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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Ein Volkstribun von Achtundvierzig.


Durch alle Zeitungen läuft heute die Nachricht, daß unter den zahlreichen amerikanischen Festwallern zum großen Schützentag in Hannover auch Friedrich Hecker sein werde. Und seltsamer Weise ist gerade der heutige Tag geeignet, das Andenken an ihn ganz besonders aufzufrischen. Denn am 23. Mai vor siebenundzwanzig Jahren war es, wo ein Junger und ein Alter, zwei süddeutsche Vorfechter deutscher Volksfreiheit und Nationalehre, aus Berlin, das sie als geehrte Gäste besucht hatten, und aus dem gesammten preußischen Staate ausgewiesen worden sind. Der Alte genoß bereits des bewährten Rufs eines treuen und unerschrockenen Volksmannes, dem Jüngeren, der bis Dato nur in dem engeren Kreise seines Heimathlandes die Schlagfertigkeit seines Geistes geübt, verhalf jene Ausweisung plötzlich in ganz Deutschland zu derselben Auszeichnung. Der Alte war Johann Adam v. Itzstein, der Junge war eben Friedrich Hecker.

Als populärer Mann damals in die Heimath zurückgekehrt, mußte er dennoch bald genug Spott und Hohn ernten, als er bei der Theuerung im Jahre 1846 den Vorschlag machte, daß jeder Wohlhabende eine Anzahl brodloser und darbender Arbeiter an seinen Tisch nehmen sollte. Dieser Hohn und fruchtlose Kämpfe in der Kammer, deren Mitglied er seit 1842 war, bestimmten ihn, Anfangs des nächsten Jahres sein Mandat niederzulegen und durch eine Reise nach Algier sich der heimathlichen Unbill zu entziehen

Das kommende Jahr brachte die Februar-Revolution und die Entscheidung seines ganzen Lebensschicksals. Hecker eilte nach Karlsruhe, wohin Tausende zogen, und hier war es, wo am stürmischen ersten März seiner zauberhaft wirkenden Beredsamkeit allein es gelang, die Volksmassen von rohen Excessen abzuhalten.

Im Vorparlament sprach er, im Verein mit Struve, schon ungescheut die allerradicalsten Gesinnungen aus. Als man aber hier seinen Antrag: „Das Vorparlament möge sich in Permanenz erklären“ – ein Antrag, dessen Annahme allerdings der deutschen Erhebung wohl einen anderen Charakter verliehen haben würde – zurückwies und als er sogar bei der Wahl des Fünfziger-Ausschusses durchfiel, zog er sich scheinbar von der ganzen Bewegung zurück. – Aber schon am 12. April rief er in Constanz das Volk zum Kampf für eine Freistaatsverfassung auf, die allein in Deutschland dauernd gedeihen könne. Sofort ging’s an die Bewaffnung. Drei Züge unter der Führung von Struve, Sigel und Weißhaar bildeten das kleine Freicorps, mit welchem er am 20. April vor Kandern den badischen Truppen unter dem Generallieutenant Friedrich v. Gagern in Schlachtordnung gegenüberstand. Es erfolgte nun jene auch in Bildern verewigte Unterredung Hecker’s und Gagern’s auf der Brücke von Kandern, die zu keinem Resultat führte, aber nach welcher durch mehrere Schüsse aus dem nahen Walde der General und sein Adjutant tödtlich verwundet wurden. Hecker hatte keinen Antheil an diesem Frevel, aber die Strafe dafür traf ihn mit. Nach kurzem Gefecht wurde die Freischaar zersprengt und Hecker mußte den Heimathboden fliehen; er ging in die Schweiz und, als auch der badische Landtag und das Parlament ihn als Hochverräther behandelten, nach Amerika. Auf seiner Farm in Albany erhielt er die Kunde des pfälzisch-badischen Aufstands von 1849; er eilte mit einer kleinen Schaar amerikanischer Officiere nach Europa zurück und kam in Straßburg an, als es in Baden eben aus war. So schied er abermals von der alten Heimath und baute sein Feld auf dem Boden der neuen. Noch lange blieb er der Abgott namentlich der Volksmassen; keine Volksversammlung, keine Fahnenweihe verging, ohne daß sein Hoch ausgebracht worden wäre, und selbst als die Menschen alt geworden und die Zeit eine neue, endlich sogar mit dem neuen deutschen Reich, ist Hecker’s Name keineswegs mit dem „Heckerhut“ und dem „Heckerlied“ aus dem Gedächtniß der Deutschen verschwunden, ja er erneuerte selbst sein Andenken durch seine geharnischten Worte gegen jedes particularistische und antinationale Streben in Deutschland. Und so haben neue Tausende ihm die Herzen zugewandt, und wohl Keiner ohne den Wunsch, den alten Kämpfer einmal wiederzusehen.

Vor der Hand führen wir ihn unseren Lesern wenigstens in seinem Bildniß vor, für dessen vollkommene Aehnlichkeit der durch seine Festrede beim jüngsten „Hambacher Feste“ in weiteren Kreisen bekannt gewordene Buchhändler Eduard Witter in Neustadt an der Haardt eintritt, welcher im vorigen Jahre Amerika bereiste und Hecker’s Gast war.

An einem traulichen Abend der letzten Meßzeit erfreute Freund Witter uns mit einer so lebhaften Schilderung dieses Besuchs bei Hecker, daß wir ihn baten, die Weiterverbreitung derselben in der Gartenlaube zu gestatten; diese folgt hiermit, und mit seiner Hülfe wörtlich.

„Ich hatte,“ begann er, „von Haus aus die Absicht, den alten braven Patrioten aufzusuchen, und dazu fand sich bald die schönste Veranlassung. Dr. Weigel, der alte wackere Pfälzer, auch ein Achtundvierziger, der mit Hecker dem Vaterlande Valet sagen mußte, mit ihm auf amerikanischem Boden landete und auch gemeinsam mit ihm in den amerikanischen Krieg zog, lud mich ein, Hecker’s sechszigjährigen Geburtstag auf seiner Farm bei Summerfield mitzufeiern. Es ist bekanntlich der achtundzwanzigste September. Eine kleine Zahl vertrautester Freunde Hecker’s von St. Louis verabredete den Ausflug zur Ueberraschung des ‚Alten‘, und so zogen wir schon am Vorabend, der alte Weigel, sein Sohn, der Unterstaatssecretär von Missouri ist und dem im Kriege eine Kanonenkugel das Roß unter’m Leibe weggerissen hatte, der alte Lingenau, eine in der Union bekannte volksagitatorische Persönlichkeit, und Uhlenhut, ein tapferer Kämpfer im Rebellenkrieg, den Mississippi kreuzend, auf der Ostseite von St. Louis zur Bahnstation. Es war ein wundervoller September-Nachmittag und unsere Fahrt von circa zwei Stunden Eisenbahnzeit ausgezeichnet. Wir fuhren vorbei an den reichsten Kohlenlagern der Welt, die da fast zu Tage liegen, den Waldhöhen (Blufftons) zu gen Lebanon, einem reizend auf einer Anhöhe gelegenen Städtchen, meist von Deutschen bewohnt, wie dieser ganze Strich von Illinois, nach Station Summerfield. Nach einer kurzen Rast machten wir uns auf, um zu Wagen die nahe Farm zu erreichen. Es war eine angenehme Fahrt von circa dreiviertel Stunden, rechts und links im Walde lag heimlich ein Farmhaus um’s andere, wir passirten ein' paar seichte Bäche, eine kleine Stätte des ewigen Friedens, dann kam ein schöner Wald – wir waren bereits auf Hecker’s Grund und Boden angekommen, fuhren aber noch eine ziemliche Weile und bogen dann rechts ab. Meine Neugierde wuchs mit jeder Minute, da blickte zwischen üppigen Welschkornfeldern, Obstbäumen und Rebgeländen ein kleines Ziegeldach, es war Hecker’s Freiherrnsitz. Die starken Rosse wurden rascher angetrieben, ein Peitschenknall, ein kräftiges Hurrah erschallte, das hölzerne Thor öffnete sich, wir waren angekommen.

Meine Blicke spähten nach allen Seiten, da erschallte ein heiteres Halloh zum Fenster heraus und ein herzliches ‚Grüß Gott‘, es war der alte Hecker. Ich muß gestehen, ich war selten so begierig auf eine Persönlichkeit wie die Hecker’s gewesen. Wie er jetzt wohl aussehen mag? – Diese Frage kam mir nicht aus dem Sinn, und niemals bin ich angenehmer überrascht gewesen. Vor mir stand eine kräftige edle Mannesgestalt in aufrechter gerader Haltung und leichter gewandter Beweglichkeit, mit einem prächtigen Kopf, gesunden gebräunten Antlitzes, die alte Adlernase sitzt noch kühn im Gesicht und aus den großen blauen Augen leuchtet noch die alte deutsche Ehrlichkeit und blitzt noch die alte Energie. Ist der volle schöne Bart der achtundvierziger Erinnerung auch verschwunden und einem gebleichten Knebelbarte gewichen, so dünkt es mir, als sei dies eine diesem Kopfe vortheilhafte Veränderung, der energische Ausdruck des Gesichts tritt dadurch besser hervor und zeigt in einem Bilde die ganze brave, treue, deutsche Seele. Auch sein ‚Gewandl‘ verdiente Beachtung, denn unter dem kurzen Haus-, Jagd- und Feldrock sahen ein Paar so urkräftiger Beinkleider hervor, daß wohl Alles daran, Stoff, Schnitt und Naht, hausgemacht ist, und auf dem Haupte saß ein Heckerhut, wie er im Buche steht, augenscheinlich noch ein Revolutionsalterthum. Ich hatte mich rasch selbst vorgestellt mit noch einem Freund aus Baden, worauf er uns herzlich die Hände schüttelte.

Wir traten ein in’s Haus, das stets der Gastfreundschaft geöffnet ist, fanden da Hecker’s Söhne versammelt, kräftige Gestalten mit gebräunten Gesichtern, von denen der eine verheirathet ist und in der Nähe Hecker’s eine eigene Farm besitzt, eine verheirathete

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_390.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)