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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 26.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Diamanten der Großmutter.


Von Levin Schücking.


(Fortsetzung.)


Herr d’Avelon stand mit zornflammenden Gesicht vor ihm – an der Heftigkeit, womit sich jetzt Valentine an ihn schmiegte und, wie bei ihm Schutz suchend, seinen Arm umklammerte, verrieth sich, wie furchtbar die Aufregung war, in der sie sich inmitten dieses Tumults doch so muthig aufrecht erhalten und Gaston die Stirn geboten hatte – jetzt, wo ihr natürlicher Schützer neben ihr stand, schien ihre Kraft zusammenzubrechen.

„Mein Gott, machen Sie nicht solchen Lärm darüber, Herr d’Avelon,“ versetzte Gaston, sich mit großer Selbstbeherrschung zur Kaltblütigkeit zwingend, „ich denke, es ist nicht so schwer zu errathen, was meine braven Arbeiter hier zu suchen kamen – es sind keine Räuber und Diebe, so daß Sie über ihre Anwesenheit hier so sehr zu erschrecken hätten – sie sind freilich ungeladen gekommen, aber sie werden auch friedlich wieder abziehen! Ich bitte Euch, in der That, meine Freunde, begebt Euch auf den Heimweg,“ wandte er sich jetzt an seine rußige Gefolgschaft, „Ihr seht, wir sind zu spät gekommen, der Feind hat decampirt und wird sich längst in Sicherheit gebracht haben – die Verfolgung wird uns nichts nützen können in dieser häßlichen dunkeln Nacht; auch der große Hund, den Etienne mitgebracht hat, hilft uns da nichts. Die Gelegenheit ist verpaßt und so haben wir hier nichts weiter zu thun. – Geht jetzt, ich bitte Euch darum, stören wir Herrn d’Avelon und die Seinen nicht länger in ihrer Nachtruhe – geht und vergeßt nicht, Raoul und Gilou, die unten auf der Chaussee Wache stehen, abzulösen. Wir werden morgen von einer Entschädigung reden, die ich allen Arbeitern für den verfehlten Fang gewähren werde – wir werden sehen, wie viel Flaschen eines guten Getränks nöthig sind, Euch zu trösten – aber zieht ab, macht keinen Lärm und trollt Euch!“

Gaston’s Reden hatten einen Erfolg, der auf eine ziemlich befriedigende Disciplin unter seinem schwarzen Corps schließen ließ. Sie schalten und wetterten laut genug, verdrossene Flüche und rohe Späße fehlten nicht, aber sie räumten, mit einer gewissen Lässigkeit zwar, doch am Ende sammt und sonders den Flur, um auf dem Hofe, da es keinen „Prussien“ zu maltraitiren gab, eine kleine Rauferei mit den halb angekleidet zusammengelaufenen Knechten der Ferme anzustellen und dann lachend, schimpfend, singend abzuziehen.

Unterdeß hatte Herr d’Avelon längst Gaston in das nächste Zimmer, das Eßzimmer, wohin sich Miß Ellen schon vor einer Weile geflüchtet, gezogen. Er hatte vorher Valentine aus den zitternden Händen das Licht abgenommen und, es hier auf den Tisch stellend und sich selbst wie überwältigt von der ganzen Scene auf einen Stuhl niederlassend, rief er aus:

„Und nun, Gaston, werden Sie mir Rechenschaft geben über dies Alles?“

„Mein Gott,“ antwortete Gaston, wie ein wenig erschöpft von all den Aufregungen des Tages sich ebenfalls setzend, „durchschauen Sie denn nicht die ganze Bedeutung dieser Scene, dieses Ueberfalles Ihres Hauses, der Sie leider so gründlich in Ihrer Nachtruhe stört? Sie haben den preußischen Officier über Nacht bei sich beherbergen wollen – das ist, Gott weiß wie, durch einen Ihrer Domestiken ohne Zweifel, einem meiner Eisenarbeiter kund geworden, er hat es den Cameraden auf dem Hammer erzählt, es hat unter ihnen eine patriotische Gährung hervorgerufen, sie haben sich bis zu dem Entschlusse erhitzt, wider die Ferme des Auges auszurücken, Ihr Haus zu umstellen und den Prussien herauszuholen – hätten sie ihn erwischt, wahrhaftig, ich glaube nicht, daß er lebendig diese Nacht überstanden hätte …“

„Und Sie, Gaston de Ribeaupierre,“ fiel hier empört Herr d’Avelon ein, „Sie konnten einen solchen schändlichen Anschlag wider einen Mann, der mit dem rückhaltlosesten Vertrauen sich in meinem Schutze, unter dem Schutze des Gastrechts, das selbst die Wilden ehren, sicher hielt, unterstützen, Ihre Räuberbande anführen, ihr mit der Kenntniß der Räumlichkeiten hier im Hause beistehen, Sie konnten …“

„Großer Gott,“ unterbrach ihn achselzuckend Gaston, „wie rasch Sie im Verdammen sind, Herr d’Avelon! Ich hörte von dem Anschlag. Einer der Arbeiter, der mir mehr als die übrigen verpflichtet und ergeben ist, kam vom Hammer zu mir nach Givres gestürzt. Er meldete, daß man die Frischfeuer bereits ausgieße, da zu ihrer Bewachung Keiner von der Expedition zurückbleiben wolle. Er sagte mir ferner, daß schon mehrere ausgerückt, um die Straße nach Void zu besetzen und dem Feinde den Rückzug abzuschneiden, falls er aus der Ferme entkomme! Sollte ich da ruhig zu Hause bleiben und mich schlafen legen? Sollte ich die erhitzten unsinnigen Menschen sich selbst überlassen und mich nicht darum kümmern, was aus der Ferme des Auges, was aus Ihnen, aus Valentine, aus Miß Ellen werde bei solch einem Ueberfall mitten in der Nacht? Ich denke, Sie würden es sehr freundschaftlich von mir gehandelt genannt haben! Nein, ich zog vor, mich zu ihnen zu gesellen, und Alles zu thun, um sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_415.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)