Seite:Die Gartenlaube (1872) 434.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

auf die Prüfung jener Documente, und dieser hatte er keinen Vorwand, sich zu entziehen. So schritt er eine Weile schweigend neben Gaston her … auch Gaston schwieg; er fühlte eine diabolische Freude über die glückliche Wendung, welche er der Sache, die schon verloren schien, gegeben, und fürchtete, in seinen Worten, in seinem Tone diese Freude zu verrathen. Nur einzelne Worte wurden zwischen Beiden gewechselt; Gaston machte mit liebenswürdigster Sorge Max auf die besten Stellen des schmutzigen Weges aufmerksam; er versicherte von Zeit zu Zeit, wie nahe man bereits Givres gekommen. Und in der That, man sah es nach einer halben Stunde schon vor sich liegen – nur ein starker Höhenrücken trennte es von der Ferme, im Grunde des jenseitigen Thales lag es. Die Fahrstraße endete an einem großen Gartenthore, das die Nacht hindurch unverschlossen geblieben war; Gaston öffnete es vor Max und dieser glaubte an den Bäumen und Gesträuchen, zwischen denen er sich bald nachher befand, zu erkennen, daß er in einen englischen Park eingetreten – über weichen Kies ging es weiter, bis man jenseits einer Lichtung, die ein Rasengrund einzunehmen schien, die Mauern und Dächer eines stattlichen Gebäudes wahrnahm. – Es lag in völlige Dunkelheit begraben, nur aus einem der Fenster in der Mitte des Erdgeschosses glänzte Licht.

„Wir sind angekommen, dies ist Schloß Givres,“ sagte Gaston, als man in der Nähe des Gebäudes war, und führte seinen Begleiter einem von zwei vorspringenden Flügeln gebildeten Hofe zu; Max sah erst jetzt, daß unmittelbar vor ihm eine niedrige Mauer mit hohen Eisengittern darauf den Hof vorn abschloß. Als diesen Beide betraten, hielt Gaston seine Schritte an, um das Gitterthor zu schließen und den Schlüssel abzuziehen – dann schritt er mit Max quer über den Hof auf die Treppe vor dem Erdgeschoß zu und öffnete vor ihm die Portalthür, durch die man in eine hübsch eingerichtete kleine Eingangshalle blickte, mit exotischen Gewächsen, mit Teppichen auf den Flursteinen und alten Bildern an den Wänden – eine brennende Lampe, die zur Seite auf einem Tische neben einigen Leuchtern stand, erhellte den Raum.

Max trat ein, Gaston schloß auch hier wieder sorglich die Thür und zog den Schlüssel ab – Max, der sich in dem Raume umschaute, beachtete es nicht, es war ja auch natürlich, daß der Hausherr von Schloß Givres für die Nacht seine Thüren sicherte. Dann nahm Gaston zwei der Leuchter, zündete die Lichte darauf an und bat Max, ihm weiter zu folgen – er trat in einen sich am Fuße der nach oben führenden Treppe nach linkshin öffnenden Gang und verfolgte ihn bis an’s Ende, wo eine schmale Holztreppe in das obere Stockwerk führte. Oben angekommen, sah Max, daß er sich auf einem Vorplatz oder der Erweiterung eines langen, sich in das Gebäude hinziehenden Corridors befand, der ebenfalls, wie die Halle unten, mit Steinplatten belegt war, über die sich lange, den Schall von Tritten erstickende Teppichstreifen zogen. Gaston trat auf eine hohe und dunkelgebohnte Flügeltür zu, die sich in einer schmalen und quergestellten Mauer befand – die ganze innere Anordnung des Hauses schien noch viel Alterthümliches zu haben. Als Max in den Raum, den Gaston vor ihm öffnete, eintrat, nahm er wahr, welche Schwere diese Thürflügel, welche Stärke die Mauern des Edelsitzes hatten, der Gaston von Ribeaupierre gehörte oder einst gehören sollte.

Gaston stellte eines seiner Lichter auf einen runden Tisch in der Mitte des Raumes.

„Ich hoffe,“ sagte er, „Sie werden ganz bequem hier von Ihren nächtlichen Wanderungen und dem Schrecken, den Ihnen Fräulein Valentine so unnützer Weise gemacht hat, ausruhen, und wünsche es Ihnen recht von Herzen. Hoffentlich finden Sie für alle Ihre Bedürfnisse gesorgt; wenn etwas fehlen sollte, irgend ein Comfort, an den die Herren aus Deutschland gewöhnt sind und den wir nicht kennen, so sprechen Sie; ich will sehen, ob ich ihn in so später Stunde noch herbeischaffen kann – das Wasser in der Karaffe dort wird nicht übermäßig frisch sein, fürcht’ ich …“

„Ich danke Ihnen, Herr von Ribeaupierre – ich danke für Alles; bemühen Sie sich ja nicht mehr – entziehen Sie sich der Ruhe nicht länger, nach der auch Sie sich sehnen werden – gute Nacht, gute Nacht!“

Gaston von Ribeaupierre machte eine kurze Verbeugung und ließ seinen Gast allein.

Dieser sah sich in dem Raume um, nahm das Licht vom Tische und ließ den Schein desselben über die Wände und die Ecken gleiten. Er sah ältere englische Kupferstiche an den Wänden, Möbel von einem ein wenig veralteten Geschmacke, eine Einrichtung, die ihn lebhaft an ein Fremdenzimmer in einem seiner heimathlichen Edelhöfe erinnerte und wenig vom modernen französischen Luxus hatte. Auch schien Alles hier in einem großartigeren und adligeren Stil zugeschnitten, als auf der kleineren wohnlicheren Ferme des Auges. Es fiel Max auf, daß das Gemach, obwohl es sehr geräumig war, nur die eine Thür in der quergestellten Wand hatte – es mußte wohl das Innere eines ausspringenden Pavillons oder Thurmes bilden; damit stimmte ja auch die Dicke der Mauer, die Max aufgefallen war, überein.

Das Himmelbett stand der Thür gegenüber – ermüdet wie er war, säumte unser deutscher Krieger nicht, es sich darin bequem zu machen. Als er das Licht gelöscht, legte er tief aufathmend den Kopf zurück, mit dem wohlthuenden Gefühl, daß ihn der Schlaf jetzt nicht mehr fliehen werde, wie er ihn geflohen hatte, als er sich zum ersten Male in dieser unruhvollen Nacht niedergelegt. In der That entschlief er sehr bald fest und tief.


(Fortsetzung folgt.)




Ein neuer Zier- und Zimmervogel.


Von Brehm.


Die Liebhaberei für Stubenvögel ist neuerdings eine andere geworden, als sie in früheren Zeiten es war. Unsere Väter und Großväter hielten sich fast ausschließlich heimathliche Vögel, sich mit ihnen begnügend, weil ihre vortrefflichen Eigenschaften gebührend würdigend; die heutigen Liebhaber befassen sich mehr mit fremdländischen Vögeln, welche in einer von Jahr zu Jahr steigenden Unzahl bei uns eingeführt und gegenwärtig schon bis in entlegene Dörfer versandt werden. Ueber den ausländischen Webevögeln hat man die inländischen Finken fast vergessen, um so mehr, als einzelne Schriftsteller, in Folge ihres beschränkten Gesichtskreises, jene Webefinken über alles Maß gerühmt und gepriesen und in unzähligen Zeitschriften schier bis zum Ueberdruß abgehandelt haben. Gefällt man sich doch sogar, die abgeschmackte Behauptung aufzustellen, daß diese an und für sich niedlichen, in mancher Hinsicht auch anmuthenden, im Allgemeinen aber doch langweiligen Geschöpfe unsere Edelsänger, die Nachtigallen und ihre Verwandtschaft, oder auch fremdländische Kerbthierfresser zu ersetzen, daß sie unserer Liebhaberei vollständig zu genügen vermöchten. Eine solche Behauptung läßt sich blos dadurch erklären, daß die Verherrlicher der Webefinken eben nur sie kennen gelernt haben, nicht aber auch die eigentlichen Sänger, die Stubenvögel, in ihrer höchsten Vollendung, zu beurtheilen im Stande sind. Ich bekenne mich noch heutigen Tages zur alten Schule: ich gehöre, nachdem ich Tausende von Vögeln in einer Auswahl von Hunderten von Arten jahrelang gepflegt habe, zu den Liebhabern von altem Schrot und Korne, welche Nachtigall und Sprosser, Roth- und Blaukehlchen, Rothschwanz und Steinröthel, Grasmücken und Laubvögel, Schilfsänger, Drosseln und andere singende Weichfresser, wie der Liebhaber die Kerbthierräuber zu nennen pflegt, allen übrigen Stubenvögeln vorziehen und neben ihnen höchstens noch einige fremdländische Verwandte als ebenbürtig gelten lassen; ich vermag den Finknern, wie sie in früheren Zeiten in Ruhla und anderen Ortschaften Thüringens zu finden waren, höchstens nachzufühlen, aber das vollkommene Verständniß für den Finken und seine Leistungen, ich möchte sagen die Hohepriesterschaft der Finknerei geht mir zu meinem Bedauern ab; ich vertheidige deshalb auch unbedingt, weil ohne jegliches Bedenken, den Vogelsteller, welcher hier oder da im freien grünen Walde Netz und Schlinge stellt, um sich in Besitz eines wenig begehrenden und viel leistenden, Herz und Sinn durch trefflichen Gesang erheiternden, manche trübe Stunde verscheuchenden und sonnige Frühlingstage selbst während der Winterzeit in das Zimmer täuschenden Singvogels zu setzen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_434.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)