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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 27.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Diamanten der Großmutter.


Von Levin Schücking.


(Fortsetzung.)


Herr d’Avelon fuhr bei Valentinens Mittheilung, bei ihrer Erzählung, daß sie Max in die Höhle der Jungfrau geführt, daß sie ihn dort eben nicht mehr gefunden, daß man gekommen, ihn abzuholen, erschrocken aus den Kissen, um sich in seine Kleider zu werfen und auf die Terrasse hinunter zu eilen. Es war ein Glück, daß er so geläufig deutsch sprach, denn die Sprachkenntnisse des Führers der Patrouille reichten nicht weiter als bis zum Verständniß der gewöhnlichen Ausdrücke, zur Bildung der einfachsten Sätze. Und hier handelte es sich um etwas sehr Ungewöhnliches, sehr Unerklärliches, etwas das ja d’Avelon selbst nicht begriff, und das dem Unterofficier von der Landwehr – er war daheim in seinem Vaterlande der geschäftsführende Associé einer achtbaren Thonwaarenfabrik, die aus einer unscheinbaren Topfbäckerei sich zur Herstellung von Kachelöfen, Vasen, Bauornamenten und dergleichen aufgeschwungen hatte – noch viel weniger begreiflich war. Herr d’Avelon hatte sich sofort dafür entschieden, daß man diesen preußischen Soldaten die ganze Wahrheit mittheilen müsse, daß es die Mißlichkeit seiner Lage nur steigern würde, wenn er nicht ganz offen Alles erzähle, wenn weitere Untersuchungen Umstände an den Tag brächten, die, von ihm verschwiegen, ihn nur verdächtiger machten. So berichtete er denn Alles, seinen Wunsch, Max Daveland über Nacht in der Ferme des Auges zu halten, die nur zu begründete Befürchtung seiner Tochter, daß die Arbeiter des Hammers von Rubrai – er verschwieg nur Gaston’s Antheil an der Sache – sich durch diese Thatsache zu einem Ueberfall der Ferme verleiten lassen würden; ihren Entschluß, Max in eine sichere Zuflucht zu geleiten, den darauf folgenden Ueberfall der Arbeiter und endlich Valentinens vergeblichen Versuch, den sie just eben gemacht, ihn da wiederzufinden. Aber man könne ja ruhig sein, Herr Daveland werde, auf Um- und Irrwegen vielleicht, jetzt ohne Zweifel schon Void erreicht haben!

Der Landwehrmann machte bei dem Allen ein sehr ernstes Gesicht; er sah wie fragend seine Leute an und diese machten nicht weniger ernste Gesichter; eine lange Zeit hindurch antwortete er nicht, es machte ihm offenbar Mühe, sich klar darüber zu werden, was bei einem solchen seltsamen Falle zu thun sei und wie er der Verantwortlichkeit, die dabei auf ihn fallen könne, entgehe. Was diese Franzosen ihm da erzählten, konnte ja Alles richtig und wahr sein; die junge Dame mit ihrem bleichen Gesicht, dem Ausdruck der Angst in den gespannten Zügen, in den groß auf ihn sich richtenden Augen dachte wohl nicht daran, ihn zu belügen; der alte Herr aber hatte ein Mienenspiel, eine Physiognomie, der unser Landwehrmann durchaus nicht so unbedingt traute, und wenn er jetzt ihn hinter’s Licht zu führen suchte, so konnte er ja auch sehr wohl die eigene Tochter bei der Sache hinter’s Licht geführt haben! Die Ferme sollte in der Nacht überfallen sein – von Arbeitern aus der Nachbarschaft – wer hatte die Arbeiter herbeigeholt, wer ihnen einen Wink gegeben? Und kam es auch für den Augenblick darauf an? Der Officier, um den es sich handelte, war über Nacht in der Ferme gehalten worden und war in der Nacht verschwunden – unser Landwehrmann fand bald aus, daß er sich an diese Thatsache zu halten habe und daß das Uebrige die Herren Officiere angehe.

„Es thut mir leid, Herr,“ sagte er deshalb endlich, „wir haben sehr strenge Ordres in solchen Fällen; es wäre gut für Sie, wenn der Herr Lieutenant von Daveland bald wieder aufgefunden würde, und ich will es hoffen, obwohl gar nicht zu denken ist, wo er geblieben sein kann in dieser frühen Stunde … wenn ihn aber ein Unglück betroffen hat, so muß jedenfalls untersucht werden, wer daran schuld ist! Unterdeß muß ich die Herrschaften hier im Hause doch bitten uns nach Void zu begleiten, ich muß Sie dem Herrn Hauptmann vorführen, der die weitere Untersuchung anstellen wird …“

„Das heißt, Sie arretiren uns!“ rief d’Avelon heftig aus.

„Ich sage nur, daß ich Sie nach Void führen muß … die Herren Officiere werden dort das Weitere beschließen.“

Valentine umklammerte wie im Gefühl völliger Hülflosigkeit den Oberarm ihres Vaters. Sie war einer Ohnmacht nahe.

Herr d’Avelon stieß einen Fluch aus und murmelte einige unverständliche Worte; besorgt umfaßte er Valentine und ließ sie auf den Stuhl niedergleiten.

„Fasse Dich, fasse Dich, mein Kind, dies Alles ist zwar schrecklich, aber es wird sich ja zeigen, daß wir an der Sache unschuldig sind. Dieser Herr Daveland wird wieder auftauchen, irgendwie und irgendwo und jedenfalls so, daß sich herausstellt, wir haben ihm kein Leids angethan! Sei stark, sei stark, Valentine, nimm Deinen Muth zusammen, und … Herr,“ wandte er sich jetzt, als er sah, daß seine beruhigenden Worte auf Valentine keine Wirkung übten, zornig an den Landwehrmann, wie in plötzlich überkochender Empörung, „wollen Sie meine Tochter in diesem Zustande nach Void schleppen?“

Der ehrliche Thonwaarenfabrikant stand, die beiden Hände

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_431.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)