Seite:Die Gartenlaube (1872) 432.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

um das obere Ende seines Gewehrlaufes geklammert, da und sah, theilnehmend und wieder unschlüssig geworden, auf die Gruppe nieder. Wenn ein Verbrechen in der Ferme begangen wurde, so war es wichtig, die Spuren desselben zu entdecken. Diese aber wurden sicherlich von den Zurückbleibenden entfernt und vertilgt, sobald er mit seiner Patrouille den Rücken wandte, um die Herrschaft von der Ferme nach Void zu führen. Er trat mit einem seiner Leute bei Seite und hatte eine kurze Zwiesprache mit ihm; dann wandte er sich wieder zu d’Avelon und sagte:

„Wenn Sie das vorziehen – es ist vielleicht ebenso gut und ich hoffe es vertreten zu können – so begeben Sie sich in eines Ihrer Zimmer im Hause – wir werden Sie da bewachen und ich werde zwei meiner Leute mit der Meldung dessen, was vorgefallen, zum Hauptmann zurückschicken …“

D’Avelon nickte. „Freilich!“ antwortete er. „Daß ich das vorziehe, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Komm, Valentine – wir wollen uns in den Salon begeben – während sie uns da bewachen, wirst Du Deine Fassung wieder erhalten – komm, ich werde Ellen rufen lassen …“

Ellen erschien jetzt eben auf der Schwelle der Salonthür. Betroffen starrte sie auf das kleine feindliche Militärpiket, auf d’Avelon und Valentine.

Es war, als ob ihr Anblick Valentinen all ihre Kraft zurückgab. Aufspringend, um sich am Arme ihres Vaters in den Salon führen zu lassen, stieß sie zornig hervor: „Ellen trägt die größte Schuld an Allem, Allem. Sie hat mit Gaston den Plan geschmiedet, der diese Nacht ausgeführt werden sollte, sie hat …“

„Valentine!“ rief jetzt Ellen ihnen entgegeneilend aus – „wenn Sie nicht schweigen mit dieser abscheulichen Verleumdung, so –“

„Um Gotteswillen, ist dies der Augenblick zu einer solchen Scene?“ fuhr d’Avelon zwischen die beiden sich zornig begegnenden Mädchen – – „Ellen, sehen Sie denn nicht, was hier vorgeht? Der Deutsche ist verschwunden, man fordert ihn von uns – man verhaftet uns, wir sind Gefangene, Ellen, wir Alle, auch Sie, vielleicht wird man uns todt schießen, wenn wir einen Verunglückten, in irgend einen Hinterhalt Gefallenen nicht wieder in’s Leben zurückrufen können – kommen Sie hinein, hinein – wir wollen da reden, nicht hier!“

Die drei von diesem unerwarteten Schlage betroffenen Bewohner der Ferme traten in’s Innere des Hauses. Der Führer der Streifpatrouille traf seine Anordnungen. Er stellte einen seiner Leute als Wache vor die Salonthür auf der Terrasse; einen zweiten vor die auf den Hof führende Hauptthür des Hauses; und während er zwei Mann mit der Meldung nach Void zurücksandte, recognoscirte er selbst mit dem letzten der kleinen Truppe, die er führte, ein wenig die nächste Umgebung des Hauses. In den Ställen fand er das Pferd Daveland’s und versuchte mit den Leuten zu reden, die im Hause zusammengelaufen waren, um über die Ereignisse der Nacht und diese unheilkündende Besatzung der Ferme durch feindliche Soldaten in wirrem Durcheinander ihre Gedanken auszutauschen … mit einer von allen Lippen strömenden Beredsamkeit, die nur allsogleich erstarb, wo die Fremden in ihre Nähe kamen. Der ehrliche Landwehrmann erhielt nichts als ablehnende, verneinende, trotzige Antworten und noch trotzigere Blicke auf seine Fragen – nicht einmal das Verlangen, ihm das Schlafzimmer Daveland’s in der vorigen Nacht zu zeigen, wurde erfüllt – die Knechte hatten nur ein je ne sais pas, moi! darauf, die Mägde schlichen sich, den zwei Deutschen den Rücken kehrend, fort, um gleich darauf am andern Ende des Hofes wieder die Köpfe zusammenzustecken.

„Hätten wir nur noch zwei Leute mehr bei uns,“ sagte der geärgerte Töpferwaarenfabrikant zu seinem Begleiter,“ so stellte ich an jedes Hofthor eine Wache und ließe auf jeden von diesem Gesindel, der sich davon machen wollte, schießen. Wie der Lieutenant von Daveland so leichtsinnig sein konnte, unter dieser Bande die Nacht zuzubringen, das begreife, wer’s kann! Glaubst Du an diese Geschichte von einer Rotte Eisenarbeiter, die den Hof in der Nacht überfallen haben soll?“

„Nicht ein Wort!“ versetzte der bärtige Kriegsmann an seiner Seite – „diese Völker hier sehen danach aus, solchen Succurs nöthig zu haben, wenn sie einen einzelnen hülflosen Deutschen kalt machen wollen!“

„Ich begreife nur nicht, wie sie so thöricht sein konnten, zu glauben, es werde ihnen straflos hingehen!“

„Wer weiß, vielleicht haben sie nicht vermuthet, daß wir so früh aufständen und so zeitig hier sein würden. Wir wären’s ja auch gewiß nicht gewesen, wenn nicht der Hauptmann uns hätte brauchen wollen, um den Herrn Lieutenant ein wenig zu ärgern, daß er so früh aus den Federn und mit uns heim solle! Vielleicht war der alte Herr drüben im Haus mit seinen zwei Frauenzimmern just im Begriff, anspannen zu lassen und sich auf die Reise in’s Sichere zu begeben …“

„Und wir haben ihnen durch unser Einrücken schlimm das Concept verdorben … mag schon sein! Sie müssen hier zu Lande schon lernen, früher aufstehen, wenn sie uns über’s Ohr hauen wollen!“

„Um die Eine, die wir zuerst antrafen, das Fräulein, thät’s mir leid, wenn’s ihnen an Hals und Kragen ginge,“ fuhr der Unterofficier fort; „sie schien sich wirklich um den Lieutenant zu ängstigen, wahrhaftig, wenn sie log, so muß sie’s besser verstehen, als ich’s einem Christenmenschen zutraue! …“

„Meinst Du, daß, wenn der Lieutenant nicht bald wiederkommt, der Hauptmann sie todtschießen läßt?“ erwiderte der Andere, sein Gewehr abnehmend und sich lässig mit dem Rücken an die eine Ecke des Hauses lehnend, welcher sie sich eben genähert hatten.

„Der Hauptmann? Ich weiß nicht, ob er das Recht hat,“ versetzte der Unterofficier; „ich denke mir, er schickt sie nach Commercy, wo das Etappencommando – aber da sieh’ einmal …“

Er deutete auf eine unferne Stelle des Bodens, die sich just unter dem Fenster befand, hinter welchem das Schlafzimmer Max Daveland’s lag; der wohlgepflegte grüne Rasenstreifen, der hier auf der Hofseite an der Grundmauer des Hauses entlang lief, war völlig zertreten, so stark, als habe ein Kampf da stattgefunden; auf dem äußeren Schwellholz des Fensters lag Schmutz, die Spuren von Fußtritten waren unverkennbar.

„Das sieht verdächtig genug aus,“ sagte der Landwehrmann, diese Beweise einer nächtlichen Katastrophe betrachtend … „nun scheint’s doch, als ob eine ganze Bande hier eingedrungen sei und den Lieutenant herausgeholt habe; und daß das Fenster nicht zerschlagen ist …“

„Beweist, daß man’s ihnen von innen geöffnet hat! Vielleicht ist der alte Herr drüben so gefällig gewesen, zu kommen und ihnen das Fenster zu öffnen, jedenfalls sind sie da eingestiegen und haben ihr Opfer herausgeholt, und das Getrappel auf dem Rasen ist entstanden, als er mit ihnen gerungen hat … mit diesen heillosen Schuften …“

„Na, es wird ihnen eingetränkt werden,“ rief der Unterofficier ingrimmig aus, „wir werden wahrscheinlich, ehe vierundzwanzig Stunden vergangen sind, den Befehl haben, diese ganze vermaledeite Bude niederzubrennen!“




8.


Es mochte eine Stunde nach Mitternacht gewesen sein, als, wie wir sahen, Gaston de Ribeaupierre, von Herrn d’Avelon hinausgeleitet, die Ferme des Auges verlassen hatte. Er war in einer schwer zu beschreibenden Stimmung in die dunkle Nacht hinausgeschritten, Groll und Wuth im Herzen. Die Worte, welche ihm Valentine in’s Gesicht geschleudert, hatten mehr seinen Zorn erweckt, als sie Glauben an ihren unwiderruflichen Ernst bei ihm gefunden. Valentine war sein, sein durch alle Rücksichten, die nur einen Ehebund in Frankreich zu Stande bringen können, und daran konnte durch ein plötzliches heftiges Aufwallen eines jungen Mädchens nichts geändert werden, darin konnte nur eine Aenderung durch diesen verwünschten jungen Deutschen eintreten, wenn er mit seinen Ansprüchen auftrat und Valentine dessen beraubte, was die erste Bedingung der Verbindung war, die Gaston de Ribeaupierre mit ihr eingehen wollte. Und dieser verwünschte junge Deutsche, den er so rasch und gründlich hatte unschädlich machen wollen, war ihm entgangen! Gaston war seiner Sache so sicher und siegesgewiß ausgerückt mit seinem Haufen, so sicher, daß Max Daveland heute noch als Gefangener den Franctireurs in Neufchateau ausgeliefert, darauf von diesen nach dem Süden geschickt und da irgendwo so untergebracht werden würde, daß er weder selbst jemals in die Heimath zurückgelange, noch auch Gelegenheit finde, seine Entdeckung

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_432.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)