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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Thierstudien eines Laien.


Ameisenwirthschaft.


Wie über die Bienen, so ist auch über das Volk der Ameisen schon so unzählig viel gesagt und geschrieben, daß es kaum mehr möglich erscheint, wirklich Neues zu berichten. Fast jedes Lesebuch bringt ja Capitel und Abschnitte über die Bauten, Reichsverfassung, Eierpflege und Raubzüge dieser Insecten; und allbekannt ist auch schon die Anleitung, wie man dieselben benutzen kann, um aus kleineren Thierleichnamen reinliche Skelete herzustellen. Obgleich ich nun auch auf diesem Gebiete von früh auf ohne mündliche oder schriftliche Anleitung Beobachtungen angestellt habe, so würde ich doch um so weniger wagen, das Thema „Ameisenwirthschaft“ zu behandeln, je anschaulicher die ausführliche und treffliche Schilderung Taschenberg’s (in „Brehm’s Thierleben“) so ziemlich Alles zusammenfaßt, was man von den Ameisen weiß, wenn mir nicht doch einige specielle, dort nicht erwähnte Punkte meiner Ameisenstudien der Erwähnung werth schienen.

Vor Allem habe ich die rothe Waldameise beobachtet, welche in unseren Tannen- und Föhrenwaldungen jene oft sehr bedeutenden Hügel aus trockenen Nadeln aufbaut. Außerdem waren aber auch die rothen und schwarzen Gartenameisen, welche in Erdlöchern hausen, und jene anderen Sorten Gegenstand meiner Forschung, die man in Baumstrünken, alten Maulwurfshügeln und unter Steinen findet. Unter all diesen kleineren Völkern erschien mir die an den letztgenannten Stätten nistende hellgelbe Ameise als die allerfatalste, deren Bisse auch den eifrigsten Forscher bald vom Platze vertreiben.

Der Schmerz des Ameisenbisses wird bekanntlich durch die Ameisensäure erzeugt, welche das Thier aus der Hinterleibsspitze in die Bißwunde träufeln läßt. Lediglich zu letzterem Zwecke wird man stets eine beißende Ameise sich so zusammenkrümmen sehen, daß Kopf und After sich fast berühren. Possirlich aber sind dabei vor Allem die rothen Waldameisen anzuschauen, die sich überhaupt wegen ihrer Größe am besten zur Beobachtung eignen. Taschenberg giebt den Rath, um den würzigen und erquickenden Duft der Ameisensäure genießen zu können, solle man mit der flachen Hand einige rasche Schläge auf den Hügel führen und sie dann unter die Nase halten. Doch fügt er selbst hinzu, es sei Schnelligkeit dabei nöthig, damit sich keins der hierdurch wüthend gemachten Thiere in die Hand einbeiße oder an den Körper krieche. – Ich habe nun aber sehr oft die unangenehme Erfahrung gemacht, daß selbst bei der größten Geschwindigkeit die Thiere doch noch geschwinder waren und ich eine Anzahl tüchtiger Bisse weg hatte, eh’ ich’s dachte. Ich rathe deshalb Jedem, der jenen in der That köstlichen Genuß haben will, blos mit der Handfläche in einer Entfernung von drei bis vier Zoll über dem Haufen hin- und herzufahren; eine Ameise wird sich dann nie an seine Hand setzen können, wohl aber wird er letztere bald von den tausend und abertausend Strahlen der Säure angefeuchtet fühlen, welche die Ameisen, wie Taschenberg dies selbst gleich darauf erzählt, in ziemliche Höhe hinaufzuspritzen vermögen. Außerdem hat der Experimenteur bei diesem Verfahren den oben erwähnten, höchst possirlichen Anblick, daß das ganze Ameisenheer auf dem Hügel, der dicht über ihm befindlichen Menschenhand gegenüber, die energischste Offensivstellung einnimmt; jede Ameise stützt sich auf die hinteren Beinpaare, hält sich so in der Schwebe und streckt Kopf und Hinterleib dem Störenfried entgegen, spritzend und die Zangen bereit haltend. Sowie die Hand stillhält, steht auch die ganze Armee unbeweglich in dieser Stellung; sowie jene sich aber bewegt, folgt auch diese genau jedem Ruck und Zug und zwar so, daß sie in Blitzesschnelle die Stellung ändert, einige Schritte vorwärts thut und von Neuem offensiv gerüstet dasteht. Es erinnert dieser Anblick unwillkürlich an die Evolutionen eines Balletcorps, welches ja auch oft in irgend einer unmöglichen Körperverschlingung unbeweglich sich dem Zuschauer präsentirt, plötzlich einige Schritte weiter galoppirt und sofort wieder in der eben verlassenen oder einer noch schwierigeren neuen Stellung regungslos gebannt dasteht.

Mit blankgewichsten Lederstiefeln geht man ziemlich ungefährdet durch die Schaaren dieser Waldameise, zumal wenn man ab und an aufstampft. Die Ameisen werden allerdings durch dieses Fußstampfen zornig; aber alle etwa auf den Fuß kriechenden werden dadurch leicht abgeschüttelt, da sie auf dem glatten Leder sich nur mühsam halten können. Ich habe dies namentlich erprobt, als ich einst versuchte, eine Ameisencolonie im Garten anzulegen. In demselben befanden sich einige Tannen – für Baumaterial war also gesorgt. Zugleich aber war der ganze Garten so von Insecten, Larven und den kleinen, schädlichen Ameisen bevölkert, daß ich damals glaubte, durch Einbürgerung der großen Waldameise den wirksamsten Schlag gegen das Ungeziefer führen zu können.

Die Beinkleider in den Stiefeln, begab ich mich also eines schönen Sommertags, mit mehreren Beuteln und einer Ofenschaufel bewaffnet, in den nahen Wald, wo ich mehrere große Ameisenhaufen wußte. Am größten hielt ich an, befestigte die Beutel rings an Zweigen so, daß sie weitgeöffnet herabhingen, und schaufelte nun aus der Mitte des Haufens Ameisen, Eier, Larven ohne Unterschied mitsammt ihrem Baumaterial heraus in die Säcke, band diese zu und schaffte sie in den Garten. Durch möglichste Geschwindigkeit, durch fortwährendes Stampfen und durch die Wahl der glattstieligen Schaufel gelang mir die Operation, ohne daß ich gebissen worden wäre. Leider war alle Mühe vergebens, und obgleich ich einige sehr interessante Beobachtungen bei dieser Gelegenheit machte, so bereute ich doch, meine Lieblinge im Walde so decimirt und auf lange Zeit gestört zu haben.

Jene Beobachtungen waren aber folgende. Obgleich ich den ganzen Inhalt der Beutel auf einen Haufen schüttete und die Eier und Puppen möglichst in’s Innere bettete, so zeigten die Ameisen doch eine solche Verwirrung, daß sie nach allen Seiten auseinanderstürzten. Kam ihnen dabei eine Puppe in die Quer, so belasteten sie sich sofort mit derselben und rannten weiter, stets von dem Haufen weg. Auch die innerhalb zu Tausenden krabbelnden Thiere arbeiteten sich, meist mit Eiern und Larven, an’s Tageslicht und flohen ebenso von dannen. – Dennoch bemerkte ich bald, daß diese Züge sich nach und nach gruppirten und fand in mehr oder weniger Entfernung hier und da unter allerlei Deckungsmitteln größere Ansammlungen der Puppen, zum Theil so, daß ich sie später löffelweise hervorholen konnte. Aber ein Zusammenhang aller war nicht mehr da; der leitende, allgemeine Gedanke fehlte; und schon bekriegten die einzelnen Gruppen einander, wobei die Brut bald hierhin, bald dorthin dislocirt wurde. – Das Unglück, dem ich enttäuscht und traurig zusah, wurde vollendet durch die kleinen Gartenameisen, welche – obwohl in viel schwächeren Heeren – einen wahren Vernichtungskrieg gegen die größeren Geschlechtsgenossen führten. Und hier konnte man auf’s Deutlichste lernen, wie Einigkeit stark macht, während Zwietracht auch die an sich mächtigsten Brüder dem Verderben preisgiebt. Die großen Waldameisen, jede für sich allein kämpfend, fielen rasch unter den Bissen der winzigen Gegner, die je zu dreien und vieren über einen solchen Riesen herfielen. Schon am Abend des folgenden Tages lag der Nadelhaufen todt und verlassen da. Weit und breit krochen die ermatteten und augenscheinlich entmuthigten Ameisen umher, am dichtesten noch da, wo sie Theile der Brut geborgen hatten. Zahllose Leichen deckten die Erde und überall sah man die kleinen einheimischen Feinde im Kampf oder mit Fortschleppung der Beute beschäftigt. Nach einigen Tagen war Alles vorbei, und ich sammelte nun die Puppen zum Vogelfutter. – Ich bemerke noch, daß ich auch sehr viele geflügelte Ameisen, jedenfalls also Weibchen, übergesiedelt hatte, daß diese aber am allerersten sich zerstreuten und gar keine Notiz von den übrigen oder von der Brut nahmen.

Daß also die Colonisation der Ameisen durch Menschenhand ein höchst schwieriges, wo nicht unmögliches Unternehmen ist, scheint mir hiernach klar. Denn daß ich einst einen ganzen Staat der Gartenameisen, den ich in einem Blumentopfe fand, lange Zeit in meinem Zimmer in einem großen Blechgefäß hielt, hauptsächlich zum Futter meiner Ameisenlöwen, das kann man keine Colonisirung nennen; diese Ameisen konnten eben nicht über die glatten Wände ihres Kerkers hinaus, und auch bei ihnen merkte ich trotz reichlicher Fütterung doch bald, daß nicht Alles so war, wie draußen in der goldenen Freiheit.

Wie colonisiren sich nun die Ameisen selbst? Ich habe selber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_412.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)