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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

„Ein Theil der Hecker’schen Schaaren campirte in der Nacht vom 19. zum 20. April 1848 in dem Städtchen Kandern bei Müllheim, um von dort aus am andern Morgen die Rheinebene zu betreten. In der Nacht kam noch die Nachricht, daß badische und hessische Truppen im Anzug seien, und so wurde früh alarmirt. Beim ersten Tagesgrauen erschien der badische Regierungsrath Stefani und verlas auf dem Marktplatz zu Kandern die Aufruhracte, und dann begann erst die Thätigkeit Gagern’s. Die Schaaren Hecker’s zogen sich in Ordnung auf der Straße nach Schlechtenhaus und Steinen hin zurück, die Truppe folgten. Als die Schaaren Hecker’s den Wald erreichten, wurde Halt geboten und nun erfolgte richtig auf der Brücke hinter Kandern jene in Bildern verewigte Unterredung Hecker’s in Begleitung seines Adjutanten Schöninger mit Gagern.

Nachdem die Unterredung resultatlos geendet hatte und Hecker zu den Seinigen zurückgekehrt, begann der Rückzug derselben auf der Straße nach Schlechtenhaus und Steinen. Auf der sogenannten Scheideck bei Kandern, einem großen Plateau, sicher eine starke halbe Stunde von der Brücke, wo die Unterredung stattgefunden, entfernt, machten die Hecker’schen Halt, traten in Schlachtordnung und erwarteten den Angriff. Von Hecker war der gemessene Befehl gegeben, nicht zuerst zu schießen, weil er auf ein Uebergehen der Soldaten hoffen mochte. So marschirten diese unbehelligt den Berg herauf gegen die Scheideck. Die Hessen, die das Vordertreffen bildeten, wurden von den Hecker’schen mit ‚Hoch deutsche Brüder!‘ empfangen, und Einzelne wagten sich sogar bis zur Fronte der Soldaten vor und reichten ihnen die Hände. Dies mochte General Gagern gesehen haben und um seine Truppen vor solchem Fraternisiren zu bewahren, sprengte er in die vordersten Reihen, gab den Befehl zum Feuern und in diesem Augenblick fielen die auch für ihn tödtlichen Schüsse.

Ein einfacher Stein auf der Scheideck bei Kandern bezeichnet die Stelle, wo Gagern fiel. Ich selbst sah den folgenden Tag noch die Blutlache auf der Scheideck, wo der General gefallen war, und wollte heute noch auch ohne Denkstein die Stelle bezeichnen, so fest blieb jener Vorgang mir im Gedächtniß.

Nach dem Fall des Generals dauerte das eigentliche Gefecht kaum eine starke Viertelstunde. Wie es von ungeübten Schaaren eben zu erwarten war, stoben sie auseinander, als sie sahen, daß die Soldaten Stand hielten; nun begann die bekannte Verfolgung durch den badischen Dragonerobersten Hinckeldey, der an Gagern’s Stelle den Oberbefehl übernommen hatte.“

Hecker und seine Anhänger haben gegen die erlogenen Berichte der beeinflußten Presse von dem angeblich meuchelmörderischen Anfall auf den General v. Gagern sofort und besonders von Muttenz, Hecker’s schweizerischem Zufluchtsorte, aus Verwahrung eingelegt; allein die Stimme der Wahrheit reichte in der damaligen Aufregung und bei den sich überstürzenden Ereignissen nicht weit genug, um überall vernommen zu werden. Becker’s Weltgeschichte (Fortsetzung von Eduard Arnd, 18. Band, S. 341), die sich schon am „Hambacher Fest“ arg versündigt hat, ging uns auch hier mit dem schlechten Beispiel voran. Um so dankbarer sind wir dem treuen Manne von Pforzheim, der uns vor der Gefahr gerettet hat, unserm Friedrich Hecker als Gruß zu seiner erhofften Wiederkehr einen solchen alten reactionären Aerger entgegenzubringen.




Nichts Neues unter der Sonne. Daß die Monstre-Concerte – wir erinnern an das Bostoner – ihre Vorläufer in einer sehr frühen Zeit haben, das beweist unter anderen Beispielen die folgende Mittheilung: Einzig in den Annalen der Tonkunst ist das Concert, das auf Verlangen des Kurfürsten Johann Georg von Sachsen den 13. Juli 1615 in Dresden stattfand. Das ganze Concert sollte eigentlich in einer Art Oratorium bestehen, welches die Historie von Holofernes behandelte. Der Text dazu war von einem gewissen Matheseus Pflaumenkern verfaßt, die Musik aber von dem Hofcantor Hilarius Grundmaus componirt. Nachdem der Letztere dem Kurfürsten einen Plan vorgelegt hatte, erhielt Derselbe nicht allein die Billigung des Fürsten, sondern der Hofcantor bekam außerdem noch fünf Fäßchen Bier aus der Hofbrauerei zum Geschenk, mit dem Befehl, etwas ganz Absonderliches, Außergewöhnliches zu veranstalten; der Kurfürst wolle alle Kosten tragen. Demzufolge wurden alle Tonkünstler von Deutschland, der Schweiz, von Waadtland, Polen und Italien aufgeboten, sich mit ihren Schülern zu dem großen Musikfest in Dresden einzufinden.

Am Tage St. Cyrillus, den 9. Juli 1615, waren denn auch in der Stadt 576 Instrumentalisten und 990 Sänger gegenwärtig, die Dresdener Choristen nicht mitgerechnet. Die Ersteren brachten nicht allein bereits bekannte, sondern selbst noch nicht gehörte und gesehene Instrumente mit. Vor Allem zog der Riesenbaß eines gewissen Rapotzky aus Krakau in Polen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Derselbe war auf einen mit acht Mauleseln bespannten Wagen geladen und war sieben Ellen hoch. Sehr sinn- und kunstreich war an dem Instrumente eine kleine Leiter angebracht, mittelst deren Rapotzky nach Gefallen die höheren oder tieferen Töne auf dem gigantischen Basse angab, indem er, mit dem Bogen in der Hand, gewandt auf und nieder voltigirte. Ein Student aus Wittenberg, Namens Rumpler, hatte die Partie des Holofernes übernommen und vom Hofe die Vergünstigung erhalten, seine erschütternde und markige Baßstimme zuvor im Wirthshause durch beliebigen kostenfreien Biergenuß zu stärken und anzufeuchten. Am bestimmten Tage fand die Aufführung dieses Concertes statt, und zwar hinter dem Finkenbusch, rund um einen Hügel, nachdem vorher die nöthigen Gerüste und Erhöhungen, sowohl für die Musiker und den Hof, wie für die vorderen Zuhörer zurecht gemacht waren. Aus Besorgniß, daß der ungeheure Baß Rapotzky’s noch nicht kräftig genug für die Masse der anderen Instrumente sein möchte, ließ der Cantor Grundmaus auf die vier Flügel der Windmühle, die auf dem Hügel stand, ein starkes Schiffstau spannen, welches die Töne der Violen versinnlichen mußte, und deshalb mit einer ausgezahnten Holzsäge gestrichen wurde.

Zu Seiten des Halbcirkels, den die Musiker bildeten, stand eine große Orgel, die vom Pater Serapion mit den Fäusten gehandhabt wurde. Anstatt der Pauken hatte man kupferne Braukessel in Bereitschaft gesetzt, doch da auch diese dem Cantor Grundmaus noch zu schwach dünkten, so ließ der Kurfürst einige Stücke Geschütz auffahren, die beständig geladen und vom Oberhofkanonier genau nach der Partitur losgebrannt wurden. Die Ausführung dieses höchst absonderlichen Musikfestes glückte über alle Maßen und riß alle Anwesenden zur Bewunderung hin. – Unter den Sängern zeichnete sich Donna Bigozzi aus Mailand besonders aus. Sie hatte aber mit Trillern, Läufern, Coloraturen und allerhand lieblichen Agréments ihre Kräfte dergestalt überboten, daß sie nach Verlauf von drei Tagen starb.

Der Student Rumpler, durch den großen Baß unterstützt, sang eine Arie mit so fürchterlich schöner Stimme, daß Alles erzitterte. Das Ganze wurde mit einer überaus künstlichen Doppelfuge beschlossen, wobei es zwischen den beiden Singchören in vollem Ernst zu Thätlichkeiten kam, da die fremden Sänger, welche die fliehende Assyrier vorstellten, von den Dresdener Choristen, welche die Partie der triumphirenden Israeliten übernommen, mit unreifem Obst und Erdklößen geworfen wurden, worüber der Kurfürst herzlich lachte und sich höchlich ergötzte. Nur mit Mühe konnte man die fremden Sänger verhindern, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, wodurch die Festlichkeit leicht einen betrübten Ausgang hätte erleben können. Der Hofcantor Grundmaus empfing als Belohnung ein Fäßchen Niersteiner und fünfzig Meißner Gulden.




Lehren des Jesuitismus. In „Neun Thesen wider das sogenannte Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes“ theilt der Friedeburger Pastor R. Neumeister u. A. folgende Lehren des Jesuitismus aus des Jesuiten Rosseus Werk „Von der gerechten Gewalt der Kirche über die gottlosen und ketzerischen Könige“ mit:

„Die fürstliche Gewalt ist ein Auftrag, den das Volk zurücknehmen kann. Der Vertrag zwischen Fürst und Volk wird erst durch den feierlichen Act der Krönung, der durch die Bischöfe vollzogen wird, gültig. Das Recht der Succession hat keine Geltung, die Nachfolge ist abhängig vom Volke; dem Volke steht das Recht zu, über seinen Regenten zu richten, ihn abzusetzen und zu bestrafen.“

So weit wird ein entschiedener Demokrat, mit Ausnahme der bischöflichen Krönung, sich mit diesem politischen Theil der Jesuitenlehren nicht in Zwiespalt fühlen. Nun kommt aber die andere Seite: „Ketzerische Könige sind schlechter als die Hunde, ihre Ketzerei beraubt sie ihrer Würde. Keiner braucht ihnen mehr zu gehorchen, sie müssen auf Befehl der Kirche getödtet werden. Könige ziehen sich aber das Verbrechen der Ketzerei zu, wenn sie sich in kirchliche Angelegenheiten mischen, Ketzer nicht aus der Kirche treiben, ketzerische Bücher nicht vertilgen, Versammlungen der Ketzer nicht hindern, sich weigern, die Decrete der Kirchenversammlungen zu genehmigen und bekannt zu machen.“

Mit Recht meint Neumeister, daß neben diesen Lehren es fast in nichts verschwindet, wenn andere Jesuiten, z. B. ein Escobar, den Unterthanen die Wahl gestatten, ob sie die gegebenen Gesetze annehmen und die auferlegten Steuern entrichten wollen, oder den Geistlichen den Gehorsam gegen die weltliche Obrigkeit erlassen, denn „weil der Geistliche nicht Unterthan des Königs ist, so ist auch der Aufruhr eines Geistlichen gegen den König kein Majestätsverbrechen.“ –




Oscar Pletsch, der liebenswürdige Illustrateur der Kinderwelt, bisher in Berlin wohnhaft, hat die Kaiserstadt verlassen und sich in Niederlößnitz (bei Dresden) niedergelassen, wo schon Herbert König und verschiedene andere Künstler wohnen. In einer sehr niedlich illustrirten Karte, seine drei ausräumenden Kinder darstellend, nimmt er von seinen Freunden Abschied mit folgenden Versen:

Addio, beste Freunde! Laßt mich zieh’n!
Gönnt mir ein Heim, unkündbar, frei und friedlich.
Zur Weltstadt wurde allerdings Berlin,
Doch – unter uns! – verteufelt ungemüthlich.
Die Steuern wachsen und der Häuser Giebel,
Die „Schrippe“ doch verkümmert zum Symbol.
Nein! was zu viel ist, Freunde! ist vom Uebel –
Verehrte Reichshauptweltstadt – fahre wohl!

Fort! fort aus Wohnungsnoth und Häuserschwindel,
Aus all der Herrlichkeit des Gründerflors!
Packt ein! Pack’ ein, du fröhliches Gesindel,
Ihr lichtbeschwingten Genien des Humors!
Brecht ab mein leichtgefügtes Künstlerzelt,
Tragt es davon auf schwungerprobten Flügeln!
Am Strand der Elbe sei es aufgestellt,
Dort an der Lößnitz grünen Rebenhügeln.

Dorthin schleppt all mein liebes Allerlei,
Daß Hausrath ich und Malzeug wiederfinde!
Rechts an das Fenster rückt die Staffelei,
Wo um die Scheiben Weinlaub rankt und Winde!
Wir gründen uns, fürwahr nicht um zu ruh’n,
Ein eigen Nest auf trautem Flecklein Erde –
Nein, doppelt froh in rüst’gem Künstlerthun
Zu schaffen hier an friedlich eignem Herde.

Addio denn! ruft euch, so laut es kann,
Von Herzen zu mein kleines Umzugs-Trio.
Auch Niederlößnitz 15d fortan
Der Eure und der Alte stets! Addio!




Zur Nachricht. Die fünf nach Bohnstedt’s Entwurf angefertigten Photographien des Parlamentsgebäudes sind von Gotha durch die Buchhandlungen von Thienemamm und Hugo Heyn zu beziehen.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_478.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)