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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

fein und zierlich um die Taille geschlungen ist dieser Strick! Die Kutte braun wie jene andere, aber von feinerem Stoff, glänzender, von untadelhafter Reine. Ein schwarzes Sammtkäppchen verbirgt die Tonsur und eine Brille modernisirt das Gesicht. Die Kutte ist hier nur Folie für den modernen Menschen, der unten in wohlgepflegten Schnallenschuhen und oben in Kragen und Binde hervorlugt. Die Welt und zwar die profane eines Bades ist unserem Franziskaner auch nichts weniger als fernstehend. Sie umflattert ihn von allen Seiten, wenn er dahin schreitet durch die Alleen und auf den Promenadenplätzen. Und gerade Damen, junge, hübsche, glänzende Damen treten in den Zauberkreis der braunen Kutte und holen sich einen lächelnden Gruß von dem Herrn Pater Superior des Klosters Volkersberg, denn das ist er.

Das Kloster Volkersberg war immer ein sehr beliebter Wallfahrtsort für die Badegäste in Brückenau – und ist’s wohl auch noch. Was aber dahin zog, war nicht der Drang zu frommer Buße und Andacht, sondern der gute Kaffee und das schmackhafte Bier, welche der Bruder Koch und der Bruder Brauer dort zu bereiten verstehen. Dazu kommt dann noch die reizende Lage des Klosters. Wenn man in stetigem Waldesschatten den Saum des nördlichen Hochwaldes, des Hartwald’s erreicht hat, erhebt sich auf der freien Hochebene ein weiterer Hügel und von diesem, dem kleinen Sinni, herab lachen uns die weißglänzenden Wände eines stattlichen Gebäudes entgegen und weit in das Land hinein, eines Gebäudes, das weit eher einem Schlosse als einem Kloster sich vergleicht. Am Fuße des Berges streckt sich in buntem Gürtel das Dorf Volkers und dann ziehen sich gartenähnliche Terrassen rings um den Hügel bis an den Sockel des Baues heran.

Den Eintretenden empfängt der dienende Bruder mit gastgeberischer Freundlichkeit und geleitet ihn in das geräumige hohe und helle Gastzimmer. Mit geschäftiger Hand credenzt er den dunkeln Mokka nebst Zubehör und schleppt in großen Krügen den braunen Saft herbei. An schönen sonnigen Tagen bleibt das Haus nie ohne Gäste. In den hohen Fensternischen, die eine prachtvolle Aussicht auf die Gebirgslandschaft gestatten, an den breiten eichenen Tischen sitzen sie und plaudern in behaglichem Genuß. Der Kaffee macht geschwätzig und das Bier lebendig. Die Damen, wie immer die Mehrheit, führen das Wort. Die frommen Brüder aber gesellen sich dazu und sorgen für „bunte Reihe“. Der Bruder Gärtner versteigt sich sogar zu einem Acte der Galanterie und reicht beim Scheiden schöner Hand ein sinnig Sträußchen. Man scheidet lustig und fröhlich von dem gastlichen, von der Natur so verschwenderisch bedachten Ort und mit dem Gedanken, daß dort Mönch zu sein selbst für den modernsten Genußmenschen kein zu abschreckender Gedanke wäre.

Von den interessanten Formationen des Rhöngebirges ist die interessanteste indessen wohl die Milseburg, der höchste Fels in Franken, auf der Nordwestseite der Rhön, in der Richtung nach Fulda gelegen. In der Form eines riesigen Sarkophags erhebt er sich mitten aus dem fruchtbaren Ackerlande. Diese „Todeslade,“ wie der Volksmund sie nennt, tritt in ihrer isolirten Stellung viele Meilen weit in den Gesichtskreis. Auf dem Kopfende des steinernen Sarges, da wo derselbe in unnahbarer Steile kantig hinab fällt, tritt eine neue basaltene Kuppe heraus, zu deren Gipfelplateau der Weg durch eingehauene Stufen künstlich gebahnt ist. Diese Kuppe schwimmt gleichsam in der Luft und man meint auf ihr in den Himmel greifen zu können, so nahe glaubt man sich diesem. Sie gewährt deshalb auch eine der großartigsten Rundsichten. Trotz ihrer Beschränkung bot sie immer noch Raum genug zur Ausführung eines wahrhaft erhabenen Gedankens, den die katholische Kirche hier verwirklichte. Sie hat da hinauf eine Capelle gesetzt mit einer dem Freien zugekehrten Kanzel und sodann auf einem erhöhten Vorsprunge ganz hinaus ragend in die freie Luft des Himmels – das plastische Bild des gekreuzigten Erlösers mit den Figuren der Maria und des Johannes, ein überwältigendes Symbol der siegreichen Verbindung zwischen Himmel und Erde. Wahrlich, diese Kirche versteht sich auf Wirkungen. Der Eindruck ist der mächtigste.

Nun läutet’s auch schon in früher Morgenstunde in dem Kirchlein. Durch die klare Luft klingt der Ruf weit hinab in die umliegenden Dörfer, Weiler und Höfe. Bald regt sich’s lebendig auf den drei zugänglichen Seitenflächen des Berges und windet sich auf den steilen Pfaden durch Zweig und Busch näher und näher. Die hellfarbigen, weiß und rothen Kopftücher der Kirchgängerinnen tauchen immer zahlreicher aus Hag und Hecken auf, auch der schwarze Talar des Priesters wird schon sichtbar, der eilfertig seine Schritte nach der Höhe lenkt. Die niedrige Pforte des kleinen Heiligthums öffnet sich ihrem eintretenden Herrn; das Glöcklein verstummt, die Messe beginnt. Das Kirchlein kann die Menge der Anströmenden nicht fassen. Der größere Theil bleibt draußen auf dem Platze vor und neben der Capelle in mannigfachen Gruppen, sitzend, stehend, knieend, ein bunt belebtes Bild. Der charakteristische Gegensatz, welcher in der Kleidung dortiger Landleute Protestanten und Katholiken scharf scheidet, indem jene sich fast durchgängig nur in dunkle Farben, braun oder schwarz, kleiden, diese dagegen bunte, helle Farben tragen, grell verschieden bei Rock, Mieder, Schürze und Kopftuch, der Umstand dieses Gegensatzes tritt zu Gunsten der malerischen Wirkung des Bildes vortheilhaft hinzu. So paßt auch diese helle heitere Kleidung, die bei den Männern in dem blauen oder grünen Kittel eine gleiche Vertretung hat, weit eher zu der mehr nach außen als nach innen drängenden Stimmung des Ortes. Und die junge Büßerin, welche abseits von den Anderen und der geöffneten Kirchthür auf den paar Stufen, die nach der äußeren Kanzel führen, sich hineingekauert hat, tritt in ihrer allein dunkeln Gewandung um so schärfer in den Gegensatz.

Der Priester ging, die Messe war beendet.

Viele der Andächtigen blieben zurück. Ihr Blick war nicht mehr zu Boden oder nach dem glänzenden Bild der Monstranz gerichtet, er flog hinaus in das Weite und hinauf zum unendlichen Himmel.

Die Sonne stieg hoch und schien heiß hinab auf die glatten grauen Flächen des Gesteins. Der feuchte Thau, der auf ihnen lag, stieg brausend und brodelnd wie Opferdunst hinauf gen Himmel. Die Natur arbeitete unbeirrt weiter nach ihren heimlichen unsichtbaren Gesetzen. Die Menschen waren auf der Heimkehr zu der einförmigen Arbeit des Tages, zu Lust und Leid, dem alten, selbstgeschaffenen. Unterwegs grüßte sie aus einer vergitterten Nische ein holzgeschnitztes, buntbemaltes, goldbeflittertes Heiligenbild. Es war Sanct Kilian, der Schutzheilige der Rhön. Jetzt auf dem Heimweg ging Alles grußlos vorüber.

Fr. Helbig.




Vor vierzig Jahren!
Ein zeitgeschichtlicher Rückblick von Fr. Hofmann.


Am zehnten Mai dieses Jahres wurde uns folgendes Telegramm aus Neustadt an der Haardt in der Rheinpfalz mitgetheilt: „Telegraphie des deutschen Reichs. Erlaubniß von München soeben eingetroffen. Bürgerversammlung Sonntag Mittag. Ausschußsitzung heute.“ Diese Nachricht sagt uns, daß das öffentliche Jubiläum eines Festes, das vor vierzig Jahren den Hochpunkt einer großen sturmdrohenden Bewegung bildete und zur Rechtfertigung der gehässigsten Reaction mißbraucht wurde, von König Ludwig dem Zweiten großherzig gestattet worden ist.[1]

So werden denn am siebenundzwanzigsten Mai deutsche Männer und Frauen nicht blos aus der ganzen Pfalz, sondern auch aus dem alten und dem neuen Reiche festgeschmückt und festgestimmt zur selben Stätte hinaufziehen, wo am selben Tage 1832 das Hambacher Fest gefeiert worden ist.

Bei unseren Lesern dürfen wir es als bekannt voraussetzen, in welchem Zustande Deutschland von der französischen Julirevolution

  1. Diese Entscheidung kommt für die Veranstalter des Erinnerungsfestes noch früh genug, für die Gartenlaube, bei ihrer bekannten Herstellungszeitdauer, zu spät, als daß sie selbst eine Verkünderin des neuen Tages von Hambach sein könnte; ehe diese Nummer in die Hand des Lesers kommt, ist die Festbeschreibung schon durch alle Zeitungen gegangen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_362.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)