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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

zu mäßigen, zu lenken, im Zügel zu halten und sie von den äußersten Ausschreitungen zurückzuhalten. Das war meine Pflicht – wer weiß, wie es in diesem Augenblicke hier aussähe, wenn ich diese Pflicht nicht erfüllt hätte!“

Valentine sah im höchsten Grade überrascht, fast erschrocken Gaston an, während d’Avelon ausrief:

„Aber, zum Henker, haben Sie denn über das Gesindel, das doch in Ihren Diensten steht, das Sie erhalten und ernähren, nicht so viel Autorität und Gewalt, um es von solchen Infamien abzuhalten?“

„Nein!“ versetzte Gaston lakonisch.

„Nun, dann können wir Alle dem Himmel danken, daß dieser Herr Daveland noch zu rechter Zeit Unrath gemerkt zu haben scheint und auf und davon gegangen ist. Hätten Ihre Burschen ihren Vorsatz ausführen können, so wäre ich als Hausherr in einer überaus angenehmen und beruhigenden Lage den Herren Preußen in Void gegenüber gewesen, ich hätte mich nur sofort auf die Flucht begeben können!“

„Allerdings,“ erwiderte Gaston kühl. „Aber der Himmel hat wenig Verdienst dabei, daß es anders gekommen; er ist es nicht gewesen, der den Preußen gewarnt hat,“ setzte er bitter hinzu.

„Und wer ist es denn, was wollen Sie mit diesen Worten, die wie ein Vorwurf lauten, sagen, Gaston?“

„Ich mache Niemandem einen Vorwurf; ich will nur sagen, daß, wenn dabei Jemand Dank verdient, es Valentine ist!“

„Ich bin es allerdings,“ sagte Valentine, „darin spricht Herr von Ribeaupierre die Wahrheit, die ihn warnte und früh genug dafür sorgte, daß der Fremde trotz der Umstellung unseres Hauses und der so klug besetzten Wege nach Void zu den Seinen entkam.“

„Aber,“ rief d’Avelon aus, „wie um’s Himmels willen ahntest Du denn …“

„Sogar, daß der Weg nach Void besetzt war?“ rief Gaston erstaunt dazwischen.

„Ich hatte einmal an diesem Abende meine Ahnungen,“ antwortete Valentine trocken.

Gaston betrachtete sie scharf und lange, dann sagte er:

„Sie haben ihn selbst fortgeführt und ihm die Wege gezeigt; ich sehe, daß Ihr Haar ganz feucht ist! Sie sind lange im Regen gegangen!“

„Möglich!“ antwortete Valentine verächtlich.

Gaston richtete seine scharfen Augen von ihr auf Miß Ellen, die allem Vorgehenden nur mit dem Ausdruck der Verwunderung zuschaute und zuhörte, in welchem ihre Miene förmlich erstarrt zu sein schien.

„Dies Alles ist wunderbar, höchst wunderbar!“ rief d’Avelon aus, Valentine ebenfalls sehr fest und betroffen anschauend. „Deine Ahnungen konnten Dir doch nicht gesagt haben, daß unseren Gast irgend eine Gefahr bedrohe?“

„Doch, mein Vater, der beste Beweis ist, daß ich ihn frühzeitig genug gewarnt habe.“

„Und daß Sie mit ihm durch Nacht und Regen hinausgegangen sind, allein, mit dem deutschen Officier, dem Feinde Ihres Vaterlandes!“ fiel Gaston ein.

„Ich bitte, lassen Sie das Vaterland in Ruhe, Herr Gaston von Ribeaupierre, es hat, glaub’ ich, mit dieser Angelegenheit sehr wenig zu schaffen. Und was sonst mein Betragen angeht, so verbitte ich mir Ihre Kritik darüber; ich spreche Ihnen von heute an alles und jedes etwaige Recht, das Sie glauben könnten zu haben, ab, sich über mein Betragen zu beklagen, sich irgend damit zu beschäftigen.“

„Ah, das ist sehr deutlich geredet!“

„Es freut mich, daß Sie es verstehen!“

„Ich weiß nicht, ob Ihr Vater …“

„Mein Vater wird nie etwas versuchen, was er nicht durchzuführen vermag, nie versuchen, das Gefühl zu ändern, das mir meinen Entschluß dictirt. Er ist unwiderruflich.“

„Gott steh’ uns bei! Nun ist das Schlimmste bei der schrecklichen Geschichte noch, daß sie mit einem Zerwürfniß zwischen Euch Beiden endet,“ rief Herr d’Avelon dazwischen, „Gaston, ich wollte, der Teufel hätte Sie geholt, ehe Sie auf den Einfall kamen, Ihre Bande von schwarzen Hallunken hierher zu führen! Aber es ist wahrhaftig nicht die Zeit, die ganze Sache zu ergründen und in Streit darüber zu geraten; kommen Sie, Gaston, ich lasse Sie hinaus, wenn Sie heimkehren wollen und nicht vorziehen, den Rest der Nacht hier zuzubringen...“

„Ich ziehe vor, heimzukehren …“

„Nun wohl, so kommen Sie, ich schließe die Thür; dann suchen wir uns durch die Fortsetzung des unterbrochenen Schlafs die erhitzten Gemüther zu beruhigen.“

Herr d’Avelon erhob sich und entließ Gaston mit einem ziemlich trockenen „Gute Nacht“. Es war in diesem Augenblick sehr wenig von Schlafbedürfniß in ihm, er hätte auch Lust genug gehabt, das ganze Ereigniß noch gründlicher mit Gaston zu erörtern, aber mehr war ihm daran gelegen, Gaston und Valentine in ihrer erhitzten Stimmung nicht länger einander gegenüber zu lassen.

Während er mit Gaston hinausgegangen war und die Hausthür abschloß, sagte rasch Ellen, mit einem eigenthümlich scharfen und drohenden Seitenblick auf Valentine:

„Werden Sie jetzt auch den Krieg mit mir wie eben mit Gaston beginnen? Thun Sie das nicht, ich möchte nicht so discret sein, um, was ich that, zu rechtfertigen, wie er es eben war, und das Ende würde sein, daß Sie sehr bereuen würden, was Sie gethan haben. Also rufen Sie keine Erklärungen hervor – ich warne Sie; und hüten Sie sich, mich zu einer Vertheidigung vor Ihrem Vater zu zwingen – Sie würden dafür eine Strafe erhalten, die Ihnen blutige Thränen auspressen würde!“

Nach diesen mit einer ganz schneidenden Betonung gesprochenen Worten verließ auch Miß Ellen mit ihrem gewöhnlichen unhörbaren weichen und energielosen Schritt den Raum.

Valentine sah ihr betroffen nach: welches Räthsel, welche Drehung lag in diesen seltsamen Worten? – was war es, das Ellen, statt tief beschämt und gedemüthigt, so gebieterisch warnend reden ließ? Gab es für sie, für Gaston denn eine Rechtfertigung ihres zum guten Glück von Valentine früh genug durchschauten tückischen Anschlags? Die Frage war peinigend und schwer, Ellen’s Drohung war beängstigend genug; dazu kam die Sorge um die Befreiung des auf Valentine harrenden Flüchtlings; aber alles Das war dennoch nicht im Stande, ein stolzes Gefühl von Befriedigung, von innerem Glück in der Brust des jungen Mädchens zu ersticken – ihr Herz schlug mächtig und hoch auf unter diesem Gefühl der eben errungenen Freiheit, der gebrochenen Fesseln.

So eilte sie festen elastischen Schritts ebenfalls in ihr Schlafgemach hinauf, um hier das erste Aufdämmern des Morgens zu erwarten – sie wollte dann möglichst unbemerkt das Haus verlassen, um Max aus seinem Zufluchtsort zu befreien.




7.


Valentine hatte sich in ihren Kleidern auf ihr Lager gelegt, um so den Morgen herankommen zu lassen; trotz der Erregung und alles innern Sturmes in ihr schloß doch endlich der Schlummer ihre ermüdeten Augen; als sie erwachte, nahm sie am westlichen Himmel, der in ihr Fenster hereinblickte, den Reflex der Morgenröthe wahr – an der andern Seite des Hauses über dem Maasthal mußte eben die Sonne mit ihren ersten Strahlen sich ankündigen. Valentine fuhr empor; sie rüstete sich rasch zu ihrem Gange und trat unhörbar auf den Corridor hinaus. Hier hielt sie eine Weile an – mußte sie denn gehen, selbst gehen? – konnte sie nicht ihren Vater wecken und ihn bitten, statt ihrer den Gang zu machen? – war es nicht schicklicher und besser, wenn sie es that? Aber durfte sie noch einmal ihn in der ohnehin schon so heftig gestörten Nachtruhe unterbrechen und, was noch mehr, ihm die Aufgabe zuschieben, bei dem deutschen Officier, den er für die Nacht eingeladen, das, was geschehen, zu entschuldigen? Nein, es war eine zu demüthigende Situation für ihn; sie wollte ihm nicht zumuthen, nun auch noch das über sich zu nehmen – sie sagte sich, welches Herzeleid ihm diese Nacht, ihm ihre Erklärung gegen Gaston zugefügt haben, welchen Kummer sie ihm noch machen müsse, wenn er erführe, daß ihr Entschluß unwiderruflich sei, daß er alle Hoffnung auf eine Verbindung, die ihm so am Herzen lag, aufgeben müsse! – Er sollte jetzt ruhen dürfen, der arme Vater, und sie selbst wollte gehen! Valentine schritt voran; mit einem eigenthümlichen Gefühle von Spannung und Angst vor dem Zusammentreffen mit Max, vor Allem dem, was die nächste

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_416.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)