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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

denkt man wohl gar mit einer gewissen Rührung an die Zeit, in der man es trieb, zurück. Glauben Sie nicht, daß ein gemachter Mann Stunden hat, wo er wünscht, er wäre noch ein armer Teufel? Uebrigens hat Daveland eine Staatsanstellung, denk’ ich, er ist in der Magistratur …“

„Und ist von guter Familie,“ fiel Ellen ironisch ein, „wollten Sie das nicht hinzusetzen?“

D’Avelon ließ das gesottene Ei, welches er eben beschäftigt war, aufzuschlagen, in den kleinen Becher vor ihm zurückfallen und sah überraschst auf.

„Weshalb sagen Sie das mit einem solch vermaledeiten diabolischen Tone, Ellen?“

„Ich habe Sie doch vorgestern ganz außerordentlich gespannt gefunden, seine Herkunft zu ergründen, Herr d’Avelon. Weshalb soll ich es jetzt nicht berühren?“

„Schlange, die Sie sind! was geht das Sie an?“ rief Herr d’Avelon mit einem Tone aus, dessen Scherzhaftigkeit den Worten das Verletzende nehmen sollte und doch ein wenig rauh herauskam.

„Freilich, wenn es mich so viel angegangen, wie Sie, würde ich die Sache gründlicher untersucht haben,“ versetzte Ellen kaustisch.

„Es scheint, daß Sie das auch jetzt nicht unterlassen haben; sprechen Sie aus, Ellen, was Sie sagen wollen!“

„Dieser Deutsche ist Ihr Neffe, und eigens hergekommen, um Sie von Haus und Hof zu verdrängen. Er behauptet, Sie hätten die Diamanten seiner Großmutter gestohlen, damit diese Ferme erkauft, und diese Ferme, das heißt Alles, was Sie besitzen, gehöre also ihm.“

Herr d’Avelon war sehr blaß geworden. Er richtete sich auf, verschlang die Arme über der Brust und starrte Ellen mit großen erschrockenen Augen an, die ganz das ihm sonst eigene Blinzeln verloren hatten.

„Er hat das,“ fuhr Ellen unerbittlich fort, „Gaston de Ribeaupierre ganz offen und unverhohlen gestanden, er hat Gaston mit einer wahrhaft unverschämten Naivetät auseinandergesetzt, daß Valentine nichts besitze, nichts erben werde, daß er Herr all Ihres Eigenthums, Ihres letzten Francs sei … daß … hören Sie mich, Herr d’Avelon?“

„Ich höre Sie, Miß Ellen … fahren Sie fort,“ sagte Herr d’Avelon, sehr rasch nach einander aufathmend und sich dann, wie vollständig gefaßt auf Alles, was noch kommen könne, in seinen Sessel zurücklegend.

„Erschrocken über diese entsetzliche Mittheilung,“ erzählte Miß Ellen weiter, „hat Gaston von Ribeaupierre …“

„Sie darin eingeweiht!“

„Mich darin eingeweiht, weil er meiner Hülfe bedurfte.“

„Ihrer Hülfe, zu was?“

„Um mit seinen Arbeitern kommen und in Ihrem Hause diesen entsetzlichen Deutschen ohne viel Lärm aufheben und als Kriegsgefangenen irgendwo, recht weit von hier, gründlich unschädlich machen lassen zu können.“

„Ah … deshalb stand er an der Spitze dieses wüsten Gesindels?“

„Er wollte Sie retten, Herr d’Avelon … Sie retten mit größter eigener Gefahr, denn es entging ihm keinen Augenblick, daß die Deutschen eine Untersuchung anstellen und daß sie ihn verfolgen und, wenn sie seiner habhaft würden, unerbittlich mit ihm verfahren würden! Das hat Gaston für Sie thun wollen und zum Dank brechen Sie ihm Ihr Wort und geben dieser kindischen, so wenig Stunden alten und ganz wahnsinnigen Neigung Valentinens nach!“

„Mein Wort hat Gaston nicht,“ antwortete halblaut d’Avelon und starrte dann stumm vor sich hin.

Nach einer Weile stand er auf und ging, die Hände auf dem Rücken, langsam auf und nieder. Ellen folgte schweigend mit ihren Blicken seinen Bewegungen. Da er nicht wieder zu reden anhub, sagte sie endlich:

„Sie sehen ein, daß Gaston etwas Anderes von Ihnen zu erwarten befugt ist, als – einen lakonischen Abschied. Wenn auch alle Verhältnisse nicht wären, wenn auch Gaston nicht der Erbe von Givres wäre, so wäre doch er nebst mir“ – Ellen betonte das ‚mir‘ – „bis jetzt glücklicher Weise der einzige Eingeweihte in …“

„Ach, lassen Sie mich in Ruhe mit Ihrem Gaston, Ellen! Der Teufel danke ihm dafür, daß er hat – meine Vorsehung spielen wollen! Er mag wie ein Franzose darüber denken, über den Deutschen, und glauben, daß gegen den Deutschen, den Feind, Alles erlaubt sei – ein schlechter, hundsföttisch schlechter Streich war’s doch, den er ausführen wollte.“

„Er wollte Sie eben retten.“

„Retten? Ich brauche seine Rettung nicht. Er soll mich ungerettet lassen hinfüro … statt dessen mag er hingehen und mir nachsagen, ich sei ein Diamantendieb … meinethalb! Es ist so, leider! Ich war einmal ein tückischer, verbissener Bursche, der glaubte, ein Unrecht wett machen zu dürfen. Ich habe mich seitdem mit meinem Gewissen darüber auseinander gesetzt; was Gaston darüber sagt, ist mir weniger wichtig. Denn wissen Sie, Ellen, am Ende hat Monsieur Gaston mit seinen Reden mehr mich als ich ihn zu fürchten. Wenn er mir öffentlich nachsagt, ich habe Diamanten gestohlen, so erkläre ich, das sei eine abscheuliche Verleumdung, mit der er sich rächen wolle für den Korb, den ihm Valentine gegeben. Wem wird man mehr glauben, ihm oder mir? Was wird man für wahrscheinlicher halten, daß ich ein Dieb, oder er ein rachsüchtiger Mensch? Außerdem giebt es ein Tribunal erster Instanz, einen Procureur der Republik und Huissiers in Neufchateau, die man in Bewegung bringen kann, um Menschen, welche mehr schwatzen, als sie beweisen können, nachdrücklich zur Ruhe zu verweisen.“

„Sie nehmen die Sache heute sehr phlegmatisch, Herr d’Avelon!“ erwiderte Ellen giftig. „Sie waren jüngst, als Sie so erschrocken die Herkunft des Deutschen erfahren wollten, nicht so ruhig!“

„Nein – und das war natürlich! Damals trat ein wildfremder Mensch vor mich, den ich fürchten mußte. Mit meinem Schwiegersohne kann ich mich verständigen – er wird mich begreifen; die Wendung, welche die Dinge genommen haben, entschädigt ihn für Alles – zwischen ihm und mir steht heute nichts mehr!“

Ellen zuckte die Achseln.

„Auch nicht einmal mehr ein Verdacht? Flößt Ihnen Valentinens Schicksal so wenig Sorge ein?“

„Sorge? Valentinens Schicksal? Weshalb mehr, als ein Vater immer Sorge hat, wenn er durch die bittere Nothwendigkeit, sein Kind fortgeben zu müssen, hindurch muß?“

„Es liegt doch nahe genug, daß dieser Herr Max von Daveland Valentine nur umstrickt und sich gewonnen hat, weil es für ihn die bequemste und kürzeste Weise ist – mit Ihnen abzurechnen!“

„Mein Gott, wir haben genug gesehen, um zu wissen, daß Valentine ihn liebt; muß ich nun nicht Gott danken, daß ich auf diese Weise jeder Abrechnung entgehe?“

„Und das hoffen Sie – bei einem dieser zähen, filzigen, verbissenen, keine Schonung und keinen Edelmuth kennenden Deutschen? Ich hätte Ihnen so viel Naivetät nicht zugetraut, Herr d’Avelon …“

„Und ich, Miß Ellen,“ fiel d’Avelon unwillig und jetzt die Geduld verlierend ein, „Ihnen nicht so viel Mißtrauen und Kälte bei Valentinens Glück. Noch weniger so viel ruhige Gewissenlosigkeit, wie dazu gehörte, Gaston’s infame Pläne wider meinen Gast zu unterstützen.“

„Wir gewahren also Beide, daß wir uns in einander getäuscht haben!“ rief Miß Ellen mit einem sehr stolzen und verachtungsvollen Aufwerfen des Kopfes aus.

„Es scheint so!“ antwortete Herr d’Avelon lakonisch.

Miß Ellen mochte berechnen, daß der Schwiegervater eines Mannes, welcher, was er besaß, in Zukunft nur der Großmuth seiner Kinder verdanken würde, für sie eine weit weniger begehrenswerthe Partie sein würde als der Schwiegervater Gaston’s von Ribeaupierre gewesen sein würde, welcher letztere ihr in Bezug auf die Sicherung ihrer Zukunft goldene Berge versprochen hatte. Sie that nichts, sie sprach kein Wort, den sich vollziehenden Bruch aufzuhalten, dem Zerwürfniß zuvorzukommen. Viel weniger noch that es d’Avelon. Er war empört über Ellen’s Parteinahme für Gaston, der unrettbar bei ihm verloren war, empört über Ellen’s Unterstützung eines Anschlags, welcher der offenbarste Verrath war, und wüthend zugleich über sich, daß Ellen’s Worte trotz Allem, was er ihr gesagt, doch so viel Gewalt über ihn hatten; daß sie ihm doch eine peinigende Sorge in’s Herz geflößt um die Redlichkeit der Absichten des Mannes, den er so bereitwillig in seine Arme geschlossen – um das Glück, das seine Tochter, sein einziges Kind bei ihm finden werde,

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