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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Dies war das erste Mal, daß ich gefangene Glanzstaare bei ihrem Brutgeschäfte beobachten konnte, das zweite Mal überhaupt, daß sie in Gefangenschaft zur Brut geschritten waren, vorausgesetzt, daß die einzige mir bekannte Angabe über ein solches Vorkommniß überhaupt richtig ist. Gegenwärtig, während ich diese Zeilen schreibe, bauen sechs Paare, vier verschiedenen Arten angehörig, sehr eifrig, zum Beweise, daß bei geeigneter Pflege nicht allein die oben erwähnten langweiligen Körnerfresser, sondern auch Weich- und Kerbthierfresser im Käfige zur Fortpflanzung schreiten. Ich hätte somit alle Veranlassung, die Glanzstaare jedem Liebhaber auf das Wärmste zu empfehlen, gäbe es nicht ein Bedenken, den hohen Preis nämlich, in welchem diese Vögel zur Zeit noch stehen. Unter dreißig Thalern wird man kaum im Stande sein, sich ein Pärchen dieser Prachtvögel zu verschaffen; von den selteneren Arten kostet das Paar sogar vierzig bis sechzig Thaler, ein Preis, welcher unzweifelhaft Viele zurückschrecken muß, obgleich er in Anbetracht der unbeschreiblichen Pracht, des liebenswürdigen Wesens und der Dauerhaftigkeit dieser köstlichen Stubenvögel für Denjenigen, welcher auf seine Liebhaberei größere Summen verwenden kann, durchaus nicht zu hoch erscheint.




Pariser Bilder und Geschichten.


T. F.


Von Ludwig Kalisch.


Als ich voriges Jahr an einem heißen Junitage meine Wohnung verließ, begegnete ich einige Schritte von derselben einem Leichenzuge, der sich von der Rue Notre Dame de Lorette nach dem Kirchhof Montmartre bewegte. Dem Leichenzuge folgten etwa zehn Personen, unter welchen ich einen meiner Freunde bemerkte, den ich seit langer Zeit nicht gesehen hatte. An seiner Seite befand sich sein Sohn, ein junger Mann, den linken Arm in einer Schärpe tragend. Beide gingen als Leidtragende dicht hinter dem Sarg einher, was mir auffiel. Der Verstorbene, sah ich, konnte kein naher Verwandter meines Freundes gewesen sein, der sehr vermögend ist und einer sehr geachteten Familie angehört; der Sarg stand aber in einem Wagen vierter Classe, in einem Armenwagen; und die paar Leute, die denselben begleiteten, hatten ein ärmliches Aussehen. Ich näherte mich meinem Freunde, der mich bereits bemerkt hatte und meinen fragenden Blick mit der Einladung beantwortete, ihn bald zu besuchen.

Ich fand ihn, als ich mich nach einigen Tagen bei ihm einstellte, in seinem Gartenhause. Nach den ersten Begrüßungen und nachdem wir über die furchtbaren Ereignisse gesprochen, von denen Frankreich seit einem Jahre heimgesucht worden, berührte ich den Leichenzug und fragte ihn, warum sein Sohn den Arm in einer Schärpe trage?

„Setzen Sie sich,“ antwortete er, „und hören Sie geduldig zu, denn ich muß weit ausholen.“

Nachdem ich ihm gegenüber Platz genommen, begann er:

„Mein Vater war ein ebenso thätiger, als umsichtiger und wohlwollender Mann. Er hatte, wie man zu sagen pflegt, von der Pike auf gedient; denn er begann seine Laufbahn[WS 1] als armer Arbeiter und brachte es durch Fleiß und Redlichkeit, durch Sparsamkeit und intelligente Benutzung jeder günstigen Gelegenheit so weit, eine Maschinenfabrik in Belleville gründen zu können, die immer mehr an Ausdehnung gewann. Gegen Ende der zwanziger Jahre beschäftigte er an vierzig Arbeiter. Er behandelte dieselben, wie ein Vater seine Kinder behandelt, und wenn sich Einer von ihnen durch Tüchtigkeit besonders auszeichnete, so unterließ er nichts, um ihm zu einer selbständigen Stellung zu verhelfen.

Unter seinen Arbeitern befand sich damals ein Mann, der in jeder Beziehung sich vor den Anderen hervorthat. Robert Fleurant, so hieß der Arbeiter, hielt sich von seinen Cameraden, gegen die er sich gefällig und zuvorkommend zeigte, doch sehr abgeschlossen. Er verkehrte außerhalb der Werkstätte nicht mit ihnen und knüpfte auch mit keinem derselben ein längeres Gespräch an. Seine Arbeit ließ nichts zu wünschen übrig. So hatte denn mein Vater alle Ursache, mit ihm zufrieden zu sein, und er äußerte ihm auch seine Zufriedenheit zu wiederholten Malen.

Ungefähr ein Jahr war seit dem Eintritt Fleurant’s in die Fabrik meines Vaters verflossen, da wird er eines Tages aus der Werkstatt gerufen. Ein Mann von finsterem Aussehen harrte seiner vor der Thür. Fleurant ging mit ihm in eine benachbarte Schenke und kam erst nach einer Stunde wieder in die Werkstätte zurück, wo er das Versäumte nachholte. Derselbe Besuch stellte sich bald wieder ein und Fleurant entfernte sich wieder mit dem Fremden. Das fiel meinem Vater auf. Er sagte jedoch nichts, bis diese Besuche in immer kürzern Zwischenräumen auf einander folgten, die Aufmerksamkeit der Arbeiter erregten und mancherlei kleine Störungen verursachten.

Eines Abends, als fast alle Arbeiter bereits die Werkstätte verlassen hatten, lud er Fleurant zu sich in sein Bureau ein und sagte ihm: ‚Sie wissen, Fleurant, wie oft ich Ihren Vorzügen meine Anerkennung zu Theil werden ließ; ich kann indessen nicht umhin, Ihnen jetzt meinen Tadel auszudrücken. Sie verlassen seit einiger Zeit die Arbeit zu häufig, und Ihr längeres Ausbleiben von der Werkstätte in der Mitte des Tages veranlaßt viel Gerede unter Ihren Cameraden. Ich bin ein billiger, ich bin aber auch ein gerechter Mann; ich kann also nicht allzu billig gegen Sie sein, ohne allzu streng gegen meine andern Arbeiter zu scheinen. Ich gestatte keinem derselben, während der Arbeitszeit sich zu entfernen, und ich darf mit Ihnen keine Ausnahme machen. Sie wissen, daß in der Werkstätte immer frisches Wasser und etwas Wein vorhanden ist, um den Durst zu stillen. Ich sehe nicht gern, wenn ein Arbeiter selbst nach vollbrachtem Tagewerke die Weinschenken aufsucht; daß er aber sogar noch während desselben stundenlang in einer Schenke zubringe, kann ich durchaus nicht erlauben. Unterlassen Sie künftig diese Ausschreitungen, und wir werden nach wie vor Freunde bleiben.‘

Er drückte dem Arbeiter die Hand, worauf sich dieser schweigend entfernte.

Während einiger Wochen ging Alles wieder gut. Fleurant verließ in der Arbeitszeit die Werkstätte nicht wieder, und um die vorgefallene Scene vergessen zu machen, war mein Vater jetzt womöglich noch freundlicher gegen ihn als früher, zumal Fleurant seine Kräfte zu verdoppeln schien. Bald aber stellte sich der fatale Besuch wieder ein. Fleurant folgte wieder dem räthselhaften Menschen und verbrachte mehrere Stunden mit ihm während des Tages. Mein Vater konnte sich diese Besuche nicht erklären, und noch weniger war es ihm erklärlich, warum Fleurant den Störer nicht abwies. Er war schon mehrere Male im Begriff, ihn zu einer Erklärung aufzufordern und, wenn ihm diese nicht würde, sogleich zu entlassen. Allein abgesehen davon, daß ein Fabrikbesitzer nicht so leicht einen vortrefflichen Arbeiter entläßt, zögerte mein Vater auch schon deshalb, den entscheidenden Schritt zu thun, weil Fleurant zu leiden schien. Er war traurig und niedergeschlagen, und wenn er Abends allein zurückblieb, um die ihm zugewiesene und unterbrochene Arbeit zu vollenden, bemerkte mein Vater, indem er durch das kleine, an der Thür seines Schreibzimmers angebrachte Guckfenster blickte, daß Fleurant oft in der Mitte der Arbeit plötzlich innehielt, sich mit der Hand über die Stirn fuhr und minutenlang vor sich hinstarrte. Mein Vater war von Mitgefühl für den Arbeiter bewegt, und nachdem er lange überlegt hatte, auf welche Weise er ihn zu einer Aufklärung bewegen konnte, ohne ihm wehe zu thun, trat er eines Abends in die Werkstätte und ersuchte ihn in den freundlichsten Worten, sich ihm mitzutheilen.

Fleurant, der an einer Drehbank stand, hatte ruhig zugehört. Er war bleicher als sonst und schien tief gerührt von der Milde meines Vaters. Man sah ihm an, daß in seinem Innern ein Kampf entstand. Seine Lippen bewegten sich krampfhaft; er zitterte am ganzen Leibe und konnte kein Wort hervorbringen. Endlich riß er, ohne sein Schweigen auch nur durch eine einzige Silbe zu unterbrechen, seine wollene Jacke auf und zeigte die entblößte Schulter, auf welcher die Buchstaben T. F. (Travaux forcés, Zwangsarbeit) eingebrannt waren.

Entsetzt prallte mein Vater zurück.

‚Ich begreife Ihr Entsetzen,‘ sagte er, ‚aber wenn ich auch

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Lufbahn
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_438.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)