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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

vortheilhaft von den übrigen unterscheidet, aber ihrem Wesen – oder vielmehr Unwesen – nach die gemeingefährlichste von allen ist.

Diese letzte Art von Bauernfängern besteht aus gar reichen und wohlangesehenen Leuten. Sie haben Brillanten auf der Brust und Orden in den Knopflöchern; sie besitzen die schönsten Villen vor dem Thor, und wenn Du, lieber Leser, als ein bescheidener Mann zu Fuß Deine Straße ziehst, so kann es sich ereignen, daß ihre gummiberäderten Equipagen Dich mit Koth bespritzen. Dies sind die „Gründer“ oder „Actienschwindler“. Wie alle Bauernfänger haben auch sie es auf die Börse der Dummen abgesehen, aber sie erreichen ihren Zweck durch die Börse selbst. Man kann sie deshalb die Homöopathen unter den Bauernfängern nennen; aber wohlverstanden, nur der Methode, nicht den Dosen nach. Während der gemeine Gauner auf die Sinnenlust und den Leichtsinn der Menschen speculirt, rechnen diese „unbestraften Verbrecher“ auf ihre Habgier und Bornirtheit. Sie sehen die Welt als ein Actionarrenschiff an, an dessen Steuerruder die Gewinnsucht sitzt. Ihr ganzes Streben ist darauf gerichtet, Dinge zu ergründen, welche sich begründen lassen. Haben sie eins gefunden, so treten sie zu einem Consortium zusammen, schicken famose Lügenprospecte, in denen Aussichten auf fabelhafte Dividenden eröffnet werden, in die Welt, emittiren einige Milliarden Actien, und wenn diese, wie natürlich, überzeichnet sind, ziehen sie sich mit dem Gründergewinn in die Tiefe ihres Arnheim zurück, dem dummen Publicum das Reinfallen freundlichst überlassend. Es ist schwierig, diese Bauernfänger gründlich zu fassen, denn sie wissen sich hinter einem undurchdringlichen Wall von formellen Rechtstiteln zu verschanzen; aber man beginnt jetzt von allen Seiten mit Gesetzen dagegen anzustürmen – hoffentlich mit Erfolg.




Von drei Perlen die eine.



Wie es in der berühmten Erzählung des weisen Nathan drei Ringe giebt, von denen einer der echte sein soll, während sie im Grunde alle drei echt sind, so hat der Thüringerwald seine drei Perlen, von deren jeder behauptet wird, sie sei die wahre „Perle des Thüringer Waldes“. Sie heißen: die Wartburg, Reinhardsbrunn und das Schwarzathal mit der Schwarzburg. Unseres Bedünkens sind die Perlen alle drei echt und wohl geeignet, jedes empfängliche Herz mit Entzücken zu erfüllen.

In der Mitte ihres Laufs von Saalfeld nach Rudolstadt wendet die Saale sich in weitem Bogen gen Westen, um ein frisches und fröhliches Kind des Gebirgs in ihren Schooß aufzunehmen, die Schwarza. Auch der freundliche Ort, wo das geschieht, heißt Schwarza, und von ihm aus beginnt der Reisende, der zur Brunnen- und Badezeit vom Norden her die Zahl der fremden Luftschnapper des Thüringerwaldes vermehrt, seine Wanderung in das Schwarzathal.

Wenn wir das breite Saalthal verlassen und den obstreichen Marktflecken Schwarza hinter uns haben, treten mit jedem Schritte vorwärts die Höhen zur Linken näher an die Straße heran, während zur Rechten die Schwarza den Fuß der Berge bespült. Bald hebt sich aus dem dunkeln Waldberghintergrunde die Ruine Greifenstein heraus, in deren einst glänzenden Räumen Kaiser Günther’s Wiege gestanden, und am Fuße des Schloßberges grüßt uns die freundliche Stadt Blankenburg, ein aufstrebender Badeort. Kurz vor Blankenburg theilt sich die Straße und führt rechts zur Stadt, links über die Schwarza zum Schwarzathal, und hier stehen wir vor unserer Illustration. Wir sehen, wie die Wald- und Felscoulissen sich durcheinander schieben, und können uns im Voraus ein Bild machen von den Schluchten, durch welche der Weg sich zu seinem nächsten Ziele, der Schwarzburg, hindurchwinden muß.

Dreierlei nimmt hier unsere Aufmerksamkeit in Anspruch, ehe wir unsern Fuß in das Thal der Felsen setzen: zur Rechten das neue schmucke Schweizerhaus, dahinter der sog. Chrysopras, und zur Linken die Schwarza selbst. Dem Schweizerhause, einer klimatischen Curanstalt, machen wir auf dem Rückwege unsern Besuch. Wenden wir zunächst dem Wasser unsere Beachtung zu.

Die Schwarza ist nicht nur das schönste der größeren Gewässer Thüringens, sondern auch ein seltenes Glückskind: ihr allein gelingt das Unerhörte, ihren ganzen zwölf Stunden langen Lebenslauf von der Wiege bis zum Sarg, d. h. vom Rennstieg bei Habichtsbach bis zur Saale, in einem Lande, in Schwarzburg-Rudolstadt, zu vollenden. Keinem anderen Gewässer von gleicher Größe ist solche Treue in Thüringen möglich, alle laufen durch mehrerer Herren Länder. Dazu kommt noch ihre goldschimmernde Vergangenheit. Noch heutzutage sind hier und da die gräberähnlichen Erdhaufen zu sehen, die Zeugen der alten Goldwäschereien. Auch hierher versetzt die Sage jenen „Venetianer“ des Kyffhäusers, welcher den Bauer auslachte, weil er nach der Kuh einen Stein warf, der mehr werth war, als die Kuh. Dieser Segen ist verschwunden. Ein Rudolstädter, der aus Californien heimkam, suchte ihn zu erneuen, aber mit all seinem Goldwaschen brachte er es am glücklichsten Tage nur auf vier Silbergroschen.

Noch schlimmer erging es dem Mann, welchem der „Thüringer Hof“ den seltsamen Namen „Chrysopras“ verdankt. Zu Anfang unseres Jahrhunderts faßte ein preußischer Bergrath, Danz, den Entschluß, hier, auf der Grenze des Ur- und Flötzgebirges, den Bergbau neu zu beleben. Er trieb einen tiefen Stollen in’s Gebirge, baute davor ein Zechenhaus, zog mit seiner Familie hinein und verhämmerte rastlos fast sein ganzes bedeutendes Vermögen. Als seinen liebsten Fund zeigte er gern seine Chrysoprase, d. h. Stücke von jenem grünen Chalcedon, einem schönen Mineral, das in Schlesien daheim ist, dort zu mancherlei Schmuck verarbeitet wird und besonders durch Friedrich’s des Großen Liebhaberei für dasselbe zu Ansehen gekommen war. Danz nahm ein trauriges Ende, sein Zechenhaus ward in einer Nacht ausgeraubt und Mann und Familie kamen in’s Elend. Das Zechenhaus ward zum Wirthshaus umgewandelt, der alte Stollen zum Bierkeller, und an den verschollenen Gründer erinnert nichts mehr, als der Name Chrysopras, mit dem der Volkswitz das Haus belegte.

Und nun hinein in das Tempe Thüringens. „Salus intrantibus!“ So ruft das Thal mit goldner Schrift am ersten Fels „den Wanderern seinen Gruß“ zu, und über und hinter ihm türmt es rechts sich hinauf, graublaue Felswand und wieder grünes Moos und Gestrüpp, Felsenzacken und Baumgruppen, immer aufwärts, und ganz oben Kuppel, Pyramide, Faust oder zum Himmel zeigende Finger, Alles Fels! Der Anblick fesselt das Auge des Wanderers so, daß er anfangs fast schleichenden Schrittes vorwärts geht, um kein einziges Felsstück ungesehen liegen zu lassen. Ist er bis zur Mitte der ersten Thalwindung gekommen, wo rechts der Griesbachfelsen schroff emporsteigt, so springt gegenüber von einem der hohen Waldberge – welche bekanntlich die andere Seite des ganzen Thals bilden – aus einer dunklen Schlucht heraus und Satz um Satz herab ein lustiges Wasser in die Schwarza hinein. Jetzt erst bemerkt man eine neue Ueberraschung des Thals: die Windungen desselben sind oft so kurz, daß man sich in der Mitte einer solchen wie in einen rings umschlossenen Kessel eingesperrt deucht. Hoch oben nicken hier die im Sonnengold spielenden Baumwipfel, drohen dort die bestrahlten Felshäupter, senken sich dann die Fels- und Waldwände uns immer beengender herab, bis sie mit dem gewaltigen Fuß oft hart am Fluß- und Straßenrand aufstoßen. Schreiten wir aber vorwärts, so rücken die Coulissen wieder auseinander, hier der Wald, dort der Fels, wie aus gegenseitiger Gefälligkeit, bis das Auge plötzlich wieder aufwärts schwärmt. Diesmal ist es ihm bequem gemacht. In mächtigen Absätzen steigt ein Feld thurmartig aus der Wald- und Schieferwand heraus und an ihr empor. Das Volk nennt dieses Felsbild die Teufelstreppe. Bald ist der Kessel wieder gesperrt, dunkler als vorher, durch eine hochaufragende Waldkoppe zur Linken.

Hier haben wir zum ersten Mal in nächster Nähe auch das im Ruinenstil (um 1844) erbaute fürstliche Jagdschlößchen „Eberstein“, das wir schon am Eingang des Thals und auf unserer Illustration auf jener waldbewachsenen Felszunge, überragt von der Hünenkoppe, herüberleuchten sehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_428.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)