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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

und Opfer unseres letzten großen Krieges! So giebt man auch hier „dem Volke, was des Volkes, und dem Kaiser, was des Kaisers ist“ – und versöhnt die alte mit der neuen Zeit! –

Dennoch wär’s ein Unrecht, wenn wir nicht einen einzigen Blick auf die reactionäre Jahresfeier des Hambacher Festes im Jahre 1833 werfen wollten.

Zwei Vorgänge hatten die Kluft zwischen den beiden feindlichen Partei-Heerlagern erweitert: die berüchtigten Bundesbeschlüsse vom 28. Juni 1832, welche, schon vor dem Hambacher Feste fertig, jetzt angeblich als Folgen desselben erst veröffentlicht wurden, die constitutionellen Staaten ihrer verfassungsmäßigen Rechte beraubten und die Deutschen vor aller Welt auf das Unwürdigste erniedrigten, und das Frankfurter Attentat am 3. April 1833! – Zu anderen Zeiten würde man diesen Streich patriotischer Verzweiflung zum großen Theil noch unzurechnungsfähiger junger Leute zwar bestraft, aber sicherlich nicht zur Rechtfertigung neuer Unterdrückungsmaßregeln gegen das ganze Volk ausgebeutet haben. Zunächst sollte die Pfalz die Folgen davon spüren.

Die nachfolgenden Thatsachen entnehme ich dem amtlich veröffentlichten „Protocoll des Kreislandraths vom 6. Juli 1833“, und der „Darstellung der blutigen Ereignisse vom Pfingstfeste 1833, auf dem Hambacher Schloßberge, im Dorfe Hambach und in Neustadt an der Haardt. Neustadt 1833“, einer Druckschrift, welche von sämmtlichen Mitgliedern des Neustädter Gemeinderaths unterzeichnet und nirgends widerlegt worden ist.

Schon Mitte Mai erließ die bairische Regierung einige Rescripte, welche das Erstaunen der Pfälzer Bevölkerung erregten. Man befürchtete eine Wiederholung des Hambacher Festes. Da nun aber alle Redner und viele hervorragende Führer jenes Festes, wie Wirth, Siebenpfeiffer, Pfarrer Hochdörfer, Candidat Scharpf, die Advocaten Schüler, Savoye und Geib, Buchdrucker Rost etc., seit Jahr und Tag in Untersuchungshaft schmachteten, so war weder Lust noch Anregung zu einer solchen Feier vorhanden und nirgends ein Aufruf dazu ergangen. Dennoch sprach die oberste Landesbehörde von „bedrohten Punkten“ und traf Anstalten wie gegen die Gefahr eines Aufstandes. Schon am 22. Mai rückten zahlreiche Truppen, Infanterie, Cavallerie und Artillerie in Neustadt ein, die Wohnungen „Verdächtiger“ wurden mit schwerster Einquartierung belastet, Officiere und Gemeine zeigten sich schon da einverstanden in der Mißhandlung von „Civilpersonen“ und schließlich erschienen der General Horn und der Regierungsdirector Fürst Wrede als Militär- und Civilcommissäre in Neustadt.

Nun wollte es der leidige Zufall, daß der Pfingstmontag, an welchem seit unvordenklichen Zeiten die Bewohner Neustadt’s und der umliegenden Ortschaften auf die Hambacher Ruine steigen und dort sich nach Landesart einen guten Tag machen, gerade auf den Siebenundzwanzigsten fiel. Fürst Wrede wurde von den Neustädter Stadträthen hiervon in Kenntniß gesetzt; er beruhigte sie, sprach, es solle Niemand gehindert werden, den Ort zu besuchen, und fügte hinzu: „Gehen Sie hinauf auf das Schloß, seien Sie lustig und vergnügt, nur sorgen Sie, daß kein öffentlicher Zug mit Fahnen und keine Reden stattfinden.“

Trotz dieser friedlichen Zusicherungen fanden die Berggäste die Burg von Soldaten und Gensd’armen besetzt, und schon auf dem Wege hinauf waren sogar Frauen von Soldaten mit den Gewehrkolben mißhandelt worden. Die Besucher durften nur auf der Terrasse Platz nehmen. Es war eben nur die Gewohnheit, die die Leute hier zusammenführte; die Stimmung war schon gedrückt. Da sah man auf einem entfernteren Berge zwei roth-schwarz-goldene Fähnchen plötzlich sich erheben und ebenso rasch wieder verschwinden. Noch heute ist’s unermittelt, ob kindischer Muthwille oder böse Absicht dies Spiel getrieben. Als aber gleich darauf Horn und Wrede nach ihrer Mittagstafel auf dem Schlosse ankamen, erfolgte sofort der Befehl, den Berg von allen Anwesenden mit Gewalt zu säubern.

Und wie geschah dieses! – Es lagen und saßen mehrere Hundert Menschen jeden Alters, und Geschlechts bei ruhiger Unterhaltung in Gruppen umher. Niemand dachte an die geringste Gefahr. Da fielen plötzlich – ohne einen einzigen äußeren Anlaß, ohne daß die Polizei ein Wort der Aufforderung an die Leute gerichtet, ja ohne daß das Militär die gesetzliche dreimalige Warnung vor seinem Einschreiten gegeben – wie absichtlich aus dem Hinterhalte Soldaten und Gensd’armen über die schreckensstarre Menge her. „Sie trieben sie den steilen Berg hinab. Mit den Gewehrkolben, den Säbeln und Bajonneten wurden Männer, Weiber, Jünglinge, Mädchen, Greise und Kinder gräßlich mißhandelt. … Nicht genug, die Menschen von der Spitze des Berges weggetrieben zu haben, verfolgte man sie auch noch den steilen Berg abwärts; die Verfolgten fielen, stürzten in der Eile der Flucht von Felsen zu Felsen; ihre bewaffneten Verfolger blieben ihnen stets auf der Ferse, und wo sie einen Flüchtling erreichten, war er der Kolbenstöße und Bajonnetstiche gewiß.“

Ein Knabe, ein alter Mann, sogar ein Schlafender und ein Sicherheitsgardist wurden lebensgefährlich gestochen. Ein Mann, Peter Heinrich Scharfenberger von Hambach, erhielt über zwanzig Kolbenstöße, vier Hiebwunden in den Arm und in’s Gesicht und zwei Bajonnetstiche; „als er unter diesen Streichen zusammengestürzt war, riß ihn ein Gensd’arm auf und zog ihn mit Gewalt an dem verwundeten Arme den Berg hinab, bis der obere Markknochen aus dem Schultergelenk herausgerissen war; trotz seines erbarmungswürdigen Zustandes wurde er geschlossen in’s Arresthaus gebracht und erst nach zweimal vierundzwanzig Stunden, die er ohne Bett zubringen mußte, wurde ihm ärztliche Hülfe verschafft!“ – Zwei Jünglinge, siebenzehn und vierzehn Jahre alt, wurden von hinten geschossen, ebenso ein Familienvater; Letzterer starb. Zu gleicher Zeit wurde überall im Freien und auf den Straßen von den Soldaten jeder Bürgerliche, dessen sie habhaft werden konnten, mit Ohrfeigen, Faustschlägen, Kolbenstößen, Säbelhieben mißhandelt; ja vor der Hauptwache war eine förmliche Prügelanstalt errichtet, ein Unterofficier leitete die Mißhandlungen und brüllte: die Neustädter Bürger hätten solche Züchtigung verdient. Selbst in Häuser und Höfe drangen die Wüthriche und schlugen, wen sie fanden.

Und doch sollte dies nur das Vorspiel der Hauptgräuel sein! – Schon Nachmittags hatten einzelne Soldaten ihren Quartiergebern von grausamen Befehlen zugeflüstert und sie gewarnt, auszugehen; sie hätten Ordre, jeden Bürger, der einen weißen Hut, einen weißen Rock, Laubwerk, eine Blume oder dergleichen trage, zu mißhandeln. Sie riethen ihnen, am Abend ihr Haus zu verschließen, denn es sollten fürchterliche Dinge ausgeführt werden; andere äußerten: es werde am Abend ein Todtenmarsch gespielt werden. All Das wurde jedoch erst nach den Thaten bekannt, und diese begannen, sobald General Horn und Fürst Wrede von Schloß Hambach nach Neustadt zurückgekehrt waren.

Wie an jedem Festabend waren in dem an sich schon übervölkerten Neustadt die Gassen auch vom herbeigeströmten Landvolk belebt; heute hatten die Vorgänge draußen ohnedies Alles auf die Beine gebracht. Beunruhigende Bewegungen waren gleichwohl nirgends zu bemerken. Da brachen plötzlich Patrouillen in alle Straßen und Gassen. Vom Markt her, gassenbreit, sprengte ein Piquet Chevauxlegers auf das Commando: „Den Säbel heraus, Nichts verschont!“ in strengem Trab vorwärts – da wurde niedergeritten und gehauen, was erreichbar war! Fliehenden drangen die Reiter mit den Pferden bis in die Wohnungen nach. Der Bürgermeister-Adjunct, der, mit dem Amtszeichen (breites blaues Band mit großem silbernen Medaillon) angethan, seinen Bürgern helfen wollte, wurde von Soldaten umringt und mit fünf Hiebwunden in Kopf und Gesicht, zwei Säbelhieben auf die Hände, einen Bajonnetstich und unzähligen Kolbenschlägen auf den Kopf, in’s Genick und auf den Rücken bedeckt – ehe er bluttriefend das Rathhaus wieder erreichte. Und kein Arzt durfte es wagen, zu einem Verwundeten zu eilen! – „Was Civil ist, hauen wir zusammen, jetzt haben wir Freiheit!“ und „Schlagt ihn todt, er ist ein Patriot!“ hörte man Soldaten und Gensd’armen durch die Straßen schreien.

Ein altbaierischer Officier brüllte: „Haut Alles zusammen, was Euch begegnet, sprecht kein Wort! Ich will das Hundevolk schon von den Straßen bringen, das Canaillenzeug!“ Einem schwachen Buckeligen wurde in seinem Krankensessel im Zimmer der Arm entzwei geschlagen, daß die Knochen sich durch das Fleisch schoben; auf einen einundzwanzigjährigen Bürgerssohn schlugen und stachen zwölf Soldaten, bis der Unglückliche zusammenbrach, wimmernd: „Laßt mich doch gehen!“ – „Halt’s Maul, Du Vieh!“ und noch ein Schlag – und Todtenstille.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_364.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)