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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

ein Kampf mit sich selber, ein Ringen mit einem Entschluß lag im Ausdruck seiner Züge. Er schien nicht zu merken, wie langsam sein Pferd schritt.

Auf der Ferme mochte man wegen des Wetters nicht ganz auf den Besuch des deutschen Officiers vorbereitet sein; dieser fand, als er angekommen, die beiden jungen Damen im Salon – Valentine sehr emsig mit Schreiben beschäftigt, Miß Ellen an einem anderen Tische über Rechnungen und Schreibebücher gebeugt: Miß Ellen schien, wie sie die Honneurs machte, auch die Hauswirthschaftsangelegenheiten zu führen. Herr d’Avelon war nach den „Forges“ von Rubrai gegangen, um dort eine Bestellung zu machen – Max vernahm im Laufe des Gesprächs, daß die „Forges“, der große Eisenhammer von Rubrai, zu der Domaine von Givres gehörten, und daß die Domaine von Givres das Eigenthum der Mutter Gaston’s de Ribeaupierre war.

„Sie sind so begierig, das Orakel des alten Druidensee’s zu befragen?“ sagte Valentine Max entgegengehend und ihm wie einem alten Bekannten die Hand reichend – „wir haben gefürchtet, daß das Wetter Sie abhalten würde …“

Sie sah dabei außerordentlich hübsch und verführerisch aus – das Schreiben, schien es, hatte ihre Wangen höher als gewöhnlich geröthet, und es lag, wie sie Max entgegentrat, eine gewisse Befangenheit in ihrem Wesen, die sie doppelt anmuthig machte; das Handausstrecken war wie ein Act dieser Befangenheit, der ihr einen verwunderten, aber nicht wahrgenommenen Blick von Miß Ellen zuzog.

„Es ist einmal ein schlechtes Wetter,“ antwortete Max scherzend, „was uns alle in Ihr Frankreich, und was mich insbesondere nach Ihrer Ferme gebracht hat; und heute gar viel zu schlecht, als daß ich Damen zumuthen dürfte, einen Spaziergang über feuchten Boden, vielleicht über Wiese oder durch Gehölz zu machen – ich hätte das bedenken sollen!

„O nein,“ fiel Valentine ein, „wir sind ganz bereit …“

„Wir warten doch wohl besser eine Weile,“ bemerkte Miß Ellen, „ob nicht, wie ich fürchte, die dunkle Wolke, die eben heranzieht, uns Regen bringt.“

„Wie Sie meinen, Ellen! Um uns die Zeit zu vertreiben, können wir ja unterdeß statt des alten gallischen das deutsche Orakel befragen,“ setzte Valentine mit dem Tone harmloser Neckerei und auf einen Sessel deutend hinzu.

„Mache ich Ihnen den Eindruck eines Orakels?“ entgegnete Max sich setzend.

„Ein wenig thun das alle Männer, wenn sie uns arme Frauen belehren.“

„Doch nur die, welche glauben Frauen belehren zu können – ich gehöre gewiß nicht zu ihnen, sondern zu denen, welche glauben, daß wir das Beste von den Frauen lernen müssen.“

„Und was ist das Beste? – Zu gefallen?“

„O nein, – daran läßt nur der französische Leichtsinn Sie zuerst denken. Mein deutscher Ernst antwortet: Leiden zu können!“

„Das nennen Sie das Beste?“

„Es ist das Nothwendigste wenigstens im Leben. ‚L’art de vivre c’est savoir souffrir‘ hat einer Ihrer Schriftsteller gesagt.“

„Und Männer lernen das nur von den Frauen?“

„Ja, wenn auch die Frauen oft eine sehr kunstlose Methode bei diesem Unterricht anwenden … dieselbe Methode, wonach junge Enten, Schwäne etc. das Schwimmen lernen. Sie werden einfach von der Mutter in’s Wasser geworfen!“

Valentine lachte.

„Das bedarf der Erklärung,“ sagte sie.

„Liegt sie nicht auf der Hand? Ein Mädchen begegnet uns und erweckt eine Leidenschaft in uns – das Leid ist da, und wir müssen nun darin zu schwimmen, in diesem Elemente weiter zu leben verstehen. Glauben wir es nicht zu können, wähnen wir untergehen zu müssen – was hilft’s, kein Gott steht uns bei, wir müssen’s können, und so lernen wir’s denn!“

„Und wissen sehr geistreich darüber zu reden!“ antwortete Valentine ein wenig spöttisch. „Doch dürfen Sie nicht vergessen, daß auch wir Frauen durch die Männer viel lernen und vor allem zuerst, ihren geistreichen Redensarten zu mißtrauen!“

Max antwortete darauf, und die Unterhaltung spann sich in lebhaftester Weise so weiter, mit heiteren und mit ernsten Dingen beschäftigt, aber die beiden jungen Leute ganz merkwürdig fesselnd und belebend, bis ihre Wangen glühten, und bis der Zauber, der in diesem sie elektrisirenden Gedankenaustausch zu liegen schien, den Grund, weshalb Max gekommen, völlig hatte vergessen lassen. Der Spaziergang zur Grotte der Jungfrau wäre freilich auch nicht mehr auszuführen gewesen, denn es begann in der That leise zu regnen. Nach einer Weile wurde das Rollen eines Wagens im Hofe hörbar.

„Der Vater!“ sagte Valentine aufspringend und verließ das Zimmer, um ihm entgegen zu gehen.

„Es wird Herr d’Avelon sein und Valentinens Verlobter, Herr Gaston!“ sagte Miß Ellen, die bisher schweigend und wie mit ihren Rechnungen beschäftigt die jungen Leute beobachtet hatte und jetzt bei dem Worte ‚Verlobter‘ einen scharfen Blick auf Max warf.

Sie hatte die Genugthuung, zu sehen, daß Max bei diesem verhängnißvollen Worte die Farbe wechselte.

„Herr Gaston von Ribeaupierre ist Fräulein Valentine’s Verlobter?“ fragte er, sich zu einem möglichst unbefangenen Tone zwingend.

„So ungefähr,“ versetzte die Miß; „eigentlich sind sie schon als Kinder verlobt, durch die Verhältnisse schon, die Natur der Sache, könnte man sagen; Gaston wird die Domäne von Givres erben, sobald seine Mutter, von der sie herrührt, stirbt; die Ferme des Auges grenzt unmittelbar daran und Herr d’Avelon hat keine anderen Kinder …“

„Ach,“ fiel Max ein, „welche wohl arrangirte Partie; und die Herzen stehen sich so nahe wie die beiderseitigen Gutsgrenzen?“

„Wie sollten sie nicht, da sie fast zusammen aufgewachsen sind – und da sie nicht blos ihr eigenes Glück dadurch begründen, sondern auch das ihrer Eltern – Herr d’Avelon wünscht diese Verbindung ebenso sehr, wie es Frau von Ribeaupierre thut.“

„Aber,“ fragte Max, „weshalb nennen Sie sie ‚so ungefähr‘ Verlobte alsdann?“

„Weil,“ versetzte Miß Ellen mit einiger Zögerung, „Valentine die Marotte hat, sich erst, wenn sie großjährig und also ganz frei ist, verloben zu wollen …“ ’

Max biß sich auf die Lippen und Miß Ellen hätte zu ihrer weiteren Genugthuung wahrnehmen können, daß sich seine Stirn sehr verdüsterte, wenn ihre Aufmerksamkeit nicht durch den Eintritt von Herrn d’Avelon, Valentine und Gaston von Ribeaupierre abgelenkt worden wäre.

Herr d’Avelon bewillkommnete seinen Gast ganz mit derselben Herzlichkeit, womit er ihn gestern entlassen. – Gaston hatte eine sehr steife und gemessene Verbeugung für ihn; in Valentinens Wesen war etwas von Verlegenheit oder von Mißmuth wahrzunehmen. Max bemerkte, während er sich mit dem Hausherrn unterhielt, wie Gaston ihr leise einige Worte zuflüsterte, und beide in eine Fensterbrüstung traten, wo sie eine leis geführte Zwiesprache hatten, die nicht gerade zärtlichen Inhalts schien. Zankten sie sich? Max schien es so – obwohl es eben so gut möglich war, daß Gaston nur Mittheilungen von ernster Natur zu machen hatte; hatte doch auch Herr d’Avelon eine ganze Menge solcher von Givres mitgebracht, Nachrichten vom Kriegsschauplatze, von siegreichen Ausfällen der Pariser wider die Einschließungsarmee, von einem großen Seesieg der französischen Flotte in der Mündung der Elbe, in Folge dessen ganz Hamburg in Flammen stehen sollte; – Max konnte ihm die völlige Unwahrheit alles Dessen klar legen.

„Nun ja, nun ja,“ rief Herr d’Avelon aus, „ich glaube es Ihnen – was wollen Sie, es ist ein Krieg von Männern wider Kinder – dabei müssen sich die Kinder mit Geschichten amüsiren und das ist ihr Trost! Hören Sie es, Gaston,“ rief er diesen heran, „alle diese Nachrichten, die man uns in Givres verbürgte, sind bloße Erfindungen.“

Gaston kam herbei; er sah sehr mißvergnügt aus; die Falte über seiner Stirnwurzel war zusammengezogen; sein ganzes verlebtes Gesicht machte auf Max einen außerordentlich unangenehmen Eindruck. Als d’Avelon ihm, was er von Max gehört, auseinandersetzte, fiel er, wie es schien, doppelt gereizt ein:

„Wenn unsere guten Nachrichten bloße Erfindungen sind, so hat es den Vortheil für uns, daß wir hoffen dürfen, desto länger unsere geehrten Gäste bei uns zu sehen!“

Die boshaft lächelnde Miene und der hämisch ironische Ton,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_368.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)