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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

und der scheußlichen politischen Wirthschaft im deutschen Reich als er selbst? Da ist mir als Knaben schon die Galle gestiegen, und ich denke, ich hab’ auch das Maul manchmal richtig gebraucht.‘

So plauderten wir denn weiter unter den herrlichen Ulmen vor Hecker’s Haus. Da rückte die Zeit der Abreise heran, ein herzlicher Händedruck, und wir schieden mit dem Gefühle ein paar schön verbrachter Stunden, ich zugleich mit der festen Ueberzeugung: Hecker kommt doch bald ’mal herüber!

Ueber meine Fahrt mit Hecker in die Prairie am Indianergebiet, unsere Jagd und Campirung bei einem Indianerhäuptling, El Selzer oder so ähnlich, in welchem Hecker durch das Citat aus einer alten Chronik:

‚Der Württemberger, der Badner und der Pfälzer,
Die schlugen einst den tapfern Selzer‘

einen aus dem Elsaß, ich glaube Straßburg, stammenden Deutschen urgroßväterlicher Seite her entdeckte, und seinem Töchterlein Kawasah, die meinen Erzählungen über Deutschland und die Kriegsthaten des letzten Jahres, die Geschichte von der Gefangenschaft des Kaisers der Franzosen, des Häuptlings der französischen Indianer, und seiner ganzen Armee so andächtig mit den großen Augen lauschte, ein andermal.“

Soweit Freund Witter, dessen hier verheißene weitere Mittheilungen unseren Lesern, schon um noch mehr von Hecker zu hören, gewiß willkommen sein werden. Ihm selbst aber, dem „Alten“, sei es hiermit auch durch die Gartenlaube zugerufen, daß seine Befürchtung, seine Freunde möchten seine Feinde und seine Feinde seine Freunde geworden sein und er wie ein alter Fremdling im neuen Reiche erscheinen, ein Irrthum ist, der mit seinem ersten Schritte auf deutschen Boden verschwinden wird. Die Väter haben ihren Kindern so viel von „dem Hecker“ erzählt, und sein Bild hängt noch in so vielen Bürger- und Bauernstuben neben dem Luther’s und des alten Fritz, daß ihm der herzlichste Empfang gesichert ist. Möge er recht bald die alte Heimath begrüßen, er kann es, nachdem er, als ein neuer Cincinnatus, Schwert und Pflug geführt und den Seinen eine neue Stammburg freier Menschen gegründet hat.




Jüdische Frauen vor vierzig Jahren.[1]


Schon in meiner Knabenzeit unterschieden sich die älteren Frauen meiner Heimath sehr bedeutend von den jüngern nicht nur in Bezug auf Bildung, sondern auch in der äußeren Ankündigung. Jene trugen ein ganz eigenthümliches, halb orientalisches, halb russisches Costüm. Dasselbe bestand aus einem Kleide von schwerem Brocat und aus einem Kopfputz, dem „Geschleier“, einer goldenen Kappe mit einer breiten goldenen Stirnbinde, deren beide Enden kreuzweise über den Rücken fielen. Einige trugen auch den „Perlenbund“, der dem Kakoschnik, dem bekannten russischen, sehr kleidsamen Kopfschmuck, ähnlich und mit Perlen und Diamanten reich verziert war. Die jüngere Generation kleidete sich bereits deutsch, ohne darum auf den Juwelenschmuck zu verzichten. Die Hälfte ihres Vermögens hatten die Juden damals in Kleinodien stecken. Die Mitgift bestand fast zur Hälfte aus Goldschmuck und Edelsteinen, und mit dem zunehmenden Wohlstande ward auch der Schatz dieser Kostbarkeiten vergrößert. Selbst eine Frau aus dem Mittelstande trug ihre Perlenschnüre und hatte im Hause einen beträchtlichen Vorrath an Silberzeug. Dies ist aber nicht blos der Eitelkeit zuzuschreiben; sondern es hatte seinen Grund zum Theil in den Gefahren, denen bisher das Eigenthum der Juden ausgesetzt gewesen. Der Jude, der früher kein Grundeigenthum erwerben durfte und oft genug von der Habgier großer und kleiner Fürsten gebrandschatzt wurde, konnte wenigstens den Theil seines Vermögens, den er in Geschmeiden besaß, leicht vor der Raubsucht seiner Verfolger retten, wenn er zur Flucht genöthigt war. Mit der verbesserten Stellung der Juden verlor sich auch die Last an solch todtem Capital.

Die älteren Frauen der damaligen Zeit schlossen sich ebenso wie die Männer vor der nahenden Aufklärung ab, und die jüngern, die sich dieser Aufklärung sehr zugänglich zeigten, vermieden doch Alles, was die ehrwürdigen Matronen in deren Glaubensstarrheit hätte verletzen können. Sie wurden überhaupt mit einer unbeschreiblichen Hochachtung behandelt, nicht blos von der heranwachsenden weiblichen Generation, sondern auch von den Männern und zwar von den hervorragendsten und gelehrtesten. An den Sonnabenden und Festtagen, vor einer Reise und bei der Rückkehr von derselben drängte man sich herbei, um ihren Segen zu empfangen, und sie spendeten ihn mit einer schwer zu schildernden feierlichen Sammlung. Sie waren nach ihrer Weise gut unterrichtet; denn sie verstanden nicht allein die hebräischen Gebete, sondern auch die Bibel, und Viele von ihnen, wie z. B. meine Großmutter väterlicher Seits, citirte im Gespräche zahlreiche Bibelverse und Sprüche jüdischer Gelehrten und schrieb dieselben auch ohne orthographische Fehler. Sie ließen es auch nicht bei frommen Worten bewenden, sondern übten die Wohlthätigkeit als eine heilige Pflicht und übten sie im Stillen. Wo ihre eigenen Kräfte nicht ausreichten, nahmen sie die Kräfte Anderer in Anspruch und scheuten keine Mühe, keine Entsagung, wenn es galt, den Bedrängten Hülfe zu spenden, den Kranken die Schmerzen zu erleichtern, den Verfolgten zu ihrem Recht zu verhelfen, den Verleumdeten Genugthuung zu verschaffen. Ihr eifrigstes Streben war den Namen einer Zenoue (fromme Matrone) zu verdienen und ihr Beispiel von Anderen befolgt zu sehen.

Auf Sittenreinheit wurde streng gehalten und eine Verletzung derselben zog der Familie einen ewigen Makel zu. Wenn eine Frau oder ein Mädchen sich verging, so wurde dies fast als ein Nationalunglück betrachtet. Solche Fälle kamen übrigens äußerst selten vor. Ich erinnere mich eines Falles, den ich als Beweis für die Sittenstrenge unter den damaligen Juden anführen will. Eines Sommerabends saß ich, noch ein kleiner Knabe, vor dem Hause meiner Großeltern. Mehrere Nachbarinnen hatten sich vor demselben eingefunden und plauderten mit meiner Mutter und Großmutter. Während dieser Unterhaltung geht eine Frau vorbei, die ich sehr gut kannte, gerade vor sich hinstarrend, Niemand grüßend und von Niemand gegrüßt. Dies fiel mir um so mehr auf, als diese Frau mit den vor unserer Wohnung versammelten Damen bisher auf dem freundschaftlichsten Fuß gestanden. Die Nachbarinnen zischelten nun untereinander und schienen sehr bestürzt. Die Frau war nämlich des Ehebruchs von ihrem Gatten überwiesen worden. Am andern Morgen fand man die Leiche im Stadtgraben. Durch Selbstmord hatte die Unglückliche die Schmach gesühnt, die ihr das Leben unerträglich machte.

Die Keuschheit wurde bei den Frauen nicht nur durch die strenge Erziehung, durch die frommen Lehren der Eltern, sondern auch dadurch erhalten, daß die Mädchen im fünfzehnten oder im sechszehnten Jahre in die Ehe traten, ja nicht selten schon im vierzehnten Jahre. Der Gatte war nicht viel älter. Bei diesen Bündnissen spielte die Leidenschaft keine Rolle. Amor arbeitete Hymen nicht in die Hände. Die Eltern entschieden, und die Kinder fügten sich dem Willen der Eltern. Daß unter solchen Verhältnissen die Ehen nicht immer glücklich waren, versteht sich von selbst; doch waren die entschieden unglücklichen ziemlich selten. Die Ehen beruhten auf gegenseitiger Duldung und erhielten eine besondere Stütze durch die tief eingeprägten religiösen Grundsätze. Ein Sturm in der Ehe wurde von den Schwiegereltern oder sonstigen Verwandten beschworen. Nahmen die Zwistigkeiten einen bedenklicheren Charakter an, so wandte sich das Paar an einen ehrwürdigen Rabbi oder an den Rabbiner der Stadt, und der fromme Mann suchte durch seine Ermahnungen den Frieden wieder herzustellen.

Die Rabbiner erfreuten sich eines unbedingten Vertrauens und verdienten dasselbe auch im höchsten Grade. Sie waren keine heuchlerische Pfaffen, welche die Armen und Bedrängten auf das ewige Leben vertrösten, während sie sich selbst das irdische Leben so angenehm wie möglich zu machen suchen und sich runde Bäuche anmästen. Ihr Leben war eine fortgesetzte Selbstopferung. Die Achtung, die man vor dem Rabbiner hegte, galt ihm, seiner Person, nicht seinem Stande. Unter den Juden giebt es überhaupt

  1. Eine Probe aus dem in einigen Tagen erscheinenden Buche von Ludwig Kalisch: „Bilder aus meiner Knabenzeit“, welches äußerst interessante und, wie aus obiger Skizze hervorgeht, auch sehr liebenswürdig geschriebene Schilderungen aus dem altjüdischen Leben enthält.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_392.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2018)