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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

ein, zu der das ganze Comité erscheinen sollte und wo er große schwere Kugeln nach einem fernen Ziel mit Dampf werfen wollte.

Ich wandte mein Pfund Sterling an die Reise, fand aber die Collegen nicht zur Stelle; ja, selbst Mac Carthy blieb aus. Sein Bostoner Freund, der das Geld hergab, empfing mich. Da erfuhr ich denn das tiefste Geheimniß, das der Sache zum Grunde lag. Irgendwo im Jesaias zeigte mir mein Wirth einen Vers, der hieß: „Und der Schmied wird das Geschoß schmieden, womit das wilde Ungethüm vertilgt werden wird“ – so oder ähnlich. „Der Schmied,“ sagte der Bostoner, „ist Mac Carthy, das ‚wilde Ungethüm‘ ist der Papst, und Mazzini wird ihm mit Mac Carthy’s Kugelspritze den Garaus machen.“ Wir wissen jetzt, was aus dieser Weissagung geworden ist, und es wird mir Niemand zutrauen, daß ich nur einen Augenblick daran geglaubt hätte, dem Papste sei mit Kugelspritzen beizukommen. Mein Bostoner begnügte sich aber nicht mit Einer Prophezeiung, er trug mir mindestens ein halbes Dutzend vor aus der Apokalypse und anderen heiligen Büchern. Endlich, nach dem Thee, und als ich ihm natürlich nie widersprochen hatte, schlug er das Buch auf und sagte: „Nun wollen wir etwas lesen: ‚Im Anfang schuf – – –‘“

„Warten Sie,“ sagte ich erschrocken, denn wo konnte ich erwarten, daß er aufhören werde, wenn ich ihn einmal richtig anfangen ließ, „warten Sie einen Augenblick! es giebt ja gar keinen Anfang!“

„Keinen An – –, was? keinen Anfang?“

„Nein! Sehen Sie denn nicht, daß etwas vor dem Anfang gewesen sein muß?“

„Nun ja – aber –“

„Und vor dem wieder etwas Anderes?“

„Das ist schon richtig; aber der Herr sagt es ja doch; also fahren wir fort!“

„Nein, nicht eher, als bis Sie mir Ihren ersten Satz bewiesen haben!“

Glücklicher Weise kam Mac Carthy, und nun wurde die Dampfkugelspritze besehen; aber operiren konnte sie nicht, weil wir über einen Fußsteig weg zu schießen hatten, und das durfte die Polizei nicht gestatten. Abends traf ich Mazzini, der sich mit Humor in die Rolle fand, die der Bostoner Puritaner ihm anwies, und meinte, „es sei so übel nicht, wenn man Einen Aberglauben gegen den andern ausspielen könnte.“

Eine gewisse Wendung kam in die italienische Politik durch das Mißlingen der Mailänder Erhebung, bei der einige wenige Verwegene den österreichischen Truppen mit Stiletten zu Leibe gingen. Es hieß, Mazzini wäre selbst in Mailand gewesen und hätte das tollkühne Unternehmen geleitet. Dagegen schrieb aber Orsini seine Memoiren, wies nach, daß dies nicht der Fall gewesen, und erklärte sich überhaupt entschieden gegen die kleinen Aufstände, die immer mißlingen müßten.

Orsini reiste 1857 im Sommer in England umher und hielt Vorlesungen über den Zustand Italiens, um Geld für seine antimazzinistischen Befreiungspläne aufzubringen. Er war zu der Manin’schen Politik übergegangen und glaubte, Italien könne sich allein nicht von Oesterreich befreien; es brauche dazu den Beistand eines freien Frankreichs.

Ich war diesen Sommer auf’s Land gegangen und wohnte während des Juli bei Tunbridge am Eingange von Summerhill Park. Hier erhielten wir einmal Einlaßkarten zu einer Vorlesung, die ein Italiener, Namens Orsini, auf dem Rathhause von Tunbridge halten würde. Da ich Freunde von Mazzini auf einem nahen Landgut kannte, so beeilte ich mich, sie mit einigen Karten zu versehen. Hier fand ich aber eine entschiedene Ablehnung und die Dame vom Hause erklärte mir auch, warum. Orsini hatte einem jungen Mädchen, das später als eifrige Anhängerin Garibaldi’s sowohl bei Mentana als im französischen Kriege erschien, seine Hand angetragen und einen Korb erhalten aus dem sehr guten Grunde, weil sie wußte, daß Orsini verheirathet war. Orsini schrieb nun einen bitterbösen Brief über die Schöne an Mazzini, der aber, weil die junge Dame Secretärin des Italienischen Comités war, durch ihre Hände ging und also gerade an die richtige oder vielmehr unrichtige Adresse gelangte. Dies trennte nun die zwei Männer gänzlich.

Ich hörte den Vortrag mit an, begleitete am anderen Tage Orsini nach Seven Oaks, einem der schönsten Punkte in Kent, und unterwegs gab ich ihm vollkommen Recht, daß vor der Hand für Italien Alles von Frankreich abhinge und die Mazzinische Politik, Italien müsse Alles allein von sich aus thun, sich nicht durchführen lasse. In Seven Oaks wurden wir von Alsop empfangen, einem Engländer ganz eigener Art. Er war der Erste, der mir die indische Empörung mittheilte, und der Einzige, der die Ansicht aussprach: „es würde ein wahrer Segen für England sein, wenn es Indien los würde, denn das verdürbe Alle, die hinübergingen, und gewöhne sie an tyrannische und unmenschliche Sitten!“ Er war in Californien gewesen und hatte die national-englischen Gesichtspunkte gegen umfassendere ausgetauscht: er ist einer der interessantesten Politiker, die mir vorgekommen sind.

Nach Tische schlug er vor, den alten Robert Owen, den großen Socialisten, zu besuchen, der dort in einer Villa von einer begeisterten Verehrerin gepflegt werde. Wir wurden empfangen, und da Alsop etwas und Owen sehr taub war, Orsini aber ein schwer verständliches Englisch sprach, so fiel die Unterhaltung mit dem ehrwürdigen alten Weltverbesserer durch seine Hörtrompete mir vornehmlich zu. Nach seinem ersten großartigen Gelingen in Lanark hatte er’s so anhaltend mit Verlusten und mißlungenen Versuchen zu thun gehabt, daß er nun zuletzt auf die Auskunft verfallen war, „die Geister“ würden seine Ideen zur Hebung der niedern Classen und zur socialen Reform ausführen. Ich widersprach ihm nicht, nahm die Geister in einer richtigeren Bedeutung als die lebenden und antwortete in diesem Sinne, daß man es nicht anders erwarten könne. Alsop lobte mich sehr über diese Wendung, und Owen verehrte mir seine neuesten Broschüren und versprach mir die letzte, die er eben seiner Freundin dictire. Er stand im sechsundachtzigsten Jahre und starb im folgenden, eine ehrwürdige Gestalt, die solche Nachfolger hinterlassen, wie den braven Titus Salt, der seinen Alpacca-Webern eine ganze glänzende Stadt, Salt Air bei Bradford, gebaut hat.[1]

Es ist bekannt, daß auch Orsini, der erst achtunddreißig Jahre zählte, im nächsten Jahr sein Leben lassen sollte.

Sein unglücklicher Privatfeldzug hat ganz unerwartete Folgen gehabt: man brachte ihn mit der Verständigung zwischen Cavour und Louis Napoleon gegen Oesterreich zusammen. Daß sein Gelingen uns den Krieg von 1870 und 1871 erspart haben würde, läßt sich nicht sagen. Es mag aber wohl Manchem so scheinen, der sich in solchen Dingen mit Möglichkeiten herumschlägt. Durch Cavour’s Eintreten in die Manin’sche Politik und durch sein Heranziehen des bonapartischen Frankreich zu italienischen Zwecken, was auch Orsini’s Brief an Louis Napoleon nach dem Bombardement gewollt hatte, wurde nun Mazzini’s Politik so stark angegriffen, daß er in seinem Journal förmlich gegen eine Verbindung mit dem Imperator protestirte und viele Unterschriften zu dem Proteste sammelte.

So läuft nun einmal die Welt, daß die drei Weltverbesserer Mazzini, Orsini und Robert Owen nicht unmittelbar ihre Zwecke erreichten, indem sie diese aber „den überlebenden Geistern“ hinterließen, merkwürdig auf die Neugestaltung der Menschheit einwirkten.

Es ist, als wär’ es etwas längst Vergangenes, was sich an diese drei Namen knüpft, und doch ist es erst von gestern.

Friede sei mit ihrer Asche!


  1. Für diejenigen unserer Leser, welchen Robert Owen keine so bekannte Persönlichkeit ist, wie Freund Ruge voraussetzt, bemerken wir Folgendes. Dieser englische „Verbesserer des Looses der Arbeiter“ war von Haus aus arm, kam als Schwiegersohn eines reichen Manufacturisten zu dem Betrieb einer großen Baumwollenspinnerei zu New-Lanark in Schottland und wurde dort zuerst durch den Anblick der jammervollen Verkommenheit der gesammten Arbeiterbevölkerung von dem Gedanken ergriffen, zunächst an dieser den Segen der Wohlthätigkeit und Bildung zu erproben. Als ihm dies nach wenigen Jahren gelungen war, beschloß er, als Reformator des gesellschaftlichen Elends überhaupt aufzutreten. Sein eigenes Vermögen betrug über eine halbe Million Pfund Sterling. Dies und alle seine Arbeitskraft opferte er seinem hochherzigen Plan durch Anlegung von Schulen und Kinderbewahranstalten, Werkstätten und Colonien mit möglichst communistischer Einrichtung, erst in Großbritannien, dann, als Geistlichkeit und Regierung ihm den Weg vertraten, in Nordamerika und Mexico. In zahlreichen Schriften streute er seine Lehren aus und verfocht sie in großen Volksversammlungen, aber das Glück von Lanark hat sich für ihn nicht wiederholt. Am nachhaltigsten blieb sein Wirken für den sogenannten Chartismus, die Arbeiterbewegung in England zur Erlangung einer Volkskarte gegenüber der „Magna charta“ des Adels, eine Bewegung, aus welcher all die mächtigen Arbeiterbestrebungen hervorgingen, durch welche, vor der Hand noch meist friedlich, eine Umgestaltung der politischen und gesellschaftlichen Zustände der Zukunft angebahnt wird.
    D. Red.




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