was ihm störend oder unangenehm ist. Denn selbst die Geselligkeit, welche ihm die Kaiserin durch eine größere oder kleinere Anzahl von Gästen fast jeden Abend in ihren Salons bereitet, selbst diese bringt ihm oft nicht jene Behaglichkeit, nicht das günstige Sichausruhen, das jeder Privatmann nach des Tages Last und Mühen sich verschaffen kann. Es treten hier in den verschiedenen Persönlichkeiten so viel mehr oder minder versteckte Absichten und Wünsche an ihn heran, es ist der Charakter gewisser Angelegenheiten, daß sie sich am besten beim Thee zwischen zwei Fauteuils einleiten oder besprechen lassen, kurz, es warten in den rothen Salons der Kaiserin so viel Rücksichten auf ihn, daß diese Thees und Soirées eben nur wieder zu einer geistigen Arbeit für ihn werden. Kommt dann die Jahreszeit heran, wo in dem Zimmer über seinem Schreibgemache, in dem kleinen Salon der Kaiserin, allabendlich nicht mehr die Lüstres aufflammen, hält sich die Kaiserin des milden Klimas wegen in Coblenz oder in Baden-Baden auf, dann verbringt er die Zeit nach dem Theater in seinem Eckzimmer, trinkt eine Tasse Thee, ißt ein Butterbrod und fertigt dabei alle Einläufe ab, die an der bekannten Tischecke im Verlaufe des Abends wieder aufgespeichert worden sind. Nicht eher sucht er das Lager, als bis Alles erledigt ist; um sich jedoch bei der Arbeit frisch und wach zu erhalten, sitzt er auf einem hohen Lederstuhle und hat dabei die betreffenden Papiere auf einem mit grünem Tuche überzogenen Pulte vor sich liegen. Erst wenn der letzte Federzug gethan – gegen elf Uhr – giebt er dem Kammerdiener das Zeichen, daß er sich zur Ruhe begeben wolle.

Das Schlafzimmer des Kaisers liegt zwischen der Bibliothek und dem Adjutantenzimmer; es hat nur ein großes Fenster, welches nach rückwärts in einen kleinen Garten sieht. Den Boden bedeckt ein Teppich, von dem man gerade nicht sagen kann, daß er noch sehr schön sei. Mehrere große Mahagoni-Schränke enthalten die Uniformen des Kaisers, welche er am meisten zu tragen pflegt. Um die eine Seite des Schlafgemaches läuft ein Metallgestell, in dessen Einschnitte die Säbel und Degen des Kaisers gestellt sind. Es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_489.jpg&oldid=- (Version vom 2.8.2020)