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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Tochter, einem Mädchen gleich, und – die schaltende waltende Hausfrau, die mich sofort ganz besonders interessirte durch den anheimelnden Mannheimer feinen Frauenaccent und die eigenthümlich aristokratische Reserve bei allem freundlichen Entgegenkommen.

Ihr könnt Euch denken, daß wir einen sehr vergnügten Abend verbrachten und natürlich viel von Deutschland sprachen. Ich pries unsere jetzigen Zustände, unsere herrlichen Errungenschaften des letzten Krieges und gab der sympathischen Haltung der deutschen Bevölkerung Amerikas bezüglich der letzten Ereignisse freudigen Ausdruck, hervorhebend, wie gerade Hecker’s geistiges Eingreifen in Deutschlands politisches Leben durch seine gepfefferten Briefe etc. seit 1866 von großer Wichtigkeit gewesen, wie größere Zersplitterung

Friedrich Hecker,
aufgenommen in seinem sechzigsten Lebensjahre.

der liberalen Parteien dadurch vermieden worden, daß Hecker sich sofort auf den entschieden nationalen Standpunkt gestellt habe, und wie er durch seine Friedensrede, die in alle Zeitungen Deutschlands übergegangen sei, die Herzen des Volkes von Neuem erobert habe. Dabei lud ich ihn ein, einmal hinüberzukommen und sich die Herrlichkeiten des deutschen Reiches jetzt anzusehen, des herzlichsten Willkommens von allen Seiten könne er versichert sein.

Hecker hörte mich ruhig an, dann sprach er etwas nachdenklich:

‚Lieber Witter, was soll ich drüben bei Euch thun? – Meine Freunde sind meine Feinde geworden und meine Feinde meine Freunde. Dann bin ich jetzt ein alter Knabe und habe meine Sorgen, kann nicht selbst mehr die Bäume ausreißen und meinen Acker pflügen und mein Korn einheimsen. Mit fremden Kräften aber wird’s zu theuer. Zudem heirathen die Jungen, da muß ich den Kopf zusammen nehmen und weiter sorgen, hab’ also keine Zeit.‘

Als ich erwiderte, daß seine Arbeit in Deutschland jetzt auch bezahlt werden könnte, wir hatten ja heidenmäßig viel Geld, lachte er und sagte:

‚Ja, ja, weiß schon, daß Bismarck auch Schurz bat, in Deutschland zu bleiben, indem er auf seine alten vergilbten Geheimräthe hinweisend äußerte: ‚Was soll ich mit den alten Bureaukraten fertig kriegen? ich brauche frische Kräfte, so wie Sie.‘ Aber ich,‘ fuhr Hecker fort, ‚ich passe nicht mehr für Deutschland, ich kann keine Bücklinge machen und bin die Luft der Freiheit gewöhnt.‘ Mit einem sarkastischen Lächeln um seine Lippen und in energischem Tone setzte er hinzu: ‚Ich war einmal der Mephisto der Monarchie und will es bleiben. Hütet Euch draußen, Ihr Gefühlspolitiker, daß eine Reaction Euch nicht wieder um Vieles bringt, in dem Preußen steckt hie und da noch eine verdammte Adelsclique, die mit den Pfaffen Hand in Hand Alles fähig ist. Seid auf der Wacht und traut nicht zu viel. In Süddeutschland ist durch lange constitutionelle Arbeit das Feudalwesen beseitigt, aber im Norden steckt’s stellenweis’ noch dick –‘

‚Aber, lieber Kerle,‘ fiel der alte Lingenau ein, sieh ’mal, Ostpreußen und das Rheinland haben doch stets die Fahne der Freiheit in Preußen hochzuhalten gesucht!‘

Da hättet Ihr sehen sollen, wie in drei Gängen dieser polemischen Mensur der gute Lingenau von Hecker verhauen wurde, ganz ‚Götz von Berlichingen‘ schlug er drauf los, das wir schließlich in lautes Halloh ausbrachen, und beim Becherklange, gefüllt mit ganz gutem Concordwein, Hecker’s eigenem Gewächs, brachten wir dem alten Kämpen ein donnerndes Hoch.

Es war spät geworden, als wir das Lager aufsuchten, das ich ganz comfortable fand. Beim ersten Strahl der Sonne hatte ich mit Freund Weigel die Flinte ergriffen, wir gingen jagen mit Hecker’s Söhnen auf der ziemlich weitausgedehnten Farm von wohl hundert Morgen; da gab es Rabbits (den amerikanischen Hasen), Quails (eine kleine Sorte Feldhuhn), wilde Tauben und allerlei Gevögel in Masse, auch Squirrel (unser Eichhörnchen), das eine Delicatesse ist, und wir zogen ziemlich beutebeladen heim. Weitere Freunde von Belleville Springfield waren gekommen, uns schmeckte der Frühschoppen und in der heitersten Stimmung setzten wir uns zu Tisch.

Im belebten Gespräche wäre fast der feierliche Moment der Geburtstagsgratulation vorübergegangen, als ich mich aus Anlaß eines gelinden Rippenstoßes von Freund Weigel erhob und im selben Augenblick Hecker sagte: ‚Ich glaube gar, er hält a speech (eine Rede).‘ Und sie kam wirklich und ungefähr so:

‚Mir ist’s, als sei es kein Zufall, sondern fast ein Auftrag vom Genius des deutschen Volkes, jetzt nach glorreich erfochtenen Siegen und erreichtem Ziele heißer Strebungen der Besten unseres Volkes Gefühle der Dankbarkeit in diesen fernen Westen, in diese traute Heimlichkeit zu tragen und dem Manne zu übermitteln, der durch die politische Thätigkeit seines Lebens und besonders des Jahres 1848 einen nicht geringen Antheil hat an den heutigen Errungenschaften. Ich bringe Hecker zu seinem sechzigjährigen Geburtstage die Glückwünsche und den Dank des deutschen Volkes dar für sein edles patriotisches Wirken zur Herstellung eines einigen großen freien Deutschlands. Er hat das Schwert des Geistes und des Eisens geschwungen zum Wohle seines alten Vaterlandes und hat geblutet für die heiligsten Interessen der Menschheit in seinem zweiten Heimathlande Amerika zur Ehre und zum Ruhme des deutschen Namens in diesem Lande. Von sich gewiesen hat er jede Pfründestelle, treu und makellos ist sein Charakter, in schwerer Arbeit hat er sein Brod gebaut und aus eigener Kraft und mit reger Hand aus der Wildniß sich eine blühende Farm geschaffen. Laßt uns, Freunde, ihm, unserem Hecker, dem wackeren Kämpen, dem Jubilar ein Hoch bringen und seinem trefflichen Weibe, das ihm als sein guter Geist zur Seite steht.‘ Und so geschah es.

‚Ja,‘ antwortete Hecker sichtlich gerührt, ‚ich liebe mein altes Vaterland, ja ich bin gewissermaßen Pangermane, grüßen Sie mir herzlichst mein Deutschland! Aber auch heiß lieb’ ich dies Land der Freiheit. Die Schäden der Corruption heilen sich da aus, aber Euren Bureaukratismus kriegt Ihr nicht so bald los. Ihr seht,‘ fuhr er lächelnd fort, ‚ich bin noch immer der alte Raisonneur. Mein Alter hat mir immer gesagt: ‚Junge, wo hast Du denn nur das lose Maul her?‘ Ich wußte es wohl, woher; wer hatte mir denn immer vorerzählt von dem Bundestag

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_391.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)