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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Attaché bei der brandenburg-culmbachischen Gesandtschaft zu Wien, Johann Christian Trützschler v. Falkenstein, bezweckte nichts Geringeres, als den Markgrafen „wegen seiner geschwächten Geisteskräfte während einer Reise aufzuheben und in sichern Gewahrsam zu bringen, das Fürstenthum aber unter Ansbach’sche Verwaltung zu stellen“. Erst jetzt erkennt der unglückliche Fürst, in welchen Händen er sich befunden und wer seine wahren Freunde sind.

Er giebt die Zügel seiner Regierung unserm jungen Reichsgrafen, dem Wiener und Regensburger Comitialgesandten Friedrich v. Ellrodt, in die Hände. Seit zwei Jahren mit einer Gräfin Löwenhaupt, mütterlicher Seits einem Sprößling aus fürstlichem Hause, vermählt, führt Friedrich v. Ellrodt auf einem seinem Vater gehörigen Gute zu Lindenreuth im Herzen des Fichtelgebirges, Angesichts von Ochsenkopf und Schneeberg, ein glückliches Dasein, dem nur der Kindersegen gebricht; nachdem er zuvor das Baireuther Reich als außerordentlicher Gesandter bei Joseph des Zweiten Kaiserkrönung in Frankfurt am Main vertreten hat. Aber Friedrich v. Ellrodt war zu glücklich, um nicht am Ende den Neid der Himmlischen fürchten zu müssen. Schon nahte ihm das Verhängniß.

Eines Abends – es war um die Zeit des Falkenstein’schen Complotes – an den Ufern eines unfern dem Schlößchen gelegenen großen Weihers spazierend, wird das gräfliche Paar durch einen aus nächster Nähe fallenden Schuß erschreckt. Ein zweiter und dritter Schuß ertönt, und plötzlich bricht aus dem Walde ein mächtiger Hirsch hervor, Jäger und Bauern rennen lautschreiend mit Knütteln hinter dem geängstigten Thiere einher und – entsetzlicher Anblick! grauenhaftes Bild aus unserer „guten alten Zeit“! – am Geweihe des Zwölfenders ist ein Mensch, ein ergriffener Wilddieb, festgebunden. Den Lustwandelnden erstarrt das Blut in den Adern … als der Hirsch näher herankommt, ist ein blutrünstiger Menschenkopf deutlich zu sehen, von dessen Lippen es kläglich winselt: „Barmherzigkeit! Schießt, schießt!“ Grausam brüllt das nachjagende Volk hinter dem Gemarterten her; mit einem Male springt das schweißschäumende Thier in den See. Ein trefflicher Schwimmer, springt Ellrodt in das Wasser nach und rettet, nachdem der Hirsch getödtet ist, mit Hülfe einiger Diener den unglücklichen Menschen. Seine Menschenfreundlichkeit jedoch wird sein Tod. Die Erkältung, die er sich bei seinem Liebeswerke geholt, verschlimmert durch die kurz darauf unternommene Eilfahrt, welche den verrathenen Markgrafen aus den Händen der Verschwörer befreien soll, artet in ein hitziges Nervenfieber aus, welches, jeder ärztlichen Kunst spottend, seinem Leben ein vorzeitiges Ziel steckt.

Da schlummert nun der Verblichene „unter brennenden Wachskerzen und mit fast fürstlichem Glanze“ auf seinem Paradebette, vor welchem, in Thränen aufgelöst, die junge Wittwe kniet, deren Idol der Heimgegangene gewesen ist. Den alten Reichsgrafen hat das Unglück, der Verlust seines letzten Sohnes selbst auf das Krankenbett geworfen – das kaum erblühte Geschlecht, schon verdorrt es ja wieder! Dies rührende Bild eines hoffnungsreichen Anfangs und schnellen Erliegens unter dem räthselhaften Geschicke zu zeichnen, war ohne Zweifel die eigentliche dichterische Aufgabe, welche sich Gutzkow in seinem neuesten Romane gestellt hat, nicht das geschichtliche Gemälde aus dem Jammer der deutschen Kleinstaaterei, wie farbenfrisch, lebensvoll und instructiv dasselbe auch vor uns hintritt. –

Bald nach Fritz Ellrodt bricht auch der Markgraf zusammen. Die Ueberzeugung, von denen betrogen worden zu sein, welche er an seinem Busen genährt hat, raubt ihm den letzten Rest von geistigem Halte, den sein umnachtetes Gemüth noch besitzt. Schrullenhaft, wie er gelebt, so stirbt der Mann auch, welchem trotz alledem das Zeug zu einem tüchtigen Regenten verliehen war. Eigensinnig weist er jeden andern ärztlichen Beistand ab, als den seines Leichdornschneiders Caspar Heinrich Schröder. Zwar macht dieser alle Anstrengungen, den Fürsten am Leben zu erhalten, mit dessen Hintritt ja seine eigene Glückperiode ihr unwiderrufliches Ende erreichen muß, seine Pfuscherei aber führt den Tod seines Gönners nur um so rascher herbei. Kaum hat Markgraf Friedrich Christian die Augen geschlossen, so eilt der Günstling mit seinen beiden Kindern, seinem Schwiegersohn und seinen erplünderten Schätzen aus dem von ihm und seinen Helfershelfern ausgesogenen Lande. Wo er gestorben ist, hat man nie erfahren; in der Gegend von Frankfurt oder Wetzlar geht seine Spur verloren.

Reichsgraf Philipp hat seinen edlen Sohn nur kurze Zeit überlebt. Beide ruhen in der Ellrodt’schen Erbgruft unter der freundlichen Kirche von Drossenfeld. Ihre Grabsteine aber haben einem den Sitzen der Gemeinde bequemeren Fußboden weichen müssen. So ruft uns das „Sic transit gloria mundi“, das als die Devise des heutigen Baireuth gelten kann, auch hier seine wehmüthige Mahnung entgegen.

H. S.




Ein Sonntagsmahl im Thüringerwalde.


Alljährlich durchstreife ich den „Park von Deutschland“, wie E. Humbert, ein Sohn der Alpenwelt, den Thüringer Wald zu nennen liebt. So war ich eines schönen Tages bis zur Höhe des Gebirges emporgestiegen und rastete zu Neuhaus am Rennstieg, wo sich die Sonneberg-Saalfelder und Eisfeld-Rudolstädter Poststraßen, zweitausendfünfhundert Fuß über dem Meere, kreuzen. Als ich mir „beim Just“ (Gasthaus zum grünen Baum) gütlich gethan und mich des herrlichen Blickes auf die malerischen Gebirgsdörfer ringsum erfreut hatte, trat ich in eine der bretterbeschlagenen, vom Unwetter geschwärzten Hütten, die sich auf der waldumrahmten Hochfläche in langgestreckter Reihe von Neuhaus nach Igelshieb ziehen, um in der Werkstatt eines geschickten „Perlismachers“ zu sehen, wie von der Gasflamme, die auch auf diesem Gebirgskamme die sonstige Oellampe verdrängt und ersetzt hat, die schönsten Glasgebilde in wahrhaft künstlerischer Vollendung fast im Nu hervorgezaubert werden.

Allein die Hütte schien wie ausgestorben. Nur ein wirres Durcheinanderzwitschern der gezähmten Kreuzschnäbel, die in winzigen Käfigen an den Wänden hingen, begrüßte den seltenen Gast, als er das kleine, niedrige Stübchen betrat, während eine weibliche Stimme aus der nahen Küche rief:

„Na, wie lange bleibt ihr denn? Wißt ihr nicht, daß der Vater essen will, wenn er aus der Kirche kömmt?“

Jetzt erst dachte ich daran, daß es ein Sonntag war, der auch den Glasbläsern die ersehnte Ruhe gönnt. Nun galt es zunächst, den Irrthum der scheltenden Frau aufzuklären, die vielleicht ihre abwesenden Kinder erwartet hatte. Und siehe! in demselben Augenblicke stürmten sie herein, zwei dralle Buben, die schon in der engen Hausflur riefen: „Mutter, einen ganzen Korb voll!“ – aber verdutzt in die Küche eilten, als sie durch die offene Stubenthür den fremden Mann erblickten. Ich folgte ihnen auf dem Fuße und bot der Frau, die geschäftig am Herde stand, einen guten Tag, indem ich ihr zugleich mein Verlangen offenbarte, die Kunstfertigkeit ihres Mannes zu bewundern.

„Ja, da hätten Se net am Sonntag kommen dürfen,“ entgegnete die Frau, mit der Schürze ihre geschwärzten Hände säubernd, fügte jedoch alsbald hinzu: „Vielleicht thut er’s doch, wenn er heimkömmt, oder die Jungen blasen vor der Lampe, wenn Se net so lang’ warten mögen.“

Ich hatte keine Eile und beschloß zu bleiben, bis der Mann zurückkehre. Unterdessen hatte die Frau ihren Knaben einen kleinen Tragkorb abgenommen und überblickte schmunzelnd dessen Inhalt. „Dacht’ ich’s doch! Der warme Gewitterregen hat sie haufenweis ’rausgetrieben. Das wird ein prächtiges Sonntagsgericht.“ Dabei schüttete sie einen Theil der schönen Pilze, welche die Knaben im nahen Walde gesammelt hatten, in ihre Schürze, und setzte sich damit auf die hölzerne Bank, die vor dem Hause stand. Da ich ihrem Treiben theilnehmend zusah, wie sie die jüngeren Schwämme von allem Unrath säuberte, die älteren aber, deren Fleisch von Maden und Würmern durchbohrt war, wegwarf und die Buben auszankte, weil sie nicht bedachtsamer gewählt hatten, nöthigte sie mich, neben ihr Platz zu nehmen, und sagte: „Ja, lieber Herr, wenn die Schwämme in der Nässe gesammelt worden sind, müssen sie schnell verbraucht werden, weil sie sonst unter den Händen verderben. Und das sollen sie denn auch. Sie sind“ – setzte sie lächelnd hinzu – „unser Sonntagsbraten.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_423.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)