Seite:Die Gartenlaube (1872) 370.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

„Meine Beweise sind ziemlich einfache und ziemlich klare,“ antwortete Max; „ich will sie Ihnen darlegen, denn sie vor allen Anderen gerade Ihnen anzuvertrauen habe ich meine Gründe. Hoffentlich auch werde ich sie Niemand in der Welt sonst anzuvertrauen brauchen! Als mein Großvater starb, hinterließ er ein ansehnliches Vermögen, einen bedeutenden Grundbesitz, der als Majorat auf seinen ältesten Sohn, meinen Vater überging; dazu einen sehr werthvollen Familienschmuck, die Diamanten, welche meine Großmutter getragen hatte, und die auf die junge Frau meines Vaters übergehen sollten. Sie hatten einen hohen, einen für unsere Verhältnisse unverhältnißmäßig hohen Werth, diese Diamanten – mehrere Generationen hatten ihre Ersparnisse darin angelegt, denn in jenen früheren Tagen konnte man erübrigte Summen nicht in Staatspapieren anlegen, weil es deren sehr wenig gab; nicht in Hypotheken, denn der Landbesitz war in den Händen wohlhabender und sparsam lebender Grundherren oder von Leibeigenen, denen es verwehrt war, Schulden zu machen; die Verbindungen mit größeren Städten und Mittelpunkten geschäftlicher Thätigkeit, die Banken und Sparcassen fehlten – so legte man den Ueberschuß reichlicher Ernten bald in schwerem Silbergeräth, bald in Diamanten zur Vermehrung des Familienschmucks, der zum Majorat gehörte, an. Die unseres Hauses mochten einen Werth von vierzig- bis fünfzigtausend Thalern nach damaligen Preisen haben …“

„Nun, diese Diamanten?“ rief Gaston ungeduldig aus. „Kommen Sie zur Sache!“

„Diese Diamanten waren verschwunden, als mein Vater seine Erbschaft antrat. Aber keineswegs auf eine irgend räthselhafte Weise. Sie waren verschwunden mit dem jüngeren Bruder meines Vaters, der mir als ein wilder, leidenschaftlicher, rechthaberischer junger Mensch geschildert worden ist, bestimmt für die Militärlaufbahn, nach einigen Jahren des Dienstes wegen eines Zerwürfnisses mit seinem Vorgesetzten aus der Armee entlassen, und damals, als mein Großvater starb, beschäftigungslos im elterlichen Hause. Er war verschwunden wie der Schmuck – daß er sich desselben bemächtigt, konnte nicht in Zweifel gezogen werden, er hatte es selbst in einem Briefe, den er meinem Vater hinterlassen, eingestanden. Dieser Brief war kurz, zornig, voll Beleidigungen für meinen Vater. ‚Das Recht, oder besser ein verruchtes Unrecht,‘ hatte er geschrieben, ‚giebt Dir Alles – Haus und Hof, Wiese und Acker, Alles bis auf das letzte Blatt am letzten Zweige unserer Wälder. Und mir nichts, als die Erlaubniß, unter Deinem Dach von einer schmalen Rente zu leben und mein Lebensglück im Gedeihen Deiner Race zu finden. Mögen unsere Vorfahren, die es so eingerichtet haben, dafür in der Hölle bestraft werden – freilich eine schlechte Genugthuung für mich! Ich nehme mir eine bessere. Ich lasse Dir Grund und Boden und Alles – den weitaus reichsten Theil der Erbschaft des alten Mannes, der mein Vater so gut war wie der Deine – und dagegen nehme ich den Schmuck an mich; ich werde mir damit ein Leben zu gründen wissen, was mir besser behagt und ehrenhafter scheint, als das, welches mir Deine Gnade in Aussicht stellt. Wenn Du den Muth hast, laß Deinen Bruder durch Steckbriefe als Dieb verfolgen – ich werde dafür sorgen, daß es Dir nicht viel nützt!‘ So ungefähr lautete dieser Brief, der noch heute in meinem Besitz ist.“

„Wahrhaftig,“ rief Gaston aus, „Sie können nicht behaupten, daß er ganz und gar unvernünftig war! Und dann – Herr d’Avelon, behaupten Sie, ist dieser – Diamantendieb?“

„Er ist es. D’Avelon ist – Daveland!“

„Ist das, diese Aehnlichkeit der Namen, Ihr ganzer Beweis?“

„Nein. Ich nahm an der Hand Valentinens einen kleinen Ring wahr, einen herzförmigen Diamanten, über dem drei kleine Rubine so angebracht sind, daß das Ganze ein flammendes Herz darstellt; als Kind habe ich mehr als zehn Mal diesen Ring von einer Tante beschreiben hören, die seinen Verlust mehr als alles Andere bedauerte, weil er der Großmutter von irgend einer merkwürdigen Frau, einer vor mehr als hundert Jahren gestorbenen Fürstin, geschenkt war. Ich nahm ferner wahr, daß Herr d’Avelon in die äußerste Bestürzung gerieth, als er zuerst meinen Namen auf meiner Karte las; um mir diese Bestürzung zu verbergen, erhob er sich und zog sich in den Salon zurück; als er wieder erschien, fragte er mit einem Ton, durch den ich trotz aller angenommenen Unbefangenheit die Aufregung zittern hörte, nach meiner Herkunft … und ich eilte, durch eine falsche Angabe ihn zu beruhigen. Ich habe dann auf dem Schreibtisch Valentinens ein von seiner Hand beschriebenes Blatt gesehen – es sind die Schriftzüge jenes Briefes, von dem ich Ihnen erzählte.“

Gaston de Ribeaupierre schwieg eine Weile, dann sagte er mit ironischem Tone, der doch seine innere Bestürzung nicht ganz verbarg: „Ist dies das erste Mal, daß Sie Ihren verschwundenen Oheim entdecken?“

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Daß, wenn Sie auf solche unsichere Indicien hin schließen, Ihre Phantasie sehr thätig sein und Sie ohne Zweifel schon mehr als einmal verführt haben muß, in sehr unschuldigen Leuten Ihren – Diamantendieb zu entdecken!“

„Sie glauben mir nicht?“

„Nein. Aber gesetzt, ich ergäbe mich Ihren mir sehr schwach scheinenden Gründen – gesetzt, Sie hätten Recht – was dann? Würden Sie das thun, wozu Ihr Vater zu edel war, zu hochherzig dachte, zu viel Ehrgefühl besaß? Würden Sie den Oheim verfolgen, der nichts that, als durch eine kühne Handlung ein abscheuliches Unrecht auszugleichen? Würden Sie auf Ihr Recht trotzend von ihm entweder Valentine oder Ihre Diamanten, die er längst nicht mehr besäße, verlangen?“

„Wenn ich dies thun wollte, hätte ich gewiß nicht diese Unterredung mit Ihnen gesucht, Herr von Ribeaupierre. Doch lassen Sie mich fortfahren, denn Sie wissen nicht Alles. Mein Vater dachte, wie Sie ganz richtig voraussetzen, nicht daran, seinen Bruder zu verfolgen. Er übernahm sein Erbe und bewirthschaftete es nach bestem Wissen und Vermögen, jahrelang mit gutem Erfolge, bis eine Reihe unverschuldeter Unglücksfälle ihn traf, die seine Verhältnisse zerrütteten. Ein großer Waldbrand ruinirte seinen Forstbestand, eine einträgliche Zeche ‚ertrank‘, wie der Kunstausdruck ist, er mußte große Summen zu ihrer Wiederherstellung aufbringen – dazu kamen Mißernten, die ungünstige Entscheidung eines alten mit einem Nachbar schwebenden Processes … kurz, mein Vater sah sich endlich zu dem Entschlusse gedrungen, Vortheil von dem Umstande zu ziehen, daß die neuere Gesetzgebung die Abwerfung von den Fesseln der Majorate und Fideicommisse möglich gemacht hat; er bewirkte eine solche Befreiung seines Guts und verkaufte seinen ganzen Besitz, den vielhundertjährigen Besitz unseres Hauses, die Grundlage unserer gesicherten Existenz. Er zog mit Frau und Kindern in eine Stadt und verwandte den Rest seines Vermögens auf die Erziehung von uns Kindern.“

Max machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort: „Ich selbst, der älteste seiner Söhne, bin heute ohne alles Vermögen und lebe von meinem schmalen Gehalt als Staatsdiener. Ich verwalte ein Amt, das ich definitiv zu erhalten hoffe, wenn ich aus diesem Kriege heimgekehrt bin. Hätte mein Oheim nicht die Diamanten meiner Großmutter an sich genommen, so hätte mein Vater mit ihrem Erlös allen Calamitäten die Stirn bieten und uns unseren alten Besitz, unser Stammerbe erhalten können. Sie sehen, die Lage der Dinge hat sich im Laufe der Jahre umgekehrt – der Oheim hat von dem Erlös dessen, was er an sich nahm, dies Gut gekauft, seinen Werth durch gute Bewirthschaftung – vielleicht unter manchen begünstigenden Umständen bedeutend erhöht und – mit einem Wort, er hat Alles, wie einst mein Vater und ich Alles erhalten sollten, und ich habe heute weniger, als damals ihm zufallen sollte!“

„Das ist eine tragische Familiengeschichte,“ sagte Gaston nach einer Pause ernsten Nachdenkens und mit sehr verändertem Ton. „Jetzt, wo Sie mir Alles mitgetheilt haben, kann ich Ihnen meine Theilnahme nicht entziehen, die erhöht wird durch das Vertrauen, welches Sie mir schenken. Was wollen Sie thun?“

„Habe ich Ihnen das nicht gesagt? Ich will weder Herrn d’Avelon noch Valentine erschrecken durch die Enthüllung meiner Entdeckung und meiner Beziehungen zu ihnen. Ich will mich um Valentine bewerben, weil mein Herz sich zu ihr hingezogen fühlt, weil ich nicht mehr hoffen darf ohne sie glücklich werden zu können.“

„Und weil dies der einfachste Weg ist, sich in den Besitz ihres Vermögens zu setzen!“ fiel Gaston ein. „Aber ich, mein Herr, habe Anrechte auf Valentine.“


(Fortsetzung folgt.)


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_370.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)