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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Etienne, der seine Berufung veranlaßt hatte. Beide Männer fanden sich rasch zusammen und begründeten einen Bund der Geister und Herzen, welcher erst durch den Tod zerrissen wurde. Sie waren grundverschiedene Naturen. Friedländer concret, realistisch, das Auge für alle Erscheinungen des praktischen Lebens offen haltend und dieselben mit lebendigem Interesse beobachtend, vielseitig ohne Oberflächlichkeit, geschäftskundig, über den großen Gesichtspunkten das kleine oft genug entscheidende Detail nicht vergessend, ein polemischer Denker, in welchem mehr der Verstand als die Phantasie arbeitete. Etienne hingegen idealistisch, voll Schwung der Anschauung und des Ausdrucks, die Weltereignisse in großen Umrissen erfassend und in ihren Ursachen und Wirkungen verknüpfend, bei den Einzelformen, in welchen sich diese Erscheinungen manifestiren, mit geringerem Interesse verweilend, eine Natur von ursprünglicher Phantasie in der Schule des Denkens und der Erfahrung geläutert. Nach ihren beiderseitigen Anlagen ergänzten sie sich Beide und fanden auch die richtige Abgrenzung ihrer Wirkungssphäre: Friedländer wurde spiritus rector der inneren Politik der „Presse“, ohne dem volkswirthschaftlichen Theile, für welchen er berufen war, entfremdet zu werden. Etienne leitete die auswärtige Politik des Blattes. So war es zuletzt bei der „Presse“, so bei der von ihnen gemeinschaftlich begründeten „Neuen freien Presse“.

Es war allerdings eine Gunst des Schicksals für Friedländer, daß das absolutistische System in Oesterreich so rasch zusammenbrach. Die österreichische Presse erhob sich mit dem Wiedererwachen des constitutionellen Lebens zu ungeahnter Bedeutung. Es war der Geist der Actualität, des unmittelbaren Eingreifens in die Tagesereignisse durch rasche, schneidende, polemisch gewürzte, rücksichtslose, zum Theil persönlichen Angriffen nicht fremde Kritik, welcher der politischen Presse diesen Erfolg errang. Und Friedländer, auf welchen die schonungslose, fast verhärtende Schule August Zang’s nicht ohne tiefe Einwirkung geblieben, war der Vater dieses Geistes der österreichischen Publicistik.

Der erste Fall, in welchem die „Presse“ einen großen politischen Einfluß übte, war 1860 der berühmte Proceß „Richter“, welcher den späteren österreichischen Minister Dr. Berger auf die Höhe seines Ruhmes führte, obwohl der Zweck desselben, die militärischen und diplomatischen Mißerfolge einer talentlosen Kaste von professionellen Regierern den Schultern der Bourgeoisie aufzuladen, nicht erreicht wurde. Dann kam, als constitutionelle Zwischenepoche, die Zeit des verstärkten Reichsrathes, dessen Frucht bekanntlich leider das Octoberdiplom war.

Wie mächtig aber in der kurzen Zeit seit dem österreichisch-italienischen Kriege der Einfluß der politischen Zeitungen im Allgemeinen und der „Presse“ insbesondere gewachsen war, lehrt folgende Thatsache. Es war am Tage vor der Publication des October-Diploms, als der damalige leitende Minister, Graf Rechberg, Dr. Friedländer zu sich bitten ließ, um ihm das October-Diplom und dessen bevorstehende Kundmachung zur Kenntniß zu bringen und ihn zu einer günstigen Besprechung desselben in der „Presse“ zu vermögen. Friedländer machte dem Staatsmanne gegenüber kein Hehl aus seiner ungünstigen Meinung über diese jüngste Schöpfung österreichischer Staatskunst, welche das Reich desorganisire. Der Publicist rieth dem Staatsmanne dringend, all seinen Einfluß aufzubieten, um zu verhindern, daß dieses Diplom das Licht der Welt erblicke. „Unmöglich,“ antwortete Graf Rechberg, „der Kaiser reist morgen nach Warschau zur Begegnung mit dem Kaiser von Rußland, da muß dem Reiche eine Verfassung gegeben sein.“ So war die österreichische Verfassung zu einer Frage der auswärtigen Politik geworden.

Friedländer bekämpfte das October-Diplom, und was er dem Minister angerathen, blieb auch fortan sein Ziel. Der Zug der öffentlichen Meinung bewegte sich unter dem Einflusse der „Presse“ so mächtig, daß Graf Rechberg selbst den ehemaligen deutschen Reichs- und österreichischen Gesammtstaatsminister Anton Ritter v. Schmerling, den Vertreter der einheitlichen, durch eine Gesammtverfassung zusammenzuhaltenden Monarchie, sich beigesellte. Die Februarverfassung entstand. So mächtig war nun bereits der politische Einfluß der „Presse“, daß kein Minister ihrer Unterstützung entrathen zu können glaubte. Auch Schmerling ließ Dr. Friedländer zu einer Besprechung einladen, in welcher er die Februarverfassung zu dessen Kenntniß brachte. Als Friedländer, statt des aus den Landtagsdelegirten bestehenden Reichsrathes, einen direct gewählten Reichstag forderte, glaubte ihn der neue Verfassungsminister mit der Bemerkung abzufertigen: „Euch Allen stecken noch die achtundvierziger Ideen im Kopfe.“ Nichtsdestoweniger widmete Friedländer, als die Februarverfassung erschien, der mit letzterer inaugurirten Politik seine publicistische Unterstützung. Denn die Februarverfassung bekundete einen so ungeheuren Fortschritt gegenüber dem Absolutismus des verflossenen Decenniums, daß sie als der denkbar günstigste Ausdruck der augenblicklichen Entwicklungsphase den vollsten Anspruch auf wohlwollende Kritik hatte. In allen Fragen des Liberalismus kämpfte Friedländer für die liberalere Richtung; so in der Frage des Preßgesetzes, bei dessen Berathung Schmerling das seitdem berühmt gewordene Wort „Wir können warten“ in dem Sinne sprach, daß nicht die Regierung ein Interesse an dem raschen Zustandekommen habe.

Im Jahre 1864 entschlossen sich Friedländer und Etienne, selbst ein großes Blatt zu gründen. Ihnen schloß sich der geschäftskundige Chef der Administration der „Presse“, Werthner, an. Die „Neue freie Presse“ entstand. Am 1. September erschien ihre erste Nummer. Und an dieser seiner eigensten Schöpfung bewährte sich das ganz außerordentliche Organisirungstalent und die Universalität der Begabung Friedländer’s. Dieser war unermüdlich, alle Rubriken des Blattes sorgfältig und den Bedürfnissen des Publicums entsprechend einzurichten. Nichts war so unbedeutend, daß es seiner Aufmerksamkeit entging; von dem Zahne an dem Maschinenrade bis zum Feuilleton und dem Leitartikel hinauf erfuhr Alles seine gestaltende Thätigkeit. Charakteristisch für seine Auffassung der Aufgabe einer großen Zeitung ist die Bemerkung, welche er einmal zu Kuranda, dem geistvollen Publicisten und Herausgeber der „Ostdeutschen Post“ machte, welches Blatt sich trotz seines Einflusses auf die intelligentesten Kreise und seiner literarisch und politisch ausgezeichneten Führung nicht in dem gesteigerten Concurrenzkampfe behaupten konnte. „Ihr Blatt ist an den schlechten Spiritusberichten zu Grunde gegangen,“ so lautete das geflügelte Wort. Natürlich ist dasselbe nicht buchstäblich zu nehmen. Seine Sorgfalt ging so weit, daß er sogar dem Courszettel für die „Neue freie Presse“ eine besondere, rationelle, dem Bedürfnisse seines Lesepublicums angepaßte Eintheilung gab.

Die Gründung der „Neuen freien Presse“ fiel in die Zeit der untergehenden Herrlichkeit Schmerling’s. Das Blatt stellte sich sofort auf die Seite der Opposition und trug dadurch wesentlich zum Sturz des Staatsministers bei. Aber der Sieg der Verfassungspartei war doch ihre Niederlage. Schmerling ging, Belcredi kam. Die Verfassung wurde sistirt. Oesterreich führte den unheilvollen deutschen Krieg. In dieser Epoche bewährte sich das neue Blatt glänzend. Der Krieg gab demselben Gelegenheit, eine außerordentliche Rührigkeit in den Mittheilungen vom Kriegsschauplatze zu bethätigen. Die „Neue freie Presse“ war es, welche die ersten telegraphischen Nachrichten über den Fortgang der Schlacht von Sadowa brachte, Nachrichten, welche von ihrem Specialcorrespondenten auf einem vergessenen Eisenbahntelegraphenapparate in Pardubitz von Stunde zu Stunde nach Wien telegraphirt und in vielen Tausenden von Extrablättern verbreitet wurden. Weder der Kaiser noch der Kriegsminister hatten Berichte; auch sie waren an die Telegramme der „Neuen freien Presse“ gewiesen. Ihre Mittheilungen vom Kriegsschauplatze hatten dem Blatte einen außerordentlich erweiterten Leserkreis und eine in Oesterreich unerhörte Macht gewonnen. Der Kampf, den sie dabei führte, endete mit der siegreichen Anfechtung der Decemberverfassung.

Friedländer’s höchstes Verdienst wohl ist, daß er die Beschickung des außerordentlichen Reichsraths, zu welcher namhafte Führer der Verfassungspartei schon bereit waren, durch Aufregung der öffentlichen Meinung zu verhüten wußte und so den Sturz Belcredi’s erzwang. Auch das Bürgerministerium legte das größte Gewicht auf die Unterstützung Friedländer’s, welcher dieselbe nicht blos in der „Neuen Freien Presse“ gewährte. Denn auch das Rundschreiben des Ministers des Innern, Dr. Giskra, an die Statthalter, in welchem er denselben die Linien ihrer administrativen Thätigkeit vorzeichnete, und welches den entschiedensten Beifall der öffentlichen Meinung fand, stammte aus Friedländer’s Feder. Die parlamentarische Verfassungspartei hatte zum ersten Male von der Regierung Besitz ergriffen, und deshalb sah es Friedländer für seine patriotische Pflicht an, das Ministerium der Verfassungspartei in der Gunst der öffentlichen Meinung zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_468.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)