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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

womit dies gesprochen wurde, ließen Maxens Blut aufwallen, doch bezwang er sich und versetzte ruhig:

„Sie dürfen über unser Hiersein nicht grollen, Herr von Ribeaupierre – wir sind nicht ungerufen, ungeladen gekommen.“

„Darüber ließe sich streiten …“

„Worüber nicht, wenn man den Streit wünscht? … Doch unterläßt man ihn, wenn man sich auf neutralem Boden begegnet.“

„Der neutrale Boden muß von beiden Seiten anerkannt sein; die eine Partei hat nicht das Recht, ihn zu bestimmen!“

Gaston von Ribeaupierre hatte bei diesen Erwiderungen denselben scharfen, verächtlichen und herausfordernden Ton beibehalten. Max hatte den Streit mit ihm vorausgesehen, aber er war nicht gefaßt auf ein so beschleunigtes Herbeiziehen desselben, wie es Gaston offenbar beabsichtigte. Er blickte einen Augenblick wie zerstreut in das erhitzte Gesicht des jungen Mannes, der ihn, ohne es zu ahnen, so plötzlich vor eine schwer wiegende und Ausschlag gebende Entscheidung stellte. Aber da es einmal so war, da er Gaston nicht ohne Erwiderung lassen konnte, faßte er rasch seinen Entschluß und versetzte mit ernst zurückweisendem Tone:

„Den neutralen Boden bestimmt schon die gute Sitte.“

„Die deutsche Sitte kann uns nicht maßgebend sein,“ fiel Gaston zornig ein.

„Gewiß da, wo die französische nicht auszureichen scheint.“

„Finden Sie etwas an dieser auszusetzen?“

„An dieser viel weniger als heute am französischen Wetter, das uns hindert, zusammen den projectirten kleinen Ausflug zu machen – wenigstens halten die Damen es für zu regendrohend und feucht dazu. Wenn Sie vielleicht meinen Wegweiser machen wollten, Herr von Ribeaupierre …“

Gaston, der Max augenblicklich zu verstehen schien, fiel rasch ein:

„Wenigstens könnten wir zusammengehen, den Weg zu recognosciren, ob er in der That so schlimm ist, wie die Damen fürchten …“

Damit wandte er sich sofort der Glasthür, die auf die Terrasse führte, zu, und Max folgte ihm. Herr d’Avelon sah ihnen ein wenig betroffen nach, wie sie so schnell von seiner Seite verschwanden, bis Valentine rasch auf ihn zueilte und ihm ängstlich zuflüsterte: „Folge ihnen, ich bitte Dich, folge ihnen!“

„Ah – Du glaubst doch nicht …?“

„Mein Gott, Gaston ist so jähzornig und haßt die Deutschen so – Du weißt das ja – er hat mir eben eine schöne Scene gemacht, daß er den deutschen Officier hier wieder treffen müsse.“

„Aber wenn ich doch den Deutschen, der mir nun einmal gefällt, eingeladen habe …?“

„Ich bitte Dich, verliere keine Zeit, geh’ und trenne sie!“

Herr d’Avelon suchte nach seinem Hute, den ihm Miß Ellen schon entgegenbrachte – auch ihre Züge zeigten eine lebhafte Sorge, und so eilte denn Herr d’Avelon hinaus. Als er jedoch auf die Terrasse gekommen war, hatten die beiden jungen Männer, die außerordentlich rasch gegangen sein mußten, sie schon verlassen; sie verschwanden eben um die Ecke des Hauses. Ihnen nachschreitend, sah Herr d’Avelon sie quer über den Hof dem nach Süden liegenden Thore zugehen, von dem aus der Weg zwischen Hecken sich die nächste Höhe hinanzog. Herr d’Avelon rief, aber sie schienen geflissentlich seine Stimme zu überhören und dadurch nur gespornt zu werden, ihre Schritte zu beschleunigen.

„So laß sie gehen, zum Teufel, wenn sie wollen!“ sagte sich d’Avelon. „Ich kann sie nicht hüten wie eine Bonne ein paar Kinder; wenn sie sich die Hälse brechen wollen, würden sie auch ohnehin bald genug einen Augenblick dazu finden, sich unter vier Augen diesen Wunsch auszudrücken!“

So ging er zurück, zunächst um nach seinen vorhin abgeschirrten Pferden im Stalle zu sehen.

Als Max und Gaston das Hofthor durchschritten, sagte Jener:

„Ich weiß sehr gut, Herr Ribeaupierre, daß Sie beabsichtigen, mir durch eine Herausforderung die Rückkehr nach der Ferme des Auges unmöglich zu machen. Lassen Sie mich Ihnen vor Allem die Erklärung geben, daß Sie dies nicht erreichen würden – ich würde dennoch zurückkommen.“

„In der That – Sie besitzen also in einem bewundernswürdigen Maße die deutsche Tugend der Zähigkeit, um kein schlimmeres Wort zu gebrauchen.“

„Gebrauchen Sie kein schlimmeres; Sie werden bald selbst einsehen, daß es besser ist, wenn diese Unterredung einen friedlichen Verlauf nimmt. Ich würde gewartet, die Verhältnisse hier genauer zu beobachten gesucht haben, bevor ich eine Auseinandersetzung wie diese mit Ihnen begonnen – Sie zwingen mich schon heute dazu, und so sei’s! Ich glaube, ich wage dabei nichts, denn wenn Sie mich auch als Deutschen, als den Soldaten des Feindes, der auf Ihrem vaterländischen Boden steht, hassen, so hindert das doch nicht, uns einander als vollkommene Ehrenmänner zu betrachten. Wie sehr ich meinerseits das thue, soll Ihnen die vollständig deutsche Offenheit beweisen, womit ich Ihnen etwas anvertraue, was, wenn es je über Ihre Lippen käme, ein großes Unglück über eine Familie bringen würde, gegen welche Sie freilich zu große Verpflichtungen haben, um sie je compromittiren zu können. In der That, Ihr Mangel an Discretion würde eine Infamie sein, und so darf ich reden, ohne Versicherungen von Ihnen zu verlangen.“

„Mein Gott, welche feierliche Einleitung!“ sagte Gaston die Achsel zuckend und doch mit einer gewissen Spannung in Maxens Züge spähend.

„Die Einleitung ist nöthig; die Mittheilung, die ich Ihnen zu machen habe, mag desto kürzer sein, wenn Sie wünschen. Also hören Sie! Ich sagte Ihnen, daß ein vom Zaune gebrochener Streit, ein Duell, mich nicht von hier vertreiben würde. Das ist in der That so; denn ich bin hier, hier in der Ferme des Auges mit gutem Rechte. Die Ferme des Auges gehört mir und Niemand anders. Herr d’Avelon, oder richtiger Herr von Daveland, ist nur mein Verwalter auf derselben und verpflichtet, mir Rechenschaft für jeden Heller, den er davon bezogen, abzulegen. …“

Gaston von Ribeaupierre war stehen geblieben und blickte dem Sprechenden erschrocken, wie einem Wahnwitzigen, in’s Gesicht.

„Es ist so, wie ich Ihnen sage,“ fuhr Max ruhig fort. „Uebrigens glauben Sie nicht, daß ich gekommen bin, um diese Rechenschaft zu fordern. Durchaus nicht; denn Herr d’Avelon ist mein Oheim, der Bruder meines verstorbenen Vaters, und Valentine ist meine Cousine.“

„Ah – immer besser!“ stieß jetzt Gaston ingrimmig hervor – „nur seltsam, daß Herr d’Avelon Gründe zu haben scheint, diese ihm wie aus dem Monde zufallende Vetterschaft nicht anzuerkennen, oder daß Sie Gründe zu haben scheinen, sie ihm gegenüber sehr ängstlich zu verbergen.“

„Solche Gründe habe ich allerdings; sehr dringende Gründe. Ich würde auch nach diesem Orte heute nicht zurückgekehrt sein, wenn meine Cousine nicht einen Eindruck auf mich gemacht hätte, der mir völlig unmöglich macht, nicht einer Gedankenreihe zu folgen, an deren Ende die friedlichste und natürlichste Versöhnung zweier streitenden Interessen steht …“

„Das heißt, Sie wollen sich um ihre Hand bewerben?“

„Ich will es!“

„Pest,“ rief Gaston mit wuthflammenden Zügen aus, „das ist eine merkwürdige Erklärung – ihrem Verlobten gegenüber!“

„Noch sind Sie das nicht – ich weiß, daß Valentine noch nicht eingewilligt hat, Ihnen diesen Namen öffentlich zu geben.“

„Also,“ fuhr Gaston in demselben Tone des Zornes und der Verachtung fort, „Sie wollen auf Ihre Vetterschaft, auf Ihr behauptetes Eigenthumsrecht an dem Vermögen Valentinens gestützt hier auftreten und – wie ein Herr und Gebieter die Hand des jungen Mädchens fordern? Ohne zu fühlen, welch lächerlichen Eindruck mir Ihr so naiv ausgesprochenes Recht auf die Ferme des Auges machen muß, beginnen Sie heute damit, daß Sie mir die Thür weisen … und Ihre deutsche Phantasie unterstützt Sie so glücklich dabei, daß Sie glauben, dieser schöne Kriegsplan, diese Intrigue würde ohne allen weiteren Widerstand gelingen? Womit beweisen Sie vor allen Dingen Ihre seltsame Behauptung von einem Eigenthumsrecht auf das Vermögen des Herrn d’Avelon? Wenn Sie es in der That hätten, würden Sie dies vor allen Anderen ganz heimlich – mir anvertrauen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_369.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)